Es ist schon erstaunlich, dass die so auf ihre Unabhängigkeit bedachte, gleichwohl längst durch Presseoligarchen angezählte Presse des “Westens” derart ignorant und zäh auf die offensichtliche Verletzung des Presserechts und der journalistischen Freiheit durch die britische Regierung reagiert. Einer Regierung, die nicht nur seit Jahren im vorauseilenden Gehorsam gegenüber den Interessen der USA die Pressefreiheit verletzt, die Menschenrechte eines Verlegers und Herausgebers mit Füßen tritt, indem sie nicht einmal Anklage erhebt, sondern ihn rechtstaatswidrig seit vier Jahren wie einen Terroristen inhaftiert.

Man stelle sich einmal vor, dasselbe hätte die britische Justiz mit Rupert Mordoch, der weltweit rechte Populisten unterstützt und den verbrecherischen Brexit mit Millionen und Lügen befeuert hat, oder Marc Zuckerberg und seine Dunkelmänner wie Peter Thiel, gemacht, die die Weltöffentlichkeit auf Facebook mit Gewalt, Bedrohungen, Beleidigungen, Rechtsextremismus, Terrorismus, Sexismus und sexueller Gewalt fluten, ohne die Täter wirkungsvoll zu verfolgen, die sogar demokratische Wahlen mithilfe von Cambridge Analytica manipuliert haben. Und damit Milliarden verdient haben. Von “BILD” und “SUN” bis FAZ, NZZ bis zur “Süddeutschen” und “Washington Post” hätten sie wahrscheinlich alle protestiert. – Die Pressefreiheit dieser milliardenschweren Verleger sei schließlich in Gefahr.

Assange ist der Herausgeber einer Internet-Zeitung

Julian Assange ist kein Milliardär. Er ist nichts anderes als der verantwortliche Herausgeber eines Internet-Portals, das nach journalistischen Grundsätzen die Prüfung von Quellen vornimmt und Dokumente von Whistleblowern veröffentlicht, das Regierungsverbrechen und Verstöße von Armeeangehörigen gegen die internationale Rechtsordnung öffentlich gemacht hat. In den meisten demokratischen Rechtsstaaten des Westens ist der Journalismus durch die Presse- und Strafgesetze geschützt. In Deutschland genießen Journalist*inn*en nach der Strafprozessordnung ein Zeugnisverweigerungsrecht, besonderen Schutz gegenüber Durchsuchung, Abhören durch Sicherheitsbehörden, und Schutz ihrer Quellen. Auch wenn es immer wieder Angriffe auf diese Rechte gibt. Ohne diese, das ist seit der demokratischen Revolution von 1848 allen Demokraten in Europa wohl bekannt, kann es keine Demokratie geben.

Assange wie ein übler Verbrecher behandelt

Die Behandlung Julian Assanges, der entgegen seiner Stellung als Publizist wie ein gewöhnlicher Verbrecher und Spion behandelt wird, ist ein Anschlag auf die Pressefreiheit, ein Verstoß gegen die Menschenrechte, ein Verrat jeglicher Rechtsstaatlichkeit, der in Großbritannien der Verweigerung der strafprozessualen und juristischen Mindestrechte gleichkommt. Die Bedeutung dieses Akts des Rechtsbruchs wird von der demokratischen Öffentlichkeit, von Verlegern, öffentlich-rechtlichen Medien, Journalistenverbänden und Gewerkschaften nach wie vor nicht hinreichend gewürdigt. Das, was die britische konservative Regierung und die britische Justiz seit nun fast elf Jahren mit Assange veranstalten, erst Asyl in einer Botschaft, dann Gefängnis im Hochsicherheitstrakt, ist Willkür, Isolationsfolter und eine lupenreine Menschenrechtsverletzung.

Assanges Schicksal ist auch das Schicksal des freien Journalismus

Kommen die US-Justiz im Auftrag der Regierung und die britische Regierung mit ihrem Verfassungs- und menschenrechtswidrigen Handeln durch, ist dies ein existenzieller Schlag gegen die freie Presse. Watergate, Cum Ex, die Panama-Papers, die Flick-Affäre, Kohls und Schäubles schwarze Kassen, der von rechten Extremisten um Farage gekaufte Brexit, die NSA-Skandale, die Edward Snowden aufgedeckt hat, die Pentagon-Papiere und nicht zuletzt das Deportationstreffen deutscher Rechtsextremisten und der AfD in Potsdam  – all diese Affären sind nur durch Whisteblower aufgedeckt und durch mutige Journalisten und Verleger*innen oder Herausgeber*innen an die  Öffentlichkeit gebracht worden. US-Filme wie “Die Verlegerin” oder “Die Unbestechlichen” verdeutlichen die Bedeutung dieser Mittel der Demokratie. Als Franz-Josef Strauß und Bundesanwalt Buback1962 widerrechtlich die Redaktion des “SPIEGEL” durchsuchten und die Herausgeber Rudolf Augstein und Conrad Ahlers verhaften liessen, haben die anderen Hamburger Zeitungen sofort begriffen, was passiert – sogar die “Springer”-Zeitungen haben Solidarität geleistet und das Erscheinen des “Spiegel” ermöglicht.

Der Anfang vom Ende der Pressefreiheit

Viele Presseorgane weltweit haben in der “Causa Assange” und ihrer Bedeutung den Schuss immer noch nicht gehört. Es könnte das Ende der Pressefreiheit in der sogenannten “westlichen Welt” einläuten, während Elon Musks “X” und Donald Trumps “Truth Social” lügen, Hetze und Fake News verbreiten und TikTok oder Instagram mit antidemokratischer und anti-aufklärerischer Manipulation die Demokratien weltweit zerrütten. Und auch dagegen versagen die demokratischen Parlamente und Regierungen. Obwohl Strafgesetze, Pressegesetze und Zivilrecht auch im Internet gelten, versäumen sie es, wirkungsvolle Gesetze zu schaffen und vor allem durchzusetzen, um Hetze, Hass, Verleumdung und Gewalt auf (a)sozialen Netzwerken zu bekämpfen und dabei entweder gegen die Täter, oder die Plattformbetreiber vorzugehen.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net