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Anti-Apartheid

Es gibt zwei Gründe, sich dem Thema Apartheid näher zu widmen. Erstens weil die Anti-Apartheid-Konvention der Vereinten Nationen Geburtstag hat. Sie wurde vor 50 Jahren, nämlich am 30. November 1973, von der UN-Generalversammlung verabschiedet. Am 18. Juli 1974 trat sie in Kraft, derzeit hat sie 109 Unterzeichnerstaaten. Zweitens weil im aktuellen Konflikt in Palästina dem Staat Israel eine jahrzehntelange Apartheidpolitik gegenüber den Palästinensern vorgeworfen wird.

Die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hatte dazu bereits  2021 in einem mehr als 200 Seiten starken Bericht dargelegt und begründet, warum die israelische Politik als Apartheid zu bezeichnen ist. 2022 veröffentlichte Amnesty International einen zum gleichen Ergebnis kommenden Report von fast 300 Seiten.

Die „Internationale Konvention über die Bekämpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid“ definiert Apartheid als „unmenschliche Handlungen, die zu dem Zweck begangen werden, die Herrschaft einer rassischen Gruppe über eine andere rassische Gruppe zu errichten und aufrechtzuerhalten und diese zu unterdrücken.“ Dies schließe „die Politik und Praxis der Rassentrennung und -diskriminierung, wie sie im südlichen Afrika betrieben erden“, mit ein.

Anlass für die Verabschiedung der Anti-Apardheid-Konvention waren nämlich die damals bestehenden Apartheid-Systeme in Südafrika und Südrhodesien. Allerdings sollten auch gleichartige Verbrechen in anderen Staaten geächtet und verfolgt werden. Die Apartheid in Südafrika ist verschwunden, und Apartheidverbrechen sind Bestandteil des Völkerstrafrechts geworden. 

Viele Jahre haben die Vereinten Nationen das Apartheidsystem in Südafrika bekämpft. Regelmäßig verurteilten die UN-Generalversammlung und mehrfach auch der UN-Sicherheitsrat diese Unterdrückungspraxis der Buren, die ihr nebenbei auch noch den Namen gegeben hatten. Apartheid bedeutet auf Afrikaans ‘Getrenntheit’. Änderungen gab es nicht. Daher beschloss die UN-Generalversammlung 1965 ein Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD), das 1969 in Kraft trat. 

Es verpflichtete die Unterzeichnerstaaten zur Verurteilung, zur Verhütung, zum Verbot und zur Beseitigung „rassischer Segregation und Apartheid“. Die Aufnahme weiterer Tatbestände wie Friedensverbrechen, Kolonialismus, Rassismus, Nazismus und Antisemitismus fand keine Mehrheit. Zwar war das Abkommen auf Südafrika gemünzt doch wurde das Land nicht namentlich erwähnt. Auf einer UN-Tagung im Sommer 1976 wurden Südafrika, Rhodesien, die damaligen Kolonien Portugals, das Basutoland, das Betschuanaland und das Swaziland aufgelistet.

1973 wurde der Entwurf der Konvention vorgelegt, die Apartheid nicht nur als Verstoß gegen die UN-Charta, sondern als Verbrechen durch „rassische Personengruppen“ definierte. Sie wurde in der UN-Generalversammlung mit Mehrheit beschlossen; Großbritannien, Portugal, Südafrika und die USA stimmten dagegen; 26 Staaten enthielten sich. Als rassistisch begründet Verbrechen werden Mord, Folter, unmenschliche Behandlung, willkürliche Verhaftung, aufgezwungene Lebensumstände, politische, soziale, ökonomische und kulturelle Benachteiligung, rassische Trennlinien (etwa durch vorgegebene Wohnbereiche) und das Verbot interrassischer Ehen genannt. Wer Apartheid praktiziert oder dazu aufruft, soll strafrechtlich verfolgt werden.

