Der Schock über die Geschehnisse in Israel wird immer größer – Unser Autor ist Produzent des Films „Ein nasser Hund“, in dem Israelis und Palästinenser mitspielen. Wie sieht er die Eskalation in Nahost?

Mit der 2019 entstandenen Produktion des Films „Ein nasser Hund“, der auf dem biografischen Buch „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“ von Arye Sharuz Shalicar basiert, haben wir es geschafft, das sehr schwierige und komplexe Thema des israelisch-palästinischen Konflikts, der sich in vielen Stadtteilen Berlins fortsetzt, weil er auch hier Menschen in ihrer Identität und Kultur spaltet, aufzugreifen und so zu erzählen, dass im Ergebnis nur eine ausgleichende Koexistenz zwischen einer jüdischen und moslemischen, aber auch christlichen oder religionsfreien Identität dazu führt, in Frieden gemeinsam leben zu können.

Der brutale, schockierende und menschenverachtende Angriff der Hamas aus dem Gazastreifen auf Israel vor zwei Wochen hat neue Dimensionen. Hier sind keine islamischen Extremisten oder ultraorthodoxe jüdische Siedler am Zündeln gewesen, hier wurde durch eine islamistische Terrororganisation ein Flächenbrand ausgelöst.

Eine ganze Region, nicht nur Israel, wurde dadurch an den Rand eines Krieges gebracht. Unzählige unschuldige Menschen, ganz gleich welcher Herkunft, wurden getötet oder verwundet. Die Gefahr für viele weitere Menschen ist wahrlich noch nicht gebannt. Die Hamas hat die Spirale der Gewalt und des Krieges ausgelöst. Die Appelle vieler in der Welt an die Regierung Israels, sich bei der Verteidigung an das Völkerrecht zu halten und die Zivilbevölkerung zu verschonen, machen die Sorgen deutlich, dass die Erwiderung Israels eine Vergeltung wird.

Unterschiedliche Konsequenzen des Krieges

Es gibt unzählige Ansätze für eine dauerhafte Friedenslösung. Doch im Moment stehen Vergeltung und Rache im Vordergrund. Rein emotional ist das aus der Sicht der Israelis verständlich, genauso aber ist die wütende Betroffenheit jedes Palästinensers, der vom Tod eines Nächsten im Gazastreifen hört, nachvollziehbar. Das gegenseitige Aufrechnen wird keinen Frieden bringen, genauso wenig wie eine Pauschalisierung der Dinge zur Versöhnung führt oder das gesamte palästinensische Volk in Haftung nehmen eine Antwort ist.

Die Beteiligten an dem Film sind ganz unterschiedlich von dieser Situation betroffen: in Berlin oder Tel Aviv. Das reicht vom bekannten Autor des dem Film zugrunde liegenden Romans Arye Sharuz Shalicar, der in diesen Tagen als Pressesprecher der Reserve der israelischen Armee eine hohe Medienpräsenz hat, über den israelischen und in Berlin beheimateten Sänger Ran Nir, der mit seinem beliebten Song „Obsession“ zur Filmmusik des Films beigetragen hat, bis hin zu dem jungen, im Libanon geborenen Palästinenser Mohammad Eliraqui, der in unsrem Film die Hauptrolle des Husseyn spielt.

Über die richtigen Konzepte einer Koexistenz des palästinensischen und israelischen Volkes haben die Menschen, die bei „Ein nasser Hund“ mitgemacht haben, unterschiedliche Meinungen. Der Schmerz der Heimatlosigkeit ist bei vielen in Berlin und Deutschland lebenden Palästinensern groß. Viele empfinden es als Leid und Ungerechtigkeit. Für den zivilen, politischen Widerstand vieler Palästinenser darf man in einer Demokratie Sympathien zeigen und als Gegner muss man diese Sympathien ertragen. Dies gilt im Umgekehrten aber genauso: Das Existenzrecht Israels ist ein im Völkerrecht verankerter Anspruch auf einen eigenen Staat in den international anerkannten Grenzen.

Menschen, die nach Deutschland immigriert sind, müssen es vorbehaltlos anerkennen, dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson ist. Das ergibt sich nicht nur auf der Grundlage des Völkerrechts, sondern ist eine Konsequenz der Verantwortung der Deutschen für den Holocaust. Es ist sehr wichtig, dass dies in diesen Tagen nochmals so unmissverständlich deutlich gemacht wird.

