mit Update 23.10.

Weltmeister im Fussball sind “wir” nun schon neun Jahre nicht mehr. Aber im Bescheidwissen und Rechthaben können “wir uns” immer noch jeder Weltmarktkonkurrenz stellen. Jedes Jahr wird das z.B. beim Frankfurter Buchspektakel immer wieder aufs Neue dokumentiert. Wenn schon zunehmend die grossen Kapitalströme an “uns” vorbeifliessen, dann werden “wir” und “unsere” letzten überlebenden Medien radikal humorlos.

“Ein offener Diskurs ist der Grundpfeiler einer freien Gesellschaft”

Wer wollte das bestreiten? So lautet die Überschrift einer “Westminster Declaration” mit zahlreichen international gesammelten prominenten Unterschriften. Diese Panik scheint also kein deutsches Alleinstellungsmerkmal zu sein. Es ist eine EU-weite Pandemie. Mindestens. Wo mag nur der wertegeleitete Unterschied zu den weltweit ausgebreiteten autoritären Regimes liegen, die sich (s.o.) lieber um China sammeln?

Nur mal so als Beispiel die deutschen Medienanstalten. Die wurden mal zum “regulieren” privater Medien erfunden, und haben jede Menge Arbeitsplätze geschaffen. Zwar sind sie am Regulieren von Leo Kirch und Bertelsmann gescheitert – aber das war von CDU und SPD ja damals auch genau so gedacht. Private europäische Medien sind längst unter wenigen Milliardären aufgeteilt, und so langweilig und ideenlos, das sie sich vor der Übermacht kalifornischer IT-Konzerne längst auf den Rücken gelegt haben – und bei den noch dümmer und noch gedankenloser agierenden europäischen Regierungen um Subventionen für dies und das anstehen. Kein Mensch braucht dafür die Landesmedienanstalten. Was machen die wohl den ganzen Tag?

Ich habs gefunden. Die wachen Kolleg*inn*en von Netzpolitik.org sind vielleicht die Letzten, die sich noch dafür interessieren, und siehe, es ist vollkommen nutzlos, potenziell sogar schädlich: Sebastian Meineck: Medienaufsicht: Internet-Provider sollen Pornhub in Deutschland sperren – Internet-Provider sollen Deutschlands meistbesuchte Pornoseite Pornhub sperren. So will es die Medienaufsicht. Die Behörde hat entsprechende Verfahren bei Telekom, 1&1, Vodafone und Telefónica eingeleitet. Die Netzsperren sollen Jugendliche schützen.” Warum machen die das? Wie deutsche Regierungspolitik in Bund und Land: pure Symbolik, Fahne für das “Gute” raushängen, PR-Lärm drum machen – perfekt!

Wagenknecht – identisches Handbuch

Deutsche demokratische Parteien sind so leer – sie mobilisieren ja auch für nichts mehr – dass die Fruchtfliegen der Marktforschung fleissig um die braunen Hinterlassenschaften kreisen, und angeblich eine Lücke für die gutaussehende Frau Wagenknecht ge-(oder er-)funden haben.

Horst Kahrs, Referent des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, sieht das in den Blättern anders: Kulturkampf mit Wagenknecht – Zum politischen Potenzial einer linksautoritären Partei”. Ich neige ihm zu. Hier ein Stolperstein: “Ohnehin repräsentieren Parteien nicht einfach das, was im Wahlvolk an Stimmungen, Einstellungen und Positionen vorhanden ist. Sie repräsentieren das, was sie zuvor an Unterschieden und Polarisierungen geschaffen haben.” Hmm, theoretisch ja. Aber ist es etwa das, was wir in Deutschland derzeit haben, was sie schaffen wollten? Sind sie nicht mittlerweile zu dumm dazu, und Getriebene der Medienökonomie? Würde mich freuen, wenn ich irre.

Der nächste Stolperstein: “Die tatsächliche Leerstelle besteht links.”

Kahrs sucht “eine progressive Partei, die keine Wunder verspricht, die vertrauenswürdig und regierungsfähig ist und Antworten auf die Fragen der Zeit geben kann”. Wie lange haben wir noch Zeit fürs Suchen?

Update 23.10.: Horst Kahrs diskutiert aktualisierend weiter bei Bruchstücke.info: “Sahra thront auf dem Wagen, Knechte ziehen und schieben”. Die von Johanna Bernklau/MDR-Altpapier an einem anderen Fall problematisierte Personalisierung sieht er so: sie kann klappen, wenn“So lange diese Person verlässlich für die Partei spricht, so lange die von ihr vertretenen Positionen nicht vom Parteiprogramm relativiert werden und so lange das öffentliche Auftreten der Partei Gefolgschaft ausstrahlt, kann das gut laufen.” Seinem Gedankengang kann ich weitgehend folgen.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net