mit Update nachmittags
Vorhersagen sind schwierig, insbesondere was die Zukunft betrifft. Aber es gilt ähnlich für Gegenwart und Vergangenheit. Das geht hervor aus einem Bericht von Stefan Reinecke/taz von einer “Historikertagung: Ende der Großerzählung – Wie kann man die Geschichte der Bundesrepublik beschreiben? In Tübingen haben jüngere HistorikerInnen nach neuen Wegen gesucht.” Besonders relevant finde ich diesen Einwurf:
“Einen frischen Luftstoß brachte Rüdiger Graf in den Selbstverständnisdiskurs: ‘Der Klimawandel wirft ein historiografisches Problem auf.’ Die Klimakrise ändere den Blick auf Zeitgeschichte radikal. Wo die Meistererzählungen Wohlstands- und Emanzipationsgewinne sahen, erkenne man heute Ressourcenverbrauch und CO2-Emission, die via Klimawandel anderswo radikale Freiheitsverluste auslösen.” Dieser Einwurf muss auch auf diesen Text erfolgen:
Richard D. Wolff/Independent Media Institute/telepolis: “Der Niedergang des US-Imperiums – begleitet von kostspieligen Illusionen – Slogan ‘Make America Great Again’ begleitet den Niedergang der US-Hegemonie. Der Ukraine-Krieg zeigt das, aber nicht nur er. Was daraus folgt.”
Seine Beobachtungen halte ich für richtig, ein schematisches Hochrechnen in die Zukunft aber für falsch. Dagegen sprechen zwei fundamentale Faktoren, die die Öffentlichkeit bereits beim Ukrainekrieg massiv beschäftigen.
1. Die Atommächte
Eine im ökonomischen und gesellschaftlichen Abstieg befindliche Atommacht ist eine Gefahr für alles menschliche Leben auf diesem Planeten. Das gilt gegenwärtig für Russland – und zwar völlig egal, wie jemand den Geisteszustand von Wladimir Putin bewertet – und wird genauso für die USA in der Konkurrenz mit China gelten. Schon jetzt sind die USA nur noch überlegen, so weit es ihre militärischen Zerstörungspotenziale betrifft. In der strategisch zentralen KI-Entwicklung wird China an ihnen vorbeiziehen – allein, weil seine Datenbasis für die KI-Fütterung viel grösser ist. Damit steigt die Versuchung für die USA, den Konflikt auf dem Feld auszutragen, auf dem sie noch stärker sind. Das wäre dann das Ende für alle.
2. Der Klimawandel
Anknüpfend an den oben zitierten Einwurf ist in diesem Feld Kooperation statt Konfrontation der Weltmächte erforderlich. Und, persönlich angemerkt, das ist das zentrale Desaster der gegenwärtigen Aussenpolitik der grünen Mitglieder der Bundesregierung. Wie Richard D. Wolff richtig ausführt, fahren die G7 (“Der Westen”) mit dieser Globalstrategie geradewegs auf die Wand zu.
Welche Chance gibt es, das zu stoppen? Theoretisch formuliert wäre das die Demokratie. Zivilgesellschaftliche Organisationsformen sind möglich, und können sehr gross werden. Sie müssen es auch, um ihre herrschenden Klassen aufzuhalten. Darum wird es auch gehen, wenn Leute wie ich schon tot sind. Womit wir wieder bei den Historiker*innen oben sind … Wie KüppersbuschTV immer so schön textet: Viel Spaß und gute Unterhaltung!
Update nachmittags
3. Cyber-Sicherheits-Absteiger EU und Deutschland
Frech wie die SMS-löschende und Milliarden verteilende Flinten-Uschi behauptet die EU-Kommission, sie habe nichts falsch gemacht. Hat sie aber. Maximilian Henning/netzpolitik: “Microsoft 365: EU-Kommission darf keine Daten mehr in USA übertragen – Teams, Word, Outlook – Microsofts Office-Suite ist weitverbreitet. Auch die EU-Kommission nutzt sie und hat dafür heute Probleme bekommen: Die Benutzung verstößt gegen Datenschutzrecht, verkündete der Europäische Datenschutzbeauftragte. Er hat die Kommission zu Änderungen verdonnert.”
Harte EU-Routiniers kann das kaum noch aufregen, weil sie sich an solche Phänomene schon gewöhnt haben. Aber wie wird es am 9. Juni beim Wahlvolk sein? Wird es mit Affekten gegen die in Brüssel reagieren? Die in Berlin haben kürzlich eine spektakuläre Aufmerksamkeitssteigerung geschafft, die sich Kabarett-Texter*innen gar nicht ausdenken können.
Dennis-Kenji Kipker/heise: “Taurus, Webex und Huawei: Warum der Fatalismus der Regierung unerträglich ist – Statt sich nach dem Taurus-Skandal ernsthaft um die eigene IT-Sicherheit zu kümmern, sucht Deutschland die Schuldigen im Ausland.” Was der heise-Autor hier aufs Korn nimmt, ist aber nur der bundespolitische Gipfel des Eisbergs. Was Helmut Lorscheid uns schon im November des Vorjahres aus Siegen berichtete, ist kein skandalöser Ausnahmefall, sondern ein bundesweites