Ausgewählte Einsichten zu Gemeinsamkeiten und Trennendem im Geschlechterverhältnis

8. März – Frauentag: Ich will mich nicht weiter mit dessen Geschichte usw. aufhalten. Das überlasse ich gerne anderen. Aber ein Video des Telegraph gab mir zu denken. Es zeigte Putin in einer Menge. Es waren sogenannte „einfache“ Leute. Anders als die Überschrift es signalisierte, war es so, dass Frauen ihn anfassen und umarmen wollten. Sie streckten ihre Arme nach ihm aus. Kein einziger Mann machte das.

Dann fand ich einen Videoclip von einem Auftritt von Putin vor Studenten, ebenfalls vom März 2024, der nur auf X verfügbar scheint. Dort sagte Putin über Männer und Frauen ungefähr das folgende: Männer würden erwarten, dass Frauen attraktiv sind, nett und einfühlsam. (Anmerkung: an dieser Stelle sollten bitte alle Männer widersprechen, die das nicht erwarten.) Aber, so Putin weiter, er habe nicht die leiseste Ahnung, wie es Frauen gelinge, die, konfrontiert mit solchen Erwartungen (die sie auch erfüllen), zudem noch beruflich erfolgreich sind. Das sei ihr Geheimnis. Er werde nicht versuchen, hinter dieses Mysterium zu kommen. Die weiblichen Zuhörer, schön in ihrer Jugend, folgten den Ausführungen ganz genau, gespannt auf die Pointe. Die gefiel ihnen sichtbar. Sie lächelten breit, fast überlegen, so als würden sie denken: kluger Mann, kennt seine Grenzen. Sie applaudierten.

Es ist Wahlkampf in Russland. Aber erklärt das auch alles?

Ich fand einen wissenschaftlichen Aufsatz aus dem Jahr 2010, der darauf hinweist, dass Michelangelos Aussage „Berühren kann Leben schenken“ durch wissenschaftliche Forschungen bestätigt ist. Sich berühren ist non-verbale Kommunikation. Sie ist für das Gedeihen des einzelnen Menschen, aber auch für den sozialen Zusammenhalt unerlässlich. Nachgewiesen wurde etwa, dass Frühgeborene sich besser entwickelten, wenn sie intensiv berührt werden als solche, die diese Extra-Portion menschlicher Zuwendung nicht erhielten. Berührungen reduzieren Stress und drücken Mitgefühl aus, Sympathie.

Nachgewiesen ist, dass Menschen, Männer und Frauen gleichermaßen, (für mich überraschend) über Berührungen besser die emotionale Befindlichkeit eines anderen Menschen herausfinden können als über Sprache bzw. über den Gesichtsausdruck. Sie finden sogar heraus, auch wenn sie nur während einer Sekunde durch einen anderen, den sie nicht kennen und nicht sehen, berührt werden, ob die Berührung vom gleichen Geschlecht oder vom anderen stammt.

Ärger und Mitgefühl werden nicht richtig verstanden

Das war Teil der Erkenntnisse eines wissenschaftlichen Versuchs, bei dem 12 verschiedene Emotionen zugeordnet werden sollten, die allein durch Berührung kommuniziert wurden (Die Probanden sahen sich nicht). Es gab nur zwei signifikante Unterschiede zwischen Männern und Frauen: Männer verstanden grundsätzlich nicht, wenn Frauen über die Berührung „Ärger“ mitteilen wollten. Frauen wiederum wussten grundsätzlich nichts damit anzufangen, wenn Männer auf diese Weise Mitgefühl signalisieren wollten. Im übrigen zeigte der Versuch, dass es spezifische Stärken beider Geschlechter gibt. Männer untereinander verstehen das Signal „Ärger“ besser, Frauen das Signal „Glücklichsein“.

Der zuerst genannte Artikel enthält ein Plädoyer, sich des allgemeinen positiven Einflusses von Berührungen bewusster zu werden. Er diagnostiziert eine „berührungsverarmte“ US-Gesellschaft. Dabei ging es nicht um tatsächliche oder gemutmaßte körperliche Übergriffigkeit, sondern um „normale“ non-verbale menschliche Kommunikation. Wenn man die im Artikel vorgestellten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse liest, wird sehr viel klarer, dass die Philosophie des „safe space“, aber auch „social distancing“ körperlich und seelisch nichts Gutes anrichten.

