oder schreckliche Auswege zeigen.
Viele Menschen erinnern sich an Willy Brandt als Kanzler der Entspannungspolitik, der offenen Gesellschaft, der sozialliberalen Gesellschaftsreformen und des “wir wollen mehr Demokratie wagen”. Er ist bis heute eine Ikone der sozialliberalen und friedenspolitischen Umwälzung des Muffs von 1000 jahren, der im Apparat verbliebenen Repräsentanten des Dritten Reiches und des spießigen Konformismus der 60er Jahre. Aber die Ära Brandt enthielt noch etwas anderes: eine ähnliche politische Rutschbahn, wie sie aktuell dem Ampelbündnis droht.
Bei allem Reformwillen, bei aller Euphorie über die 1972 gewonnene Bundestagswahl, bei der die Ostverträge und die Entspannungspolitik als Identifikationsthemen dominierten und von der Mehrheit bestätigt wurden, hatte Willy Brandt ab 1973 mit einer massiven Wirtschaftskrise zu kämpfen. Ähnlich wie heute begann damals der Wirtschaftsflügel der FDP unter Hans Friedrichs und Otto Graf Lambsdorff innerhalb der Koalition zu zündeln. Der zum Nachfolger des plötzlich verstorbenen, charismatischen Generalsekretärs Karl-Herrmann Flach gewählte Martin Bangemann begann mit einem “Offenhalten der Koalitionsfrage” gegenüber Kohls CDU 1976 die sozialliberale Koalition zu torpedieren und konnte nur durch eine ungewöhnliche Koalition von Jungdemokraten und konservativen Liberalen (Josef Ertl, Schorsch Gallus) gestoppt werden.
Es gärte in der SPD-Fraktion des Bundestages
Wenige erinnern sich heute noch daran, dass es in der SPD harte Gegensätze gab, die weniger als heute politischen Charakter hatten. Es gab zwar die Jusos, aber die verloren nach 1974, als das populäre Vorsitzenden-Duo Ingrind Matthäus – Jungdemokraten – und Wolfgang Roth – Jungsozialisten – in beiden Organisationen nicht mehr wiedergewählt wurden, an publizistischer Bedeutung. Wichtig war der Zuchmeister der SPD-Bundestagsfraktion, Herbert Wehner. Und der machte keinen Hehl aus seiner Meinung, dass er Brandt für einen zu abgehobenen, einer Krise nicht gewachsenen Kanzler hielt. Er war der Meinung, dass mit Brandt die nächste Bundestagswahl nicht gewonnen werden könne und machte über die “Kanalarbeiter”, den rechten Flügel der SPD-Bundestagsfraktion, massiv Stimmung gegen Brandt.
Die Guillaume-Spionageaffäre gab den Ausschlag
Als bekannt wurde, dass sich ein DDR-Spion als persönlicher Referent in die unmittelbare Nähe des Bundeskanzlers Willy Brandt einschleichen konnte, nahm dies Willy Brandt zum Anlass, zurückzutreten. Er hätte das eigentlich nicht gemusst, denn die politische Verantwortung für diese Entwicklung hatte vielmehr Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP). Der Verfassungsschutz, zuständig für Spionageabwehr und im Ressort des Innenministers, hatte offensichtlich den langjährigen “Schläfer” der DDR-Spionage samt dessen Frau nicht erkannt oder übersehen. Brandts Rücktritt machte den Weg frei für Helmut Schmidt, den Favoriten Herbert Wehners, der in ihm schon lange den besseren Bundeskanzler gesehen hatte, weil er ihn gegenüber Brandt in Führungsstärke, Kompetenz, selbstbewusstem und eloquentem Auftreten um Längen voraus sah. Wehner soll es deshalb gewesen sein, der Brandt im persönlichen Gespräch ultimativ zum Rücktritt aufgefordert hat. In der Tat ist Schmidts Rhetorik gegenüber dem tumben Helmut Kohl in Fernsehrunden bis heute Legende.
Ein SF-Gedankenspiel 2024
Die Staatsanwaltschaft Köln eröffnet im März 2024 eine Anklage im Cum-Ex-Verfahren gegen die Chefs der Warburg-Bank Hamburg. Im Verlaufe der Beweisaufnahme verdichtet sich im Mai 2024 der Verdacht, dass bei der nicht erfolgten Rückforderung der etwa 44 Mio. € illegal durch die Warburg-Manager ergaunerten Cum-Ex-Gelder eine Einflussnahme des Hamburgischen Senats nicht ausgeschlossen werden kann. Regierender Bürgermeister der Freien und Hansestadt war damals Olaf Scholz. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Mützenich führt daraufhin Gespräche in seiner Fraktion und mit den Koalitionspartnern. Kurz nach der von den Populisten gewonnenen Europawahl im Juni tritt Olaf Scholz als Bundeskanzler zurück. Er übernimmt die Verantwortung für die Fehler seines Senats, um Schaden von der Bundesregierung zu wenden.
Regierungsumbildung 2024 als Befreiungsschlag?
Als Nachfolger von Olaf Scholz wählt die Koalition Boris Pistorius zum Bundeskanzler. Verteidigungsministerin wird Eva Högl, beamtete Staatssekretärin die aus dem EU-Parlament zurückgekehrte Agnes Strack-Zimmermann, Anton Hofreiter Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrs- und Infrastrukturministerium und der Generalsekretär der FDP parl. Staatsminister und Sonderbeauftragter für den Nahen Osten im Grünen Außenministerium. Danach zieht Ruhe in der Koalition ein, Konflikte werden intern geklärt, Erfolge gemeinsam verkauft und Probleme intern gemeinsam beraten und gelöst. Und von da an lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage…? Nun, diese Koalition ist nicht Frodo Beutlin von Beutelsend und Boris Pistorius wäre nicht Gandalf, der Zauberer.
