Am 20. Februar ging eine sicher nicht billige, von einer professionellen Agentur gestrickte Befragung der Bad Godesbergerinnen und Godesberger zu Ende. Die digitale Befragung diente dem Ziel, die „Bedeutung von Bad Godesberg als Tourismus-, Kultur-, Freizeit- und Sportstandort“ heraus zu stellen. Kultur stand zwischen Tourismus und Freizeit, also zwischen einem Wirtschaftsbereich und der Zeit am Tag, die keiner Erwerbstätigkeit und sonstigen Pflichten zugeordnet ist. Zur Begründung dieser Aktion schrieb/fragte die Stadt Bonn: „Wie gelingt es, einen identifikationsstiftenden Raum zu gestalten?“
In solchen Befragungen steckt in der Regel ein ordentliches Maß an Rationalität, also auch eine einsichtige Beziehung zwischen Arbeitsziel und eingesetzten Mitteln. Ist das nicht der Fall, taugt eine solche Befragung wenig bis nichts. Daher verwundert es schon, dass die zivilisatorische Querschnitts-Kategorie „Kultur“ zwischen Tourismus und Freizeit angesiedelt ist. Und stünde dahinter kein plausibles Konzept, wäre der Kaufpreis für eine solche Befragung rausgeworfenes Geld. Man will ja schließlich Daten zur Lebensqualität und zur Bestimmung des Standorts Godesberg sammeln.
Wer mitten im Ablauf einer solchen Aktion kritische Fragen stellt, muss sich nolens volens gefallen lassen, als Störenfried zu gelten. Denn kritischen Fragen steht entgegen, dass in öffentlichen Belangen des Stadtteils ein „herabgesetztes Schneckentempo“ herrscht, so dass man froh über jede sich anbahnende Veränderung sein kann. Das ist richtig. Nachdem nun der Befragungszeitraum ausgelaufen ist, lässt sich kritisch diskutieren, welchen Sinn eine solche Befragung haben kann, und auf welche Realität sie in Bad Godesberg trifft.
Es fällt auf, dass im Fragebogen die Kultur als eigenständige Kategorie nicht auftaucht. Das sechs-Buchstaben-Wort Kultur sucht im Text der Fragen und Hinweise Mensch vergebens. Zufall? Absicht? Vergesslichkeit? Stattdessen sollen die Godesberger und Godesbergerinnen eine Vorstellung entwickeln, ob „Spätgastronomie“ fehlt, ob ein mediterranes Flair angebracht sei, man sich innerstädtisch einen Ort für´s Skaten wünsche beziehungsweise eine bessere Beschilderung. Das alles sind sicher nützliche Dinge. Aber fördert das einen identitätsstiftenden Raum, wie es der Stadt vorschwebt?
Am 28. März 2022 hatte der Verein Bürger-Bad Godesberg e.V. einen interessanten Beitrag über die Bedingungen für Kultur in Bad Godesberg an seine Mitglieder versendet (Der Text ist leider im Internet-Auftritt des Vereins aus welchen Gründen auch immer nicht mehr zu finden). Es heißt da:
„Bad Godesberg ist kein herausgehobener Einzelfall, dem Stadtteil ergeht es wie vielen anderen Stadtteilen in Deutschland. Godesberg ist sozusagen normal…. Stadt-Kultur hat Bedingungen…..
Wissen, mit wem ich es zu tun habe in meinem Stadtteil.
Woher kommen die Leute?
Wie lebten deren Eltern und Großeltern?
Was haben die geleistet?
Warum ist es bei uns so, wie es ist?
Wer ging aus Godesberg in die Welt hinaus, um dort etwas zu bewirken? Namen. Leistungen, Ehrungen, Auszeichnungen.
Was ist aus der langen Geschichte der Godesberger Arbeiterklasse übriggeblieben?
Wo standen die vielen „Schulen“, auf denen die Töchter aus dem Bürgertum Benimm lernen sollten – der große Arbeitgeber in Bonn und Bad Godesberg vor 120 Jahren?
Wo trank Willy Brandt tatsächlich seinen „Absacker“?
Wo lagen die Verflechtungen zwischen Bundespolitik und Stadtgesellschaft bis in die jüngste Vergangenheit? Gab es die?
Was zieht Menschen aus Marokko, Tunesien oder Nigeria nach Godesberg? Welche Wünsche und Sehnsüchte tragen deren Kinder und Kindeskinder in sich…
Kultur ist eben sehen und sehen können: Das Entdecken von Gesichtern, Augen, Gestalt, also Wiedererkennen und Verstehen. So wie Emmanuel Levinas, der große französisch- jüdische Philosoph es gelehrt hat.“
Eine solche Annäherung an Stadtkultur misslingt, wenn die Einwohner befragt werden wie die Käuferschar eines Discounters, ob sie mehr Pflaumenmus oder mehr Himbeermarmelade in Auslage und Angebot sehen will. Anders gesagt: Muss sich ein Stadtteil gefallen lassen, per Befragung kleiner und flacher, chancenärmer und auch viel weniger zerklüftet zu erscheinen als er in Wirklichkeit ist?
Kultur in Bad Godesberg hat als eine zentrale zukünftige Aufgabe die Integration ausländischer Bürgerinnen und Bürger sowie eingedeutschter Zugewanderter. Das sind immerhin etwa 35 Prozent der Bevölkerung. Das suche ich vergebens in der Befragung.
Die zweite Zukunftsaufgabe besteht in der Vorbereitung auf die Zeiten, in denen die Boomer-Jahrgänge in Rente gegangen beziehungsweise in ein Alter gekommen sind, in dem viele pflegebedürftig werden. Ich finde dazu nichts.
Ich vermisse in den Vorstellungen, die dieser Befragung zugrunde liegen, Gespür für die kulturelle Realität Godesbergs: Etwa dafür, dass der Stadtteil mit dem Kulturangebot der Park-Buchhandlung, mit den Herzens-Sprechstunden, mit dem Forum Godesberg, mit rührigen Lehrerinnen und Lehrern an den Schulen des Stadtteils, mit den beiden Theatern und vielen anderen Vereinen und Initiativen heutzutage so kostbare sichere Räume bietet, in denen Kultur daheim ist. Diese Missachtung ist nahezu kränkend. Nicht mal Bad Godesbergs „goldene Jahre“ tauchen auf, als der Stadtteil „Wohnstube“ der Republik war.
In der Vergangenheit waren die Godesberger schlauer als die mit den Fragebögen. Hoffentlich klappt das dieses Mal auch wieder.
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