Kulturen, die sich problemlos berühren, haben instinktiv die gesündere Wahl getroffen, vom Händeschütteln über das französische „bisou“ auf die Wange, bis hin zu Berührungen während eines Gespräches als teilnehmende Reaktionen auf Gesagtes.

Was hat uns die Evolution noch mitgegeben?

Ich stieß auf eine Studie aus dem Jahr 2016, die die Überschrift wählte: Die Bedeutung, zwei X-Chromosomen zu haben. Zur Erinnerung: XX kommt nur beim weiblichen Geschlecht vor. Lange dachte man, dass das keine so großen Unterschiede mache, aber die Studienautoren, die mit Mäusen arbeiteten, kamen zu sehr interessanten ersten Einsichten, sowohl was den Stoffwechsel als auch damit verbundene Anfälligkeiten für bestimmte Krankheiten betrifft. Soviel ich verstand: Übergewicht ist für Frauen gefährlicher als für Männer.

Sie untersuchten auch Auswirkungen der Chromosomenverteilung auf das Verhalten. Mich verblüffte die Feststellung, dass XX-Mäuse weniger Angst hatten, ins Freie zu laufen, als XY -Mäuse. XY-Mäuse zeigten in einem bestimmten Alter ein unsozialeres Verhalten als XX- Mäuse. Sie waren misstrauischer gegenüber anderen Käfigmitgliedern, inspizierten sie häufiger, aber interagierten weniger mit ihnen als XX-Mäuse. XX-Mäuse waren zudem aufgeschlossener gegenüber bisher unbekannten Artgenossen. XY-Mäuse bevorzugten ihnen Bekanntes. Offenbar, so die Studie, weiß man immer noch sehr wenig darüber, wie das Wunderwerk Mensch in seiner ausdifferenzierten und gleichzeitig hochkomplizierten biologischen und sexuellen Verfasstheit insgesamt funktioniert.

Es dürfte also spannend bleiben.

Die DNA unterscheidet uns von allen andern

Wenn man gleichzeitig noch in Rechnung stellt, dass jeder Mensch mit seiner ganz eigenen DNA geboren wird, die ihn von allen unterscheidet, die je geboren wurden bzw. noch geboren werden, ist es schlicht atemberaubend. Zudem soll jeder Einzelne eine angeborene Bestimmung in sich tragen, die am deutlichsten in der frühen Kindheit zu einem spricht und sagt, wo die eigenen Neigungen und Stärken liegen. Wer dem folgt bzw. folgen kann, wird ein glückliches Leben führen. Was einem gefällt, bzw. wo Gefühle im Spiel sind, erledigt sich schneller, einfacher, zufriedener.

Darüber diskutierten im Dezember 2023 zwei erfolgreiche Männer, ein Bestsellerautor und Experte für menschliche Psychologie, Robert Greene, und ein Neuro-Wissenschaftler, Andrew Huberman. Es war hochinteressant.

Sie sprachen unter anderem darüber, wonach sie beim anderen Geschlecht suchten, wenn es um eine auf längere Frist angelegte Partnerschaft ging. Sexuelle Anziehung setzten sie voraus. Sonst klappt schon der Anfang nicht. Sie suchten nach Gemeinsamkeiten, wie bestimmten Vorlieben (Liebe zu Tieren, Liebe zu einer bestimmten Musik), nach einem nicht ganz zu ergründenden Mysterium (der Partner soll überraschend bleiben, der Mensch langweilt sich leicht), auch danach, wie sie selbst gerne wären. Merkwürdigerweise nannte keiner das Verhalten gegenüber Kindern als Kriterium, so wie allgemein Kinder nicht erwähnt wurden, auch nicht im Bild von erfolgreichen Frauen bzw. Partnerschaften. Ist der Wusch, sich zu vermehren und mit dem geliebten Anderen gemeinsame Kinder aufzuziehen, schon so unwichtig geworden?

