Eine der gängigsten Periodisierungen der neueren Geschichte rechnet mit einem „langen“ 19. Jahrhundert (1789-1913) und einem „kurzen“ 20. Jahrhundert (1914-1989). Solche Einteilungen sind Konstruktionen, viele andere Einteilungen sind möglich. Und einige davon wären aus „nicht-westlichen“ Perspektiven vielleicht auch einleuchtender.
Die Relativität dieser Einteilung also zugestanden: Hätten wir aus der uns vertrauten Perspektive nicht Grund, das 20. Jahrhundert im historischen Rückblick etwas zu verlängern und auszudehnen, zum Beispiel bis zum Jahr 2014, also dem Jahr des ersten (resp. immer noch andauernden) militärischen Überfalls Russlands auf die Ukraine? Diese Frage stellt jedenfalls der Politologe Hans Gutbrot im neuen Heft von Lettre International.
Gutbrot zufolge hätten wir dann ein dreigeteiltes 20. Jahrhundert:
1) Die Epoche der gewaltsamen Auseinandersetzungen 1914-1945
2) Die Epoche der brüchigen Stabilität des Kalten Krieges 1945-1989
3) Die Epoche eines „unipolaren Multilateralismus“ 1989-2014, mit den USA als (zunächst) „letzter verbliebender Supermacht“
Diese dritte Epoche endete mit dem Ende des proklamierten „Endes der Geschichte“, also mit dem Abschied vom Gedanken, die liberale Demokratie habe nun dauerhaft und „auf ewig“ gesiegt und führt hin zur unübersichtlichen und einigermaßen prekären Lage der Gegenwart – mit neuen und gewalttätigen Konflikten von ungeahntem Ausmaß auch in Europa.
Eine solche „Ausdehnung“ des 20. Jahrhunderts könnte jedenfalls einmal sehr einleuchtend erscheinen, wenn die „Eule der Minerva“ unsere Epoche durchleuchtet und im Nachhinein diagnostiziert, was es mit dieser Zeit so auf sich gehabt hat: Langes 20. Jahrhundert – eine nicht ganz abwegige Hypothese.
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