Wichtig ist, sich die Hand zu reichen

Die Zusammenarbeit aller Beteiligten bei der Produktion des Films und auch die Aussage des Films haben die bestehenden Kontroversen und Meinungsverschiedenheiten untereinander nicht überwinden können (das war aber auch nie das Ziel dieses Films), sondern blieben bestehen: Weshalb auch nicht!

Wesentlich ist es, dass man respektvoll miteinander spricht und vor allem zuhört, sich zur Begrüßung und Verabschiedung die Hand reicht. Da die Beteiligten alle stolz auf den Film sind, stehen sie hinter den Werten, die die Produktion möglich machte. Schon aus diesem Grund hat dieses Projekt eine Menge erreicht. Dafür steht sinnbildlich, dass der im Libanon geborene Schauspieler Kida Khodr Ramadan, der für seine Verkörperung vieler Gangster aus der sogenannten arabischen Clan-Welt bekannt wurde, den jüdischen Vater unseres Hauptdarstellers spielte.
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Sorgen unserer palästinensischen Mitmenschen

Die Eskalation des Konflikts im Nahen Osten – das zeigt sich einmal mehr – erleben wir nicht nur in Israel, im Westjordanland, dem Gazastreifen und angrenzender Länder, sondern auch in Berlin.

Zum einen muss Folgendes in aller Deutlichkeit geschrieben werden: Mord und Entführungen von Kindern, Frauen und Alten ist barbarisch, ist unehrenhaft und einfach nur verachtenswert. Es ist abscheulich, wenn sich sogenannte Sympathisanten der Hamas in Neukölln oder anderen Teilen Berlins zusammenrotten und das unfassbare Verbrechen der Hamas als einen Sieg der Palästinenser feiern. Hier feiern Menschenfeinde und Terroristenfreunde. Nur weil die Sympathisanten der Hamas in Neukölln keine Hakenkreuzfahnen schwenken, sind sie dennoch Personen, die unsere Verfassung mit den Füßen treten. Natürlich ist Kritik an Israel kein Antisemitismus. Aber den Angriff der Hamas zu preisen, ist nichts als blanker Antisemitismus – es ist Judenhass.

Zum anderen darf die mehrheitsgesellschaftliche Erwartung, dass sich alle Betroffenen aus guten, vor allem auch moralischen Gründen, klar positionieren sollen, was die Gewalt der Hamas betrifft, nicht die Sorgen gerade unserer palästinensischen Mitmenschen marginalisieren.

Schärfe im Ton verständlich

Mohammad Eliraqui rief in diesen Tagen aufgewühlt an. Das geschah, kurz nachdem ich mit dem israelischen Regisseur Eran Riklis ein paar Nachrichten über die Lage in Tel Aviv austauschte, die mit dem Satz endete: „… terrible day and days to come“. Die tiefe Verunsicherung von Mohammad Eliraqui, der eigenen Angaben zufolge bereits Familienmitglieder, so eine Tante und einen Cousin, betrauern muss, die im Gazastreifen zu Tode gekommen sind, drückte sich in seinem fast verzweifelten Hinweis darauf aus, dass er doch mit „Ein nasser Hund“ bei vielen jüdischen Filmveranstaltungen teilgenommen hat, unter anderem auch an der Eröffnung des Jüdischen Filmfests in Wien, wo der Film begeistert aufgenommen wurde. Ein jüdischer Freund, den er genau bei einer solchen Veranstaltung kennengelernt hat, fragte ihn über WhatsApp, wie es ihm mit dem schrecklichen Konflikt erginge, und so entspannte sich ein bewegender Austausch über die Geschehnisse.

Sich Gehör zu verschaffen, wenn man vermeintlich auf der richtigen Seite steht, ist immer einfacher. Wenn man wie Arye Sharuz Shalicar dazu Sprecher der israelischen Reserve ist, hat man die berufliche Pflicht, sich Gehör zu verschaffen. Die Schärfe im Ton von Arye Sharuz Shalicar ist vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse verständlich, denn seit dem Holocaust sind nie mehr so viele Jüdinnen und Juden an einem Tag umgebracht worden.

