Früher war nicht alles schlechter. Zum Beispiel wurden auffällig leerstehende Häuser besetzt. Sogar in Bonn. Ich erinnere mich an zwei konkrete Fälle: in der Münsterstrasse (City) und in der Kirschallee (Südstadt). Erstere initiierte die damalige Student*inn*engruppe “Lust”, mit der mein Liberaler Hochschulverband zeitweilig eine Listenverbindung zur Studierendenparlamentswahl einging. Ihr Wortführer, mit dem ich sehr gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten konnte, war Martin Schmidt-Roßleben. Wenig später wurde er ein führender Mitgründer der Beueler Brotfabrik, siedelte später nach Potsdam über, wo er u.a. das hier machte. 2016 ist er leider zu früh verstorben.

Die andere Hausbesetzung in der Kirschallee managte – quasi als “Konkurrenzunternehmen” – der damalige DKP-nahe MSB Spartakus. Da war Werner Rambow dabei, mit dem ich in der Fachschaft Politikwissenschaft (gegen den RCDS von Stephan Eisel) koalierte und alle Wahlen gewann. Später trafen wir uns bei den Grünen wieder, mit deren Hilfe er sogar zeitweise Beueler Bezirksbürgermeister wurde. Werner ist ebenfalls schon tot (ein Jahr nach o.g. Martin).

Nun steht wieder ein Wohnhaus leer, seit über 10 Jahren, bei mir um die Ecke Kaiser-Konrad-Strasse 36 (Combahnviertel). Meine Verärgerung teilte ich der Bonner Stadtverwaltung schriftlich mit. Auszüge aus der Antwort von Frau Meyer-Henneberger, Sachgebetsleiterin im Bauordnungsamt:

“Ich kann Ihre Bedenken sehr gut nachvollziehen. Natürlich ist es bei bestehender Wohnungsnot ärgerlich, wenn ein Gebäude über Jahre nicht genutzt wird und dem Wohnungsmarkt nicht zur Verfügung steht, vielmehr dem Verfall preisgegeben wird.

Grundsätzlich hat eine Eigentümerin / ein Eigentümer allerdings das auf Art. 14 des Grundgesetzes fußende Recht, sein Eigentum zu nutzen oder eben nicht zu nutzen, soweit es nicht gesetzlichen Vorgaben widerspricht.”

Sicherheitshalber zitiere ich an dieser Stelle den Art. 14 Grundgesetz vollständig:

Art. 14: (1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.”

Ich weiss nicht, wie Jurist*inn*en das verstehen. Für mich ergibt sich aus diesen Bestimmungen eine Handlungspflicht des/der Gesetzgeber*in, Gesetze zu schaffen, die Näheres regeln. Dabei hat sie*er sich am mehrmals ausdrücklich erwähnten “Wohl der Allgemeinheit” so zu orientieren, wie es auch Eigentümer*innen “sollen”. Und da ist der*die Gesetzgeber*in zu schlampig.

Oder wie Frau Meyer-Henneberger – leider – richtig schreibt: “Aus bauordnungsrechtlicher Sicht kann allerdings kein Nutzungsgebot ausgesprochen werden, da die baurechtlichen Vorschriften hierfür keine Ermächtigungsgrundlage bieten.” Und sie schliesst mit: “Ich bedaure, dass ein solches Gebäude weiterhin leer steht und dem Verfall preisgegeben wird. Ein Enteignungsrecht steht der Stadt Bonn nach heutiger Sach- und Rechtslage jedoch nicht zu.”

Also nix zu machen?

Wenn die*der Gesetzgeber*in nicht handelt, muss das Problem in die gesellschaftliche Öffentlichkeit getragen werden. Nur dann wird der*die Gesetzgeber*in – und die ihn zusammensetzenden Parteien – darauf aufmerksam. Und auch die Eigentümer*innen könnten u.U. Schmerz empfinden, wenn ihr Handeln und Nichthandeln Gegenstand öffentlichen Streits würde.

Genau diesem Zweck dienen Hausbesetzungen. Und schauen Sie (s.o.) – aus den damaligen Hausbesetzer*inne*n ist auch was Anständiges geworden.

Vielleicht klein anfangen? Ein Transparent – an der leerstehenden Bruchbude befestigt, in ausreichender Höhe, und ohne “die Sache” zu “beschädigen”, könnte ein nichtkrimineller Anfang sein. Und wenn es entfernt wird, mutmasslich von einer beauftragten Facility-Firma (irgendjemand räumt nämlich den Schnee, und befestigt die Dachpfannen – wenn die runterfielen, dürfte die Stadt eingreifen), einfach das Nächste hinhängen. Und immer so weiter. Bis endlich was passiert.

Was ist das denn für ein Land hier? Das fragen sich die 30-60%, die nicht mehr an Wahlen teilnehmen, schon lange.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net