Wundersame Bahn CLXI

“Nachtzüge sind schnell ausgebucht, deshalb will die Deutsche Bahn ihr Angebot erweitern” schreibt die FAZ, bevor die Paywall runterrasselt. Welches Angebot? Hat die DB nicht alle ihre Schlafwagen abgeschafft? Was mit den Bahnbrücken nicht geht, machte sie mit den Waggons. Als sie sanierungsbedürftig waren, schaffte sie sie einfach ab. Österreich (ÖBB) übernahm das Geschäft. Und nun wanzt sich die DB wieder ran: hier in einem paywallfreien Text. Bei mir als erfahrenem Bahnfahrer lösen diese PR-Strategien immer aufs Neue Kopfschütteln aus.

Ich fuhr schon von Beuel nach Brindisi. Umsteigefreie IC-Verbindungen gab es bis Venezia und La Spezia. Schlafwagen nach Rom (über Milano, Firenze) und Genua (mit Fähranschluss nach Sardinien). Es war teurer als Fliegen. Und langsamer, und damit schöner. Wahrer Luxus. Die Arbeit, ob mit oder ohne Internet, machte entweder ein Reisebüro oder der Fahrkartenschalter (später umbenannt in “Reisezentrum”, aber auch flächendeckend abgeschafft). Setzen Sie sich mal schön heute vor ihren PC und versuchen Sie sowas zu buchen. Nehmen Sie dafür einen Extra-Tag Urlaub. Und glauben Sie nicht, dass Sie am Ende erfolgreich sind. Denn wir haben eine EU. Nächstes Jahr ist wieder Wahl. Aber bei den Bahnen ist sie abgeschafft. Obwohl es sie – s.o. – mal gegeben haben muss.

Wie kommichdrauf? taz-Redakteur Ambros Waibel wird immer besonders launig, wenn er über Italien schreibt: Fünf Euro für Venedig: Ein besonderer Tag – Ab 2024 sollen Tagestouristen für Venedig an bestimmten Tagen Eintritt bezahlen. Die Maßnahme wird keines der drängenden Probleme der Stadt lösen.” U.a. schreibt er von “etwa 30 besonders bedrängten Tagen des Jahres, an denen eh kein vernünftiger Mensch in die Lagune reist”. Das würde ich geringfügig ausdehnen. Meiden Sie Italien während der Tage im Jahr, an denen deutsche Lehrer*innen “unterrichtsfreie Zeit” haben, umgangssprachlich und völlig unsachgemäss unter der Begrifflichkeit “Schulferien” bekannt.

Ich war einmal in Venezia, als die deutschen Weihnachtsferien gerade vorbei waren. Sehr angenehm. Das saisonale Winterhochwasser begann erst an unserem Abreisetag. Das – damals noch – bezahlbare 3er-Zimmer hatte zwar ein Fenster, aber leider kein Tageslicht. In der Lücke bis zur gegenüberliegenden Hauswand wohnten die berühmten venezianischen Tauben. Und die beiden anderen Herren in meinem Zimmer schnarchten. Trotzdem war es ein unvergesslicher Aufenthalt. Ich hatte Venezia gesehen, sehr ausgiebig zu Fuss und per Vaporetto (Verkehrsverbundstarif). Bezahlbares und hochwertiges Mittag- und Abendessen sicherte uns unser Slowfood-Führer Osterie d’Italia.

Es war so schön, dass ich zu einer wärmeren Jahreszeit erneut in Venezia war – als Tagestourist mit Quartier im nahegelegenen – und ebenfalls aussergewöhnlich besuchenswerten Triest. Dort reifte in mir den Entschluss, es eines Tages noch mal von Wien aus mit der Bahn anzufahren.

Waibel schlägt nun Genova als Alternative zu Venezia vor. Das muss mann nicht gegeneinander diskutieren. Ich war mehrmals dort, zum Transit, entweder nach Sardinien oder zur Cinqueterre. Genua ist jeden Stadtbummel wert. Es hat, wie alle Küstenstädte, massive Probleme mit dem Autoverkehr. Das Abschneiden der Stadt von der Uferkante wurde seinerzeit durch Hochstrassen-Konstruktionen “gelöst”. In der eng verwinkelten Altstadt, damals ein Sanierungsfall, heute gewiss weitgehend in der Gentrifizierung, liessen sich mit Osterie d’Italia wiederum fantastische Entdeckungen machen, an denen wir niemals zufällig vorbeigelaufen wären. Problem und Attraktivitätsvorteil der Stadt ist die Beengung durch die umliegende Bergwelt. Sowohl mit städtischen Bahnen als auch zu Fuss ist ihre unermessliche Schönheit zu erfassen – auch tagelang. Hamburg mit seinem schlechten Wetter dürfte neidisch werden.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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