Menschlichkeit ist universell

Es ist zu lesen, dass Menschen aus über 25 verschiedenen Ländern in der letzten Woche umgekommen sind, unter anderen auch Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft. Jedes Opfer ist ein Opfer zu viel. Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Israel hat ein Selbstverteidigungsrecht, aber Selbstverteidigung heißt nicht wahlloses Töten unschuldiger Menschen, die keine Chance haben, nun aus dem Gazastreifen zu fliehen und sich in Sicherheit zu bringen. Die Spirale der Gewalt muss ein Ende nehmen.

Die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte genau vor einer Woche einen bemerkenswerten Aufruf von Daniel Barenboim mit der Überschrift „Unsere Friedensbotschaft muss lauter denn je sein“. Ich zitiere: „Die größte Gefahr ist doch, dass alle die Menschen, die sich so sehnlichst Frieden wünschen, von Extremisten und Gewalt übertönt werden. Jegliche Analyse, jegliche moralische Gleichung, die wir möglicherweise aufsetzen, muss aber als Basis dieses Grundverständnis haben: Es gibt Menschen auf beiden Seiten. Menschlichkeit ist universell, und die Anerkennung dieser Wahrheit auf beiden Seiten ist der einzige Weg. Das Leiden unschuldiger Menschen auf egal welcher Seite ist absolut unerträglich.“

Angriffe gegen die Meinungsfreiheit

Die Stimmung nicht nur in Berlin-Neukölln ist aufgeputscht, sondern auch in den Stadtteilen, in denen jüdische Mitbürger aus Angst nicht mehr ihrem normalen Alltag nachgehen, was in Deutschland eigentlich nie mehr hätte passieren dürfen. Es wird nicht mehr unterschieden zwischen Nachrichten, Gerüchten oder Fake News. Fußballspieler aus arabischen Ländern demonstrieren in den sozialen Medien ihre Sicht der Dinge. Die sind vielleicht falsch, manches davon ist Propaganda. Aber wir leben in einem Land, in dem die freie Meinungsäußerung ein garantiertes Grundrecht ist, übrigens etwas, das es im Gazastreifen nicht gibt.

Die „korrekte“ Öffentlichkeit spricht bereits davon, Menschen, die sich „unkorrekt“ äußern, mit einem Berufsverbot zu belegen. Gleichzeitig werden die sozialen Medien genutzt, um eine Art Entweder-oder-Solidarität mit Israel einzufordern. Frauen und Männer, die die generellen Ursachen des Konflikts auch in der Politik der israelischen Regierung sehen und sich dennoch mit den Menschen in Israel solidarisieren, werden auf einmal aus einer Ecke angegriffen, für die sie gerade eigentlich Partei ergreifen.

Ein Appell an die Öffentlichkeit

Ich fragte Mohammad Eliraqui, ob er eine Stellungnahme abzugeben bereit wäre. Darauf schrieb er mir: „Ich betrachte es mit großer Sorge, wie palästinensische und jüdische Jugendliche derzeit unter der politischen Situation im Nahostkonflikt leiden. Es macht keinen Sinn, sich politisch auf irgendeine Seite zu stellen, sondern anzuerkennen, dass die Gewalt, die geschieht, Menschen angetan wird, die selbst nicht für diese Gewalt verantwortlich sind. Man sorgt nicht für Frieden, indem man sich auf irgendeine Seite stellt. Sondern es geht darum, insgesamt die Gewalt zu verurteilen, die unschuldigen Menschen angetan wird.“

Das sind sehr kluge Worte für einen jungen Mann, der hin- und hergerissen wird. Seinen Worten haben sich inzwischen der Regisseur Damir Lukacevic und Doguhan Kabadayi, der neben Mohammad Eliraqui die andere Hauptrolle spielt, sowie viele der jungen Schauspielerinnen und Schauspieler des Films angeschlossen.

Der Autor wurde am 1. Januar 1968 in München geboren. Er ist ein deutscher Filmproduzent und Filmschaffender, der u. a. an der Produktion und Herausbringung von Filmen wie „Cloud Atlas“ beteiligt war und über seine Firma A-Company Film Licensing International Filmrechte nach Osteuropa vertreibt. Er produzierte den Film „Ein nasser Hund“. Dieser Beitrag unterliegt der Creative Commons Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nicht kommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.

Über Alexander van Dülmen / Berliner Zeitung:

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