Warum ein Befreiungsschlag?
Die aktuelle Lage der Koalition ist aufgrund einer kommunikativ schwierigen Situation ohne Alternative. Die Hochwassersituation in einigen Regionen und das dortige Erscheinen des Bundeskanzlers machten das deutlich. Während Scholz sich dort ein Bild der Lage machte, hatten Tagesschau und “Heute” als zentrale Nachrichtenportale nichts anderes zu tun, als sich über sein Schuhwerk herzumachen, eine Feuerwehrfrau zu interviewen, die sagte, dass sie den Menschen helfen würden, es egal sei, ob ein Kanzler da sei oder nicht, und einer der Sender brachte sogar noch eine Replik auf den Besuch von Schröder 2002 in gelben Gummistiefelchen, der andere zeigte am Beispiel Laschet, wie vorsichtig Politiker in Hochwassergebieten sein müssen. Das nennt man ein kommunikatives Desaster. Nancy Faeser erlebten tags drauf ähnliches.
Wie beim Klimawandel gibt es Kippunkte der Öffentlichkeit
Diese Regierung macht derzeit vieles richtig, aber sie kann machen, was sie will, es ist immer falsch, wird ihr immer negativ ausgelegt. Und das ist eine seltene Gemeinsamkeit, die Scholz. Habeck und Lindner gleichermassen trifft. Die Ursachen dafür sind zweifellos selbstverschuldet. Einen Tag nach Scholz’ Besuch in Sachsen-Anhalt machte ein Feuerwehrhauptmann in Niedersachesen vor, wie es geht. Er erläuterte, wieviele freiwillige Helfer den Berufsfeuerwehren derzeit bis an den Rand der Erschöpfung beistünden und wie sehr die alle davon profitierten und dankte dafür. DAS wäre der Part des Bundeskanzlers Scholz gewesen, aber das hat ihm niemand erklärt oder aufgeschrieben. Und noch etwas: seit 2022 haben es die drei Fraktionsspitzen versäumt, die Profilneurotiker*innen Strack-Zimmermann, Hofreiter und Roth zu sanktionieren und dabei entscheidend zum Autoritätsverlust der Ampel beigetragen. Ob Entourage oder Verantwortungsträger selbst – die Öffentlichkeit muss denken: Sie können es nicht! Sie beherrschen das Handwerk des Regierens nicht und das ist es, was ihre Gegner von CDU/CSU bis hin zu den “Reichsbürgern” wittern – wie die Hyänen die Blutspur des verwundeten Zebras!
Politik muss Macht ausüben – das erwarten die Wähler*innen!
Im Jahr des Philosophen der Aufklärung Immanuel Kant wäre es angebracht, sich an die Prinzipien desselben zu erinnern. Das bedeutet nicht nur, gegen Verschwörungstheoretiker und asoziale Netzwerke vorzugehen, das bedeutet vor allem, alle Mittel zu nutzen, um die AfD zu entlarven und ihnen den Zugang zu öffentlichen Geldquellen abzuschneiden. Auch durch Partei- und Organisationsverbote – der Jugendorganisationen zum Beispiel. Der Kampf gegen den aufkommenden Faschismus in unserem Land ist hundertmal wichtiger, als das Gewese ums Gendern und die Schuldenbremse. Friedrich Merz kann kein Bündnis dagegen verweigern. Tut er es trotzdem, muss die Regierung mit besonnenen CDU-Leuten wie z.B. Laschet, Wegner, Wüst, Reul, Laumann, Günther, Strobl direkt zusammenarbeiten.
Ab morgen deutliche Worte und klare Kante finden
Ab heute schon kann diese Regierung lernen, klar zu kommunizieren. Bis hierhin und nicht weiter! Cem Özdemir hat für die Bauern, die im letzten Jahr 46% Ertragszuwachs hatten, viel herausgeholt. Das privilegiert sie gegenüber vielen Bevölkerungsschichten, die die Energiepreise, die Folgen des Ukraine-Krieges und die Inflation schultern müssen. Dass die Bauern nicht in der Lage sind, sich gegen Rewe, Edeka, Lidl und Aldi so zu positionieren, dass diese ihnen die keine Niedrigpreise mehr diktieren können, ist ihr eigenes Versäumnis. Stattdessen schreien sie seit 50 Jahren wie gewohnt nach Subventionen des Staates. Dass die nach dem Urteil zur Schuldenbremse nicht mehr unbegrenzt fließen, dafür können sie sich bei Friedrich Merz und der CDU bedanken. Und auch das gehört zur Aufklärung und müsste von den Regierungsfraktionen klar und deutlich ausgesprochen werden.
Roland, eine Frage, was bitte macht diese Regierung richtig?
Der richtige strategische Gedanke ist hier, dass nicht die sog. “Die Linke”, sondern die CDU/CSU gespalten werden muss, und zwar an der Frage AfD-Zusammenarbeit/”Brandmauer”. Diese Frage ist in wenigen Monaten (Wahlen am 9.6.) sowieso unausweichlich. Ich kann nur ähnlich wie Roland nicht erkennen, wer sich bei denen in Berlin – Parteien, Spindoktor*inn*en, Denkpanzer, Medien egal – darum kümmert. So dass ich mich frage, wofür die eigentlich bezahlt werden.
Bin heute zufällig Zeuge der Bauerndemo am Bertha-von-Suttner-Platz geworden: Mindestens ein Viertel der Fahrzeuge waren keine Trecker, sondern Handwerker-Lieferwagen und SUVs mit rechtsradikalen Sprüchen darauf. Unter den Wartenden an der Bushaltestelle gab es niemanden, der diesem Aufzug zugestimmt hat.