Schon länger habe ich keinen nachdenkseiten-Text mehr gelesen. Politisch verzweifelt genug bin ich auch ohne. Dann lockte mich heute dieser Fussballtext von Jens Berger, der leider die politischen Probleme, die ich mit den Kollegen (Frau dabei?) habe, verdeutlicht: “Der Fußball wird multipolar – kein Grund zur Freude, aber auch kein Grund für Moralpredigten”. Moralpredigten sind in der Tat verzichtbar, politische Analyse – und im besseren Fall auch: Strategie – dagegen nicht.

Dem Kollegen Berger, dachte ich, muss ich als ehemaliger Liberaler gewiss nichts über Marx und Engels erzählen. Die, so wurde mir überliefert, kannten den Unterschied zwischen einem entwickelten Kapitalismus und einer feudalistischen Sklavenhaltergesellschaft, wie sie z.B. in Qatar und Saudi-Arabien herrscht, noch. Dass sich die Feudalherrscher zu schlauen Kapitalisten weitergebildet haben, ändert daran nichts, macht es vor allem nicht besser. Das ist keine Moralpredigt, sondern ein politischer Befund.

Als ehemaliger Liberaler bin ich exzellent weitergebildet worden, um den Wert individueller Grund- und Bügerinnenrechte schätzen zu lernen. Es ist ein enormer Unterschied, ob der Kollege Berger und ich – mehr oder weniger folgenlos – unsere Meinung frei bloggen können. Oder ob wir in einem Knast spurlos verschwinden, wahlweise ausgepeitscht oder unsere Hände abgehackt, oder gar zur Hinrichtung verbracht werden. Dass wir anschliessend zersägt würden, wäre mir als Totem egal – aber trauernden Hinterbliebenen sicher nicht.

Warum rege ich mich hier so darüber auf? Weil diese analytische Gleichgültigkeit geradewegs zu Strategielosigkeit führt, und nur eins ist: entwaffnend. Wie viel klüger sind die spanischen Weltmeisterinnen gegen so eine deutsche Linke?

Seit längerem schon berührt mich die Schmerzfreiheit, mit der die nachdenkseiten-Kollegen immer mehr auf russische und chinesische Staatsmedien verlinken, als wenn das “alternative” Informationsquellen sind. Sind die nicht. Sie sind auch nicht schwierig auffindbar für die, die sie lesen wollen. Sie betreiben Agendasetting im Interesse ihrer stattlichen Finanziers. Das ist keine Sünde, alle machen das. Besser ist es nicht.

Dieser Analyse- und Strategie-Analphabetismus führt Linke und Liberale geradewegs zu dem, was Alban Werner/Jacobin aktuell beklagt: Sparoffensive ohne Gegenspieler – Der Kürzungshaushalt der Ampel ist eine soziale Katastrophe – und sollte eine Steilvorlage für alle Gegner der Sparpolitik sein. Dass linke Sozialdemokraten und Grüne schweigen und die Linkspartei sich kaum blicken lässt, ist durch nichts zu entschuldigen.”

Auch nicht schön

Ebensowenig Gegenwehr gibt es hierzulande hierzu: Nathan Akehurst, Joe Rabe/Jacobin: Nein, Europa wird nicht »von Migranten überschwemmt« – Rechte wollen die Insel Lampedusa zum Symbol für eine vermeintliche »Flüchtlingsflut« machen. In Wirklichkeit zeigt sich vor Ort das Versagen der EU, sichere Migrationsrouten und eine tragfähige Infrastruktur für echte humanitäre Hilfe zu schaffen.”

und

Bernhard Schmid/Jungle World: Das Verhältnis zwischen Frankreich und der Zentralafrikanischen Republik: Zwischen Söldnern und Putschisten – Beim Treffen des Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik, Faustin-Archange Touadéra, mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron ging es vor allem um die Zukunft der Wagner-Söldner im Land. Einig wurde man sich nicht.”

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net