Wer sich nur auf das Gesagte verlässt, ist leichter an der Nase herumzuführen

Sie sprachen über non-verbale Kommunikation, die die Menschwerdung so lange bestimmte, bis die Sprache erfunden wurde. Non-verbal ist der Mensch instinktiv in der Lage, Warnlichter oder Gemeinsamkeiten zu entdecken. Wer sich nur auf das Gesagte verlässt, ist leichter an der Nase herumzuführen. Bewegungen, die Art und Weise etwa, wie die Augen „mitreden“ oder nicht (tote Augen), wenn ein Lächeln sofort wieder zusammenfällt, das sind Schlüssel, woran man „toxische“ Menschen erkennt, Soziopathen, denen es nur um sich geht und um die Kontrolle über andere. Sie waren sich sicher: eine „Trophäen-Frau“, die „nur“ gut aussieht, macht nicht glücklich.

Die Stimme einer Frau weckt offenbar in Männern entweder eine positive Erinnerung an den frühen Klang der Stimme der Mutter, oder führt umgehend zum gegenteiligen Effekt. Sie plädierten dafür, die non-verbalen Fähigkeiten besser zu nutzen, nicht nur bei der Partnerwahl. Wer an einen Menschen, den er/sie kennt, völlig überraschend herantritt, kann im ersten Gesichtsausdruck problemlos entschlüsseln, was der andere wirklich von einem hält. (Ob man das immer genau wissen möchte, sei dahingestellt.)

Ein bisschen „Mysterium“ sollte bleiben

Sie sprachen auch über eine Krise in den Geschlechterrollen. Welche Rollenmodelle existieren heute, für Männer, für Frauen? Wer bin ich, ist eine elementare Frage, aber die Antwort darauf falle heute anscheinend sehr viel schwerer. Es ging in dem Zusammenhang nicht darum, dass jedes Geschlecht auch Anteile am anderen besitzt (Jung), sondern darum, woraus Selbstgewissheit und Identität entstehen, ob „Mann“ oder „Frau“ sich in ihrer Haut wohl fühlen. Die Diskutanten kamen zum Schluss, dass allgemein große Verunsicherung herrsche. Keiner der beiden erwähnte eine Frau als eigenes Rollenmodell. Bei einem war es der Vater.

Was ist „toxische“ Männlichkeit, und was macht dieses Bild mit Männern? Sie werden ängstlicher. Warum sind die sozialen Medien voller Frauen, die bestimmten Schönheitsidealen verbissen nachjagen? Dies widerspräche dem Anspruch, sich nicht auf Äußerliches reduzieren zu lassen. Mit LGBTQIA+ Fragen befassten sie sich nicht ausdrücklich, sie schlossen sie in die immer komplizierter werdende Suche nach der eigenen Identität ein.

Besagte Diskussion wurde 6,3 Millionen Mal aufgerufen. Einige Kommentatoren bezeichneten beide als „Rollenmodelle“ und äußerst hilfreich für die Selbstfindung. Wie schade, dachte ich, dass es kein vergleichbares Youtube-Gesprächsformat gibt, in dem sich zwei Frauen über solche Themen professionell austauschen. Gleichzeitig kam ich zum Schluss: Ein bisschen „Mysterium“ sollte bleiben. Es hilft offenbar definitiv in der Geschlechterbeziehung.

In diesem Sinn: Alles Gute zum Frauentag!

Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem Blog der Autorin, mit ihrer freundlichen Genehmigung. Lesen Sie ergänzend auch Zikora Ibeh/ipg-journal: “Brandherd des Geschlechterkampfs – In Nigeria ist eine feministische Debatte über das Kochen entfacht. Die Rollen folgen aber nicht erwartbaren Mustern.”

Über Petra Erler / Gastautorin:

Petra Erler: "Ostdeutsche, nationale, europäische und internationale Politikerfahrungen, publizistisch tätig, mehrsprachig, faktenorientiert, unvoreingenommen." Ihren Blog "Nachrichten einer Leuchtturmwärterin" finden sie bei Substack. Ihre Beiträge im Extradienst sind Übernahmen mit ihrer freundlichen Genehmigung.