Scoring-Betrug. Musik-Dokus, Krimiserie aus der Schweiz

Weils mir so gut gefallen hat, lesen Sie zunächst René Martens’ kluge Altpapier-Kolumne als aktuelle Gebrauchsanweisung von Medien aller Art. Und nun zu meinen Tipps.

“Arcadia” (verfügbar 1 Jahr)

In einigen Vorbesprechungen las ich darüber gehörigen Unsinn. Die Einen assoziierten “China”. Die Anderen halluzinierten irgendeinen schlechten WDR-Einfluss (Koproduktion). Aber der Reihe nach.

Die politische (und bös unterhaltsame!) Brisanz dieser Serie liegt darin, dass sie in der in Bau befindlichen Festung Europa schneller Wirklichkeit werden kann, als wir gucken können. Ich verweise dazu immer wieder auf die EU-Wahl am 9. Juni 2024 und die Bewusstlosigkeit, wie die europäische Linke darauf verzichtet, ein satisfaktionsfähiges Gegengewicht gegen den aufkommenden nächsten Faschismus zu bilden.

An “Arcadia” ist nichts chinesisch und alles europäisch. Das ist schon daran zu erkennen, dass die Aussenwelt der “Ausgestossenen” optisch stark an niederländische Dünenlandschaften erinnert. Zu verdanken ist das den belgisch-niederländischen Produzent*inn*en Jonnydepony und Big Blue. Ihnen ist ein hochwertiger und hierzulande fast komplett unbekannter frischer Cast und der Verzicht auf jegliche berüchtigte ARD-Degeto-Süssholzsauce zu verdanken.

Aber nett (und vielleicht sogar klug?) vom WDR, dass er mitbezahlt hat. Den Produzent*inn*en aus unseren beiden Nachbarländern hat eine kurzsichtige Einmischung in BRD-Innenpolitik gewiss ferngelegen. Mit meinen deutschen Augen erkenne ich: was ich hier sehe, ist das, worauf sich AfD, CDU, CSU und FDP (Aufzählung der Grösse nach) schnell und pragmatisch einigen können. Und wenn sie die Wahl dann gewonnen haben, werden ihnen noch einige mehr nachlaufen. Ist Nichtwählen dazu – die bislang meistgenutzte! – Alternative?

Immer gut: Musik auf ARTE

Mein Freund Michael Kleff, immerhin jahrzehntelanger Musikfachjournalist, bestätigte mir kontinuierlich das gute Niveau der von ARTE eingekauften Musikdokumentationen. Sie fesseln mich sogar bei Bands, die ich nicht besonders verehrte oder die ich kaum kannte.

Jüngst (Freitag) waren das California Dreamin’ – Die Geschichte von The Mamas & The Papas – The Mamas & The Papas stehen wie keine zweite Band für die amerikanische Utopie der Sixties. Mit ihren schwebenden Harmonien projizierten sie den Wunsch nach Freiheit auf eine ganze Generation. Die Doku wirft einen Blick auf den Werdegang einer legendären und dennoch oft vergessenen Gruppe aus Kalifornien.” (verfügbar bis 16.10.) Lesen Sie mal den krassen Lauf des kurzen Lebens von Ellen Naomi Cohen (“Cass Elliot”). Am besten parallel zu dieser Musik. Dann wissen Sie über die real existierende (Pop-)Welt mehr Bescheid, als Sie wollen.

Neville Brothers

Ich glaubte sie schon mal irgendwo gehört zu haben. Das war alles, was ich erinnern konnte. Aus ihrem Wikipedia-Eintrag geht hervor, dass sie bei jedem Konzern nach einer erfolglosen LP direkt wieder rausgeflogen sind. Und das bei dieser Musik: Neville Brothers ‘Tell it like it is’ – Aaron, Art, Charles und Cyril Neville, bekannt als legendäre R&B-, Soul- und Jazz-Band The Neville Brothers, laden 1989 in der berühmten Storyville Jazz Hall in New Orleans eine Reihe musikalischer Gäste zu sich auf die Bühne. Eine außergewöhnliche Jazz-Nacht mit gefühlvollen Klängen!” (verfügbar bis 16.10.)

Wilder/3sat

3sat versendet morgen (22.25 h) die komplette vierte Staffel der Krimiserie “Wilder” (verfügbar bis 23.9.). Die Qualität dieser Reihe besteht darin, dass sie fast alle unsere Schweiz-Klischess bricht. Die Schweiz ist keine hübsche – und dazu noch funktionierende! – Modelleisenbahn, sondern genauso düster, korrupt, reaktionär wie alle Anderen auch.

Hauptdarstellerin Sarah Spale-Bühlmann spielt die titelgebende Kommissarin körperlich zart aber psychologisch hart um ihre Selbstbestimmung kämpfend. Das ist spannend.

Mein Festplattenrecorder ist programmiert.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net