Die Konvention sieht ausdrücklich ein internationales Straftribunal für die genannten Verbrechen vor, daher wurden auch dafür Vertragsentwürfe erarbeitet. Sie führten 1998, also viel später,  zur Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). Dabei war strittig, ob Apartheid als eigener Straftatbestand aufgelistet werden solle oder nicht bereits durch den Begriff der ‘Verbrechen gegen die Menschlichkeit’ abgedeckt sei. Letztlich setzten sich jene durch, die ein eigenes Verbot forderten. Nur sieben Staaten lehnten das Statut für den IStGH ab: VR China, Irak, Israel, Jemen, Katar, Libyen und die USA. 

Inzwischen ist das Verbot von Apartheid und Rassendiskriminierung laut Völkerrechtskommission als zwingende Norm und als Teil des Völkergewohnheitsrechts anzusehen. Damit kann die Verfolgung von Verstößen auch gegen Nichtunterzeichner der Anti-Apartheid-Konvention erfolgen, sofern diese den Internationalen Strafgerichtshof akzeptiert oder autorisiert haben.

Dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch von 2002 zufolge macht sich jemand strafbar, der „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen …. als unzulässig anerkannten Gründen grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt.“

Die Begriffe ‘Rasse’ und ‘Rassendiskriminierung’ werden nicht mehr verwendet. Der Rassebegriff hat sich als pseudowissenschaftlich erwiesen, weil er Menschen in Unterarten mit angeblich unveränderbaren inneren und äußeren Merkmalen aufteilte. Heute spricht man davon, dass Apartheid ein Verbrechen sei, dass auf ‘rassistischer Diskriminierung’ beruht.

Seit etwa1990 wird der Begriff „Apartheid“ auf  Sachverhalte in verschiedenen Staaten angewandt. In Myanmar werden die Rohingya, eine ethische muslimische Minderheit in einem weitgehend buddhistischen Staat, schon seit Jahrzehnten diskriminiert. Ab 1992 entzog ihnen die Regierung die Staatsbürgerschaft, verweigerte ihnen Bildung, Mobilität und Selbstbestimmungsrechte und internierte sie willkürlich und unbefristet in Lagern.  Nach gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen mehrere Tausend Rohingya ermordet, Frauen vergewaltigt und Dörfer niedergebrannt wurden, flohen ca. 700.000 Menschen ins benachbarte Bangladesch, wo sie unter schwierigsten Verhältnissen leben.

Die Uiguren sind eine überwiegend muslimische Volksgruppe in Zentralasien, rund 90 % (10 Mio.) leben in der chinesischen Provinz Xinjiang. China hat diese Region 1949 annektiert und siedelt seitdem dort Chinesen aus anderen Landesteilen an. Die daraus erwachsenen Konflikte führten dazu, dass China ein Überwachungssystem einrichtete, das als Apartheid einzustufen ist. Die Religionsfreiheit ist massiv eingeschränkt, unbequeme oder verdächtige Uiguren werden in Umerziehungslager gebracht, Zwangsarbeit ist nicht selten.

Zweifellos gibt es noch eine Reihe anderer Staaten, wo Minderheiten in unterschiedlicher Intensität diskriminiert werden. Beispielhaft sind Dafur, Tibet und die Westsahara zu nennen. Bekannt ist vielleicht das nordkoreanisches Kastensystem, das von den Vereinten Nationen als Apartheid bezeichnet wird. Immer wieder wird die Behandlung der Palästinenser/innen im israelischen Staatsgebiet und im besetzten Westjordanland als Apartheid angeprangert. 

Trotz vieler harter Resolutionen und Vorwürfe hat jedoch bislang noch kein nationales oder internationales Gericht eine Person oder eine Gruppe wegen Apartheid angeklagt oder verurteilt. Als Gründe werden unklare Tatbestände, ungeeignete Fälle, politische Fronten und die Tatsache genannt, dass eine Reihe von Staaten die Konvention nicht ratifiziert hat. In Südafrika wurde die Apartheid nach ihrer Abschaffung in einer Wahrheits- und Versöhnungskommission aufgearbeitet. Immerhin untersucht der IGSt inzwischen die Verfolgung der Rohingya.

