Fabian Sänger/Jungle World schreibt: “Storytelling, Kommunikationsstrategie, Framing, Manipulation – im Zeitalter der postfaktischen Politik ist alles möglich: Manipulieren will gelernt sein – Jeder kann heute Unterricht in Manipulation nehmen. Das Angebot an Framing-Seminaren boomt, gerade in der NGO-Szene. Die Affirmation postfaktischer Politik ist gesellschaftsfähig.” So erfahre ich endlich, was die Hauptstadtblase den ganzen Tag macht. Aber warum sitzen die da den ganzen Tag drin und rum – und lernen nichts?
In diesen Tagen führen ein paar tausend Mitglieder des sogenannten “Bauernverbandes”, in Wahrheit eine Lobbyorganisation von Grossgrundbesitzern und Chemieindustrie, die Republik, ihre Parteien und Medien, an der Nase herum, dass es ihnen sichtlich Spass macht. Wie Roland Appel so schön geschrieben hat: “Der Protestbauer von heute sitzt im vollklimatisierten Nobeltrecker für €450.000,00 aufwärts und mit bis zu 717 PS, verbraucht bis zu 20 Liter Agrardiesel pro Stunde und läuft aufgrund der physischen Gewalt, die er mit seinen Geräten ausüben kann, zu keiner Minute Gefahr, dass ihm etwa Bürger widersprechen.” Und wer von den anderen 84 Mio. Bundesbürger*innen gerade keine besseren Medien zur Hand hat, glaubt am Ende noch bis in die SPD, dass diese Witzfiguren einen Bundeskanzler stürzen können. Oder ihn zwingen, alle ihre Lobbyforderungen zu erfüllen.
Warum läuft die Mehrheit diesen Säuen hinterher?
Welche Sau wird der Springerkonmzern nächste Woche durchs Dorf jagen? Und warum läuft die Mehrheit der professionellen demokratischen Medien diesen Säuen ständig hinterher? Dafür bezahle ich meine öffentlichen Medien nicht. Und Sie hoffentlich auch nicht.
Ich habe als 16-jähriger Schülerfunktionär der Jungdemokraten in den 70er Jahren gelernt, dass in der vermachteten Politik- und Medienlandschaft (meistens) nicht das bessere Argument gewinnt, sondern diejenigen, denen es gelingt zu bestimmen, worüber überhaupt gestritten wird: Themensetzung, neudeutsch/engl. Agendasetting.
Eine Regierung hat viele tausend Beamte und Angestellte. Schlaue Regierungen stellen ein paar Dutzend Leute dafür ein, ein gutes Agendasetting auszuarbeiten. Eine gute Koalitionsregierung bespricht miteinander, welches Thema für welche Koalitionspartei ein Gewinnerthema ist, und also durch planmässige PR gesetzt werden soll.
Nun ist es bei der gegenwärtigen Koalition offenbar so, dass die das nicht gemeinsam erörtern, sondern getrennt – jede Partei für sich. Was dabei rauskommt, kann jede*r sehen.
Selbst in der von mir ungeliebten schwarz-grünen Koalition im Bonner Stadtrat wurde jede Pressemitteilung von den Fraktionen CDU und Grüne gemeinsam rausgegeben – oder nicht. Das war nicht immer schön, aber die Grünen-Wähler*innen in Bonn belohnten es mehr, als wir erwartet hatten. Wenn unbedingt eine grüne Fahne zu einem Thema rausgehängt werden musste, hat das die Parteigliederung, der Kreisverband, gemacht. Und wenn sie klug war – das war sie damals – in Absprache mit uns in der Stadtratsfraktion.
In Berlin läuft sowas offenbar anders. Aber warum beschäftigen auch die Parteiorganisationen der Ampelparteien keine Intelligenz für Themensetzung? Oder hat sich die Lieferung von Kampfflugzeugen an das feudalistische, saudi-arabische Kriegsregime (Jemen) etwa jemand in der Grünen-Bundesgeschäftsstelle ausgedacht? Oder ein “moderner, liberaler” Denkpanzer?
Es wäre alles eine lächerlich-komische Farce, wenn mit ihr nicht braune Teppiche für Faschismus ausgerollt würden. Es war noch nie eine gute Idee, ihn vorwegzunehmen.
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