Nein, es sind nicht nur Irre öffentlich unterwegs. Auch in Kriegszeiten nicht. Täglich lassen sich zarte Vernunfttriebe entdecken, die in der real existierenden Aufmerksamkeitsökonomie zu unrecht übergangen werden. Das hat gestern bereits Ewald Lienen in Köln absolut zutreffend beschrieben. Ich fange mit dem Widerlichsten an (keine Sorge, danach wirds besser). Das ist weit länger, als die 66 Jahre, die ich lebe, die Arbeitsweise der schreibenden Angestellten des deutschen Springerkonzerns. Es wird mir ein ewiges Menschheitsrätsel bleiben, warum es Zeitgenossen*inn*en gibt, die es immer noch nicht begreifen wollen. Boris Rosenkranz/uebermedien erklärt es nochmal allen, die es immer noch nicht begreifen:

‘Sind Sie dabei?’: Wie die ‘Welt’ Prominente vorführt, weil sie ihr kein ‘Statement gegen den Judenhass’ schicken – Schweigen ist also doch nicht Gold, wie man immer dachte, Schweigen ist gefährlich. Jedenfalls, wenn man prominent ist und nicht darauf eingeht, wenn die ‘Welt am Sonntag’ fragt, ob man mal eben ein Statement ‘gegen den Judenhass’ schicken könnte. Gefährlich ist das, weil man dann schnell als jemand dasteht, der womöglich gar kein Problem hat mit Judenhass.”

Wen das nicht überzeugt, die*der lässt sich vielleicht von der Auflagenentwicklung, die seit über 30 Jahren nur eine Richtung kennt, beeindrucken …

Jetzt wirds besser

Offener Brief 100 jüdischer Intellektueller: Die Freiheit der Andersdenkenden – Über 100 in Deutschland beheimatete jüdische Künstler:innen, Schrift­stel­le­r:in­nen und Wis­sen­schaft­le­r:in­nen unterzeichnen diesen offenen Brief. Sie appellieren für Frieden und Meinungsfreiheit.” Das ist für eine bürgerliche Demokratie, die sich für entwickelt hält, zweifellos abgrundtief peinlich. Himmel und Hölle setzt Deutschlands Staatsräson in Bewegung, um ihre historische Schuld auf Andere abzuwälzen. Warum nur versteht der “Rest” der Welt das nicht?

Schon der “Rest” Europas scheint nicht ausschliesslich der in Deutschland herrschenden veröffentlichten Meinung zu sein. Ralf Streck/overton: Zehntausende demonstrieren in EU-Ländern für eine ‘gerechte’ Palästina-Lösung – In Deutschland geht weitgehend unter, dass sich in anderen EU-Ländern viele Menschen für ein ‘sofortiges Ende’ des israelischen Vorgehens gegen Palästinenser einsetzen, ohne sich hinter die Hamas und ihren Terror zu stellen. Die spanische EU-Ratspräsidentschaft kommt in Konflikt mit Israel, das Regierungsmitgliedern vorwirft, sich mit Terroristen ‘verbündet’ zu haben, weil sie Netanyahu wegen Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof sehen wollen.”

Raub der Sprache

“Ich ertappe mich bei der Lektüre und beim Nachrichtenschauen, die meisten Worte und Sätze als hohl und falsch zu empfinden, als würde die Sprache fehlen für das Richtige. Als wäre die Sprache krank geworden und als würden die Worte fehlen, um das alles akkurat zu beschreiben.” Das schreibt Robert Musik/ipg-journal: Richtig und falsch zugleich – Nach dem Hamas-Terror und Israels Antwort klingen viele Worte schal. Doch es fehlt nicht nur an Sprache, um der komplexen Situation gerecht zu werden.”

Solange es Leute gibt, die so schreiben können, ist noch nicht alles verloren.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net