 

Umso stärker konzentriert sich die Diskussion immer wieder auf Israel. Schon 1975 bezeichnete eine UN-Resolution Zionismus als Form des Rassismus und stellte Israel ausdrücklich in eine Reihe mit Südafrikas Apartheidsystem. Der 2006 gegründete UN-Menschenrechtsrat hat Israel in zehn Jahren 62 mal gerügt. Ein vom UN-Generalsekretär berufener Sonderberichterstatter verglich 2007 verglich sogar Israels Militärverwaltung im Westjordanland mit Südafrikas Apartheid. Ein anderer Sonderberichterstatter zog 2011 sogar Parallelen zum Nationalsozialismus und erhob den Vorwurf von Apartheid und Segregation in Israel.

 

Die Konzentration der Apartheid-Vorwürfe auf Israel hat besondere Gründe. Zweifellos rühren sie vielfach noch aus der Geschichte des Staates Israel her, der Eroberung des palästinensischen Landes, der Vertreibung der Palästinenser und der Besetzung von Jerusalem und dem Westjordanland. Dagegen hat es eine Reihe von UN-Resolutionen gegeben, die Israel allesamt ignoriert hat. Diese Missachtung und Uneinsichtigkeit prägt die Haltung der arabischen und islamischen Nachbarstaaten und führt dazu, dass sich bei Abstimmungen – unter Einbezug blockfreier Staaten – gegen Israel gerichtete Mehrheiten ergeben.

Die Berichte von Amnesty International und Human Rights Watch über Apartheid in Israel  stehen nicht allein. Es gibt eine ganze Reihe von Stellungnahmen palästinensischer, israelischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen, für die in Israel bzw. in den besetzten palästinensischen Gebieten die Schwelle zur Apartheid überschritten ist. Teilweise unterstützen sie die Vorwürfe von AI. Manche werfen Israel (nur) vor, in den besetzten Gebieten ein System der Apartheid installiert haben. Andere kritisieren, dass auch im israelischen Kernland eine institutionalisierte Diskriminierung besteht. Der dritte Ansatz bezieht auch Israels Verhalten gegenüber den palästinensischen Flüchtlingen ein (so Amnesty International).

Amnesty International bezieht auf die Gründung Israels und das seitdem geltende Ziel, eine jüdische Bevölkerungsmehrheit zu schaffen und aufrecht zu erhalten. Dazu wäre „bewusst ein System der Unterdrückung und Beherrschung der Palästinenser“ geschaffen worden. Dazu beschreibt der Bericht im einzelnen unterschiedliche Arten von Diskriminierung und Einschränkung von Rechten. So sei das Westjordanland durch zwei separate Rechts- und Verwaltungssysteme geprägt. Dort und im Gazastreifen sei der Zugang zu den landwirtschaftlichen Flächen und zu den Fischereigebieten und die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Aus bestimmten Regionen in Jerusalem und im Westjordanland würden die Palästinenserinnen zunehmend verdrängt.

Hierzu einige erwähnenswerte Einzelheiten:

– Die Armee entscheidet über Arbeitsgenehmigungen für Palästinenser. Bei palästinensischen Demonstrationen wird die Armee eingesetzt, bei israelischen Demonstrationen ist die Polizei zuständig.

– Die Bewegungsfreiheit der Palästinenser/innen im Westjordanland ist durch Checkpoints, Straßenblockaden und Genehmigungsverfahren stark eingeschränkt.

– Die Häuser der Angehörigen von palästinensischen Selbstmordattentätern werden mit Bulldozern zerstört. Woanders nennt man das Sippenhaft.

– Jährlich werden von den israelischen Besatzungstruppen 600 bis 800 Kinder inhaftiert und zu Strafen von durchschnittlich acht Monaten verurteilt, zumeist weil sie Soldaten mit Steinen beworfen haben.

