“Ewald Lienen – Eine griechische Tragödie”
Das Bescheuertste an diesem sehenswerten Dokumentarfilm ist sein Titel. Das gab der strenge Ost-Westfale Ewald Lienen gestern Abend bei der Filmpremiere in Köln gleich zu Beginn der Nachdiskussion zu Protokoll. Sein westfälisches Naturell stellte ihm im Umgang mit der real existierenden Medienökonomie, die in Köln ein natürliches Habitat hat, immer wieder ein Bein. Das ist in diesem Film zu sehen, und war gestern Abend erneut zu spüren.
Bei einer Frage von Moderator Jürgen Bergener reagierte er nur scheinbar humorvoll, in Wirklichkeit war er nicht amüsiert: “Welche Ziele setzt man sich mit 70 Jahren noch?” – “Über deine Fragen müssen wir uns gleich im Anschluss noch mal unterhalten.” Beim anschliessenden Empfang bekam ich von Ewald persönlich die Antwort: das Ehepaar Lienen wird vom Niederrhein wieder zurück in die westfälische Heimat ziehen, und dort den alten Sitz seines Vaters instandsetzen und bewohnen. Zurück zu den Wurzeln als Lebensziel. Naheliegend und journalistisch einfach zu ermitteln – wenn die Frage nicht bescheuert gestellt, sondern als Interesse an dem Menschen und seinem Leben formuliert wird.
Ewald Lienen fremdelte sein ganzes Leben mit den “Mechanismen des Geschäfts”. Die meisten menschlich anständigen und fachlich gereiften Fussballlehrer tun das. Ich denke da an Lucien Favre, der einzige Trainer der Welt, der Mario Balotelli erfolgreich trainierte. Und bewundere das Durchhaltevermögen von Christian Streich, das augenscheinlich auch schon seine Grenzen erreicht. Da der ehrliche Westfale in Ewald nie einem Konflikt aus dem Weg ging, sondern seine Ehrlichkeit immer die Oberhand behielt, hat er es als Trainer nur bei St. Pauli wirklich länger ausgehalten.
Dort nahm seine Karriere dann auch ein im vielfachen Sinn des Wortes glückliches Ende. Das bezeugten der damalige St.Pauli-Manager und heute vielbeschäftigte DFB-Direktor Andreas Rettig und St.Pauli-Präsident und Realo-DFL-Stratege Oke Göttlich gestern durch ihre persönliche vielstündige Anwesenheit. Die drei Jungs haben sich zu Ewalds Karriereende heftig gezofft – Rettig und Göttlich behielten gegenüber dem Sturkopf Ewald die Oberhand, und hatten Recht damit. Es war der beste berufsbiografische Abschluss, den er bekommen konnte. Und heute weiss er das auch.
Und seine Frau Rosa. Sie ist der eigentliche Star des Films, der seine Schwerpunkte auf die Trainerengagements bei AEK Athen und FC St. Pauli setzt. Meine These: ohne seine Gattin hätte Ewald dieses Leben – und das sah gestern sehr blühend und glücklich aus (und ich kann das persönlich nachempfinden) – niemals gesund überstanden. Sie erinnerte mich, und das habe ich beiden gestern auch sagen können, an Ilka Seeler, die starke Frau an der Seite von Deutschlands vielleicht grösstem Fussballstar aller Zeiten Uwe Seeler. Die Lienens hatten das verlinkte Porträt von Reinhold Beckmann noch nicht gesehen. Aber die Parallelität der Ehe- und Liebes-(!)konstellation ist nicht zu übersehen.
Hinter allem steckt der Papst!
Ewald Lienen zeigte sich gestern auf Ballhöhe des medienpolitischen Diskurses. Die Ökonomie dreht sich immer weiter im Katastrophenmodus. Es gibt sie wirklich, diese Katastrophen – an erster Stelle das Klima. Aber, darauf bestand er, und das stimmt ja auch, es gibt auch die guten Nachrichten, die guten Kräfte, die stand- und dauerhaft für Lösungen und Alternativen arbeiten. Die haben aber einen viel zu geringen Stellenwert in der Aufmerksamkeitsökonomie. Ein Fussballprofi steht seine gesamte Karriere an exakt dieser Front, und es kostet ihn sehr viel, dabei ein anständiger Mensch zu bleiben. Die wenigsten schaffen das. Das zeigt dieser gelungene Film von Jesper Petzke deutlich.
Neugierig geworden suchmaschinte ich probeweise hinter der Produktionsfirma Tellux hinterher: eine Tochter der Tellux-Gruppe. Ein Unternehmen dieser Gruppe residiert in Bonn. Hmm, dachte ich, schau doch mal, ob du da jemand kennst. Ach du schreck, da bist du ja wieder mitten im Medienapparat von niemand geringerem als der berüchtigten deutschen Katholischen Kirche (wohin sich aktuell der ehemalige taz- und ARD/MDR-Kollege Steffen Grimberg geflüchtet hat, dessen Wikipedia-Eintrag wiederum aktuell gelöscht ist).
Das, liebe Leser*innen, ist die Unternehmensgruppe, die die Medienkorrespondenz dichtgemacht, und ihre alten Texte in ein kostenpflichtiges Archiv eingemauert hat.
Ich glaube nicht, dass sich Ewald Lienen damit beschäftigen will. Das ist eine Sache für meine Gastautoren und Experten Adalbert Krims und Hans Conrad Zander. Immerhin ist der Papst auch Fussballexperte, und hatte versucht, Lionel Messi nach Argentinien heimzuholen. Aber dafür hat die Kirchensteuer nicht mehr gereicht.
Der Film läuft zu Ewald Lienens 70. Geburtstag Ende November im WDR/ARD und wird dann auch in der ARD-Mediathek angeboten. Eine Telekom/Magenta-Abo ist also unnötig.
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