Nein, es ist zwar auch, aber nicht nur der Nichtstuer Wissing
Hinter der FAZ-Paywall steht eine Geschichte von Sarah Obertreis, deren über drei Monate betriebenen Recherchen diese Nachrichtenmeldung wert sind. 500.000 Fahrraddiebstähle 2022. Allein in Berlin sei von 29 Fällen nur einer aufgeklärt worden. Die – gemeldete – Schadenssumme betrage über 140 Mio. €. Ohne Dunkelziffer – nur die Hälfte aller Fälle wird angezeigt, denn die Aufklärungsquote ist Volkswissen. „Wenn ich einen Fahrraddiebstahl anzeige, passiert ja sowieso nichts.“
Rekordhalter beim Aufklären sei Potsdam: 38%. Noch ein Jahr zuvor (2021) seien es nur 5% gewesen. Dieser Sprung sei einer “Fahrrad-Ermittlungsgruppe” zu verdanken. Die Schwerpunkt-Stadtbezirke wurden identifiziert, und dort Zivilfahnder*innen eingesetzt. Scheint geholfen zu haben. Aber macht eben Arbeit.
Drei Täter*innen*-Gruppen seien identifiziert worden: eine tschetschenische Bande, Drogenabhängige und sonstige durchreisende Täter*innen. Die ersten beiden seien in Potsdam unter Fahndungsdruck gesetzt worden. Wobei die Beschaffungskriminalität der Drogenkranken laut Autorin Obertreis bundesweit der dominierende Kern des Problems ist.
Die Justiz spiele allerdings nicht mit, auch in Potsdam nicht. Weder geht es schnell, noch geht es – bei den Strafen – drastisch. Das habe mehrere engagierte Polizeieinheiten schnell wieder “demotiviert” und “entmutigt”.
Von einer “Akku-Flex” ist die Rede, die “jedes Material” zersägen könne. Für die besten Schlösser benötige sie 5-8 Minuten. Ein Hersteller habe nun eine Luxusvariante auf den Markt gebracht, bei der es bis zu 40 Minuten dauern könne. Aber nichts ist unknackbar.
Eine Grüne-MdB findet bei Obertreis Erwähnung, die erst nach einem Monat auf eine Gesprächsanfrage habe reagieren lassen, und einem weiteren Monat später Zeit für ein Videogespräch fand. Da frage ich mich, welche Bürozustände dort herrschen müssen. Es ist in der Branche der Parlamentsmitarbeiter*innen über alle Parteien hinweg bekannt-berüchtigt, dass die Chef*innen keine Ahnung vom Chef*in*sein haben.
Ist ein Fahrrad erstmal weg aus Deutschland, ist es weg. Das Schengener Informationssystem kennt nur Autos. Der Durchschnittswert pro gemeldeter Schadensfall ist auf 970 € gestiegen, in einzelnen Städte liege er aber schon bei 1.400. Billige Räder bleiben in der Stadt, teure werden gerne exportiert. Das sei in Amsterdam ermittelt worden, wo eine Polizeiforschungsgruppe hundert Räder mit GPS-Tracker habe Probeklauen lassen. Ein Frankfurter Fahrradhändler wird rezitiert, dessen 10.000 €-Rad geklaut wurde, bei dem er anschliessend Diebstahl, Fahndung und Verhaftung am Bildschirm mitverfolgen konnte, Das Rad musste am Ende aus dem Main gefischt werden.
Eine Magdeburger Ermittlergruppe wird von Obertreis erwähnt, die aufgegeben habe, auf Haftstrafen zu setzen, stattdessen das Ziel setze, die Täter*innen in eine Entzugstherapie zu kriegen. “Im besten (und seltenen) Fall gelingt die Therapie und sie hören auf, Fahrräder zu stehlen.” Sie erzielen einen Hehlerpreis von 20-30 € – müssen also pro Tag sechs Räder klauen, um ihre Drogenversorgung sichern zu können.
Eine Furcht steigt in mir auf: das dieser Wissing sich auf dieses Thema setzt. Denn die FAZ wird der lesen, das Organ seiner Kernzielgruppe. Das muss ihm schnell irgendjemand wegnehmen, die*der noch einen Überrest an Satisfaktionsfähigkeit hat.
Disclaimer: in Kürze jährt sich zum 25.mal der Tag, an dem mein am Hauptbahnhof mit Kettenschloss gesichertes Fahrrad nicht nur geklaut, sondern auch zurückerobert wurde, und zwar von der Verkäuferin Monica Fassbender/Velocity persönlich. Ihr Ladenlokal – noch unter dem damaligen Namen “Stahlroß” – war noch an der Ecke Breite Str./Dorotheenstr. und sie machte den drogenabhängigen Dieb des codierten gerade erst verkauften Rades persönlich dingfest. Bzw. nein, ihn liess sie laufen, und das Rad behielt sie dort. Ich konnte es mir nach der Arbeit ein zweites Mal im Laden abholen. Unvergesslich. Und ewig bin ich ihr dankbar, denn das Rad funktioniert und fährt immer noch.
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