– Israelische Sicherheitskräfte haben gesetzlich die Möglichkeit, Menschen in „Administrativhaft“ zu nehmen und über Jahre ohne Anklage oder Gerichtsverfahren festzuhalten. Begründung solcher Verhaftungen ist, „dass die Person plant, in Zukunft gegen das Gesetz zu verstoßen“ (so die israelische Organisation Btselem).

– Das von Israel gebaute Autobahnnetz im Westjordanland dürfen Palästinenser/innen nicht benutzen.

– Jüdische Siedler/innen greifen Palästinenser/innen mit physischer Gewalt an, werden manchmal sogar von der Armee dabei unterstützt und bleiben straflos.

– Israelische Siedler/innen dürfen palästinensischen Bauern das Wasser abgraben und tiefe Bohrungen ins Grundwasser vornehmen. So werden die Quellbrunnen der Landwirte trockengelegt. Aus deren nicht bewässerten Feldern wird Brachland, das nach einigen Jahren zu öffentlichem Land erklärt wird und der Besatzungsmacht Israel zufällt.

Human Rights Watch und Amnesty International werfen Israel Apartheidsverbrechen vor und fordert eine internationale Strafverfolgung, UN-Sanktionen, ein Waffenembargo, Reiseverbote nach Israel, den Abbruch ökonomischer Beziehungen, das Einfrieren von Auslandskonten, einen Boykott für Produkte aus den israelischen Siedlungen im besetzten Gebiet und ein Rückkehrrecht für vertriebene Palästinenser/innen. Gleichzeitig distanziert sich HRW allerdings von allen, die das Existenzrecht Israels in Zweifel ziehen, den Holocaust leugnen oder antisemitische Ziele verfolgen.

Selbst die israelischen Premierminister David Ben Gurion, Jitzhak Rabin, Ehud Barak und Ehud Olmert) haben in der Vergangenheit immer wieder davor gewarnt, dass die Herrschaft über die Palästinenser/innen zu Apartheid führen könne. Auch eine nicht geringe Zahl von jüdischen Israelis sieht das so. 2021 stimmten bei einer Umfrage in den USA 25% der jüdischen Wahlbevölkerung der Aussage zu, Israel sei ein Apartheidstaat. Ganz aktuell hat der frühere UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Israel vorgeworfen, sich in Richtung eines Apartheidstaates zu bewegen. Er bezog sich auf den Ausbau der Siedlungen im Westjordanland und andere Einschränkungen der Palästinenser/innen. Ki Moon hatte als Mitglied einer Delegation von Friedens- und Menschenrechtsinitiativen die Region besucht.

Wie zu erwarten, bewertet die israelische Regierung den Vorwurf der Apartheid als falsch, einseitig und antisemitisch. Sie bezeichnet Amnesty und den Bericht pauschal als antisemitisch, setzt sich jedoch nicht mit den einzelnen Vorwürfen auseinander. Dabei ist Amnesty nur der „Überbringer“ der schlechten Nachrichten. Israel begründet eine Reihe von diskriminierenden Regelungen mit eigenen Sicherheitsinteressen und wirft Amnesty vor, nur jene Tatbestände erfasst zu haben, die einem Apartheid-Merkmal zugeordnet werden können. Das ist wahrscheinlich unstrittig und entspricht dem Arbeitsansatz von AI. Kritische Stimmen sind unerwünscht und werden gern als Antisemitismus gebrandmarkt. Dabei wird gern unterschlagen, dass es bei vielen Vorkommnissen gar nicht um Antisemitismus, also Judenfeindlichkeit, sondern um Antizionismus handelt, also Kritik an der Politik des Staates Israel. Der Unterschied zwischen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit bleibt allzu oft unberücksichtigt.

Den Apartheid-Vorwürfen gegenüber Israel wird entgegengehalten, dass Israel ein Rechtsstaat mit gleichen Staatsbürgerrechten für Juden und Nichtjuden sei. Letztere stellen rund 20% der Bevölkerung und seien im Parlament vertreten, nähmen Richterfunktionen ein und besetzten Leitungsämter im Bildungswesen, in der Medizin und sogar im Militär. Solche Toleranz gäbe es in keinem anderen Nahoststaat. Insofern werde Israel schlechter behandelt als andere Staaten der Region, z.B. Syrien oder der Iran. Die rechtlich unterschiedliche Behandlung im Westjordanland sei Teil der Militärbesatzung und diene allein Israels Sicherheit. 

Nachdrücklich wehrt sich Israel gegen eine Gleichsetzung mit Südafrikas Apartheidpolitik. In der Tat gibt es die offenkundigsten, für Südafrikas Apartheid typischen Diskriminierungen in Israel nicht (z.B. getrennte Busse, Toiletten, Krankenhäuser). Eine Gleichsetzung von Israel und Südafrika ist nicht gerechtfertigt und wird heute nicht mehr ernsthaft vorgetragen. Die Zurückweisung ist eher ein taktisches Argument. AI bezieht sich auf die Rassendiskriminierungskonvention von 1965 und die Anti-Apartheid-Konvention von 1976. Deren Definition umfasst die Absicht einer rassischen Gruppe, andere zu dominieren, eine systematische Unterdrückung und schwerwiegende Verstöße in Form unmenschlicher Behandlung.

Der politisch stark aufgeladene Streit um den Vorwurf, dass in Israel ein Apartheidsystem herrsche, liegt auch daran, dass dieser Begriff zwar in verschiedenen völkerrechtlichen Dokumenten enthalten ist, aber unterschiedlich ausgelegt wird. Zudem sind fast alle einschlägigen Verträge nicht von Israel ratifiziert worden. Sie sind für Israel nur dann bindend, wenn sie völkergewohnheitsrechtliche Positionen widerspiegeln. Abgesehen von der Beweisfrage stellt sich – so der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages – die Frage, auf welchem Wege sich eine völkerrechtliche Verantwortung Israels begründen und durchsetzen iieße.

Ungeachtet der Definiftionsproblematik lässt sich wohl kaum abstreiten, dass es in dem von Israel besetzten und verwalteten Gebieten ein institutionalisiertes und auf Dauer angelegtes System der Diskriminierung gibt und dass dieses Merkmale eines Apartheidverbrechens zeigt: Segregation nach Volkszugehörigkeit und Religion, Verdrängung aus strategischen Gebieten, Administrativhaft, unverhältnismäßiger Gewalteinsatz, Verweigerung elementarer Rechte und Freiheiten, Beschränkung ökonomischer Rechte. 

Das israelische Nationalstaatsgesetz von 2018 separiert ganz offen zwischen Jüdinnen/Juden und Palästinenser/innen. Dort heißt es, dass Israel die historische Heimat des jüdischen Volks sei und dass nur dieses das exklusive Recht auf nationale Selbstbestimmung habe. Auch wird dort ohne formelle Annektion das Westjordanland für Israel beansprucht: „Der Staat sieht die Entwicklung jüdischer Siedlungen als nationalen Wert an und wird deren Entstehung fördern und Unterstützen.“

Alle Berichte und Anklagen werden wohl keine Verhaltensänderung in Israel bewirken, Israel hat mächtige Verbündete, auf die es sich verlassen kann, die keinen oder nur geringen Druck ausüben und die dafür sorgen, dass keine allzu strengen Verurteilungen oder gar Sanktionen erfolgen. Daher zieht Israel keine Konsequenzen aus den vielfachen Rügen und Verurteilungen. Zudem ist die israelische Regierung unbeirrbar von der Richtigkeit und Notwendigkeit ihres Handelns überzeugt. So hat sie im Oktober 2021 sechs palästinensische Menschenrechts- und Zivilgesellschaftsorganisationen als terroristisch eingestuft und damit deren Arbeit quasi unmöglich gemacht.

2018 legte Palästina beim Ausschuss gegen rassistische Diskriminierung, der als Kontrollorgan der Anti-Rassismus-Konvention wirkt, eine „Staatenbeschwerde“ gegen Israel ein. Der Ausschuss hat zunächst 2019 und 2021 seine Zuständigkeit festgestellt und die Zulässigkeit der Beschwerde bejaht. Sodann hat er eine „Vergleichskommission“ eingesetzt, die eine gütliche Einigung herbeiführen, einen Sachstandsbericht erstellen und Empfehlungen für Lösungen erarbeiten soll. Wie diese ausfallen, bleibt abzuwarten.

2021 hat der Internationale Strafgerichtshof aufgrund einer Anzeige seines Mitgliedstaates Palästina Ermittlungen zur Lage der Palästinenser aufgenommen. Zuvor musste allerdings geklärt werden, dass der IGSt überhaupt tätig werden darf. Israel ist nämlich dort nicht Mitglied. Untersuchungsregionen sind demnach (nur) das besetzte Westjordanland, Gaza und Ost-Jerusalem. Israels Regierungschef Netanyahu bezeichnete die Ermittlungen des IStG daraufhin als antisemitisch.

Solange keine internationalen Sanktionen erfolgen, fühlen sich Konfliktparteien zu weiteren Rechtsbrüchen ermuntert. Änderungen werden – wenn überhaupt – nur durch Entscheidungen des Internationalen Strafgerichtshofs und massive internationale Unterstützung möglich sein. Zumindest eine endgültige völkerrechtliche Beurteilung der israelischen Praxis wäre zu erhoffen. Allerdings bleibt offen, ob Israel eine solche Entscheidung anerkennt, da es nicht Mitglied des IStG ist.

Zudem sind die Durchsetzungs- und Vollstreckungsmöglichkeiten des IStG begrenzt. Er ist auf eine Zusammenarbeit mit seinen Mitgliedstaaten angewiesen. Diese sind zur Unterstützung verpflichtet, z.B. beim Vollzug von Haftbefehlen und der Überstellung von Angeklagten, bei der Stellung von Beweisen und Zeugen, bei der Vollstreckung von Strafen oder bei der Realisierung von Sanktionen. Die Umsetzung der Entscheidungen des IStG kann allerdings kompliziert sein, wenn die betroffenen Staaten nicht mitwirken oder nicht Mitglied sind.

Ohnehin ist nicht absehbar, welche Änderungen, Verwirrungen und Machtverschiebungen die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Israel bewirken werden und zu welchen Ergebnissen die völkerrechtliche Aufarbeitung der dabei erfolgten Verbrechen gegen die Menschlichkeit führen wird.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.

Ein Kommentar

  1. Martin Böttger

    Lieber Heiner, Deine streng sachliche Darstellungsform schätze ich sehr, zumal ich selbst mich oft nicht mehr dazu in der Lage sehe. Sie veranlasst mich zu folgender kritisch-ergänzender Darlegung.
    Ein hinkender Vergleich kann immerhin ergeben, dass Dinge ungleich sind. Ist ein aufmerksamkeitsökonomischer Steigerungswettbewerb erforderlich, um politische Missstände zu bekämpfen? Ich meine: nein. Vernunft reicht aus.
    In der Ablehnung der südafrikanischen Apartheid hat es international einen weit grösseren Konsens gegeben, als in dem gegen die vorgebliche israelische. Das dürfte wesentlich daran gelegen haben, dass die politische Alternative, der ANC in seiner Charta erklärt hat, das Land gehöre “allen”, die darin leben. Von Vertreibung war nicht die Rede. Dem ANC blieb seinerzeit nicht verborgen, dass sowohl die BRD als auch Israel an UN-Beschlüssen vorbei das Apartheidsystem ökonomisch und militärisch-atomar unterstützten. Das war übel rassistisch und bekämpfenswert. Apartheid war es nicht.
    In den ANC-Reihen kämpften Weisse mit gegen den Rassismus und stiegen auch zu Führungskadern auf. Welch ein Gegensatz zum menschenfeindlichen und religiös aufgeladenen Rassismus der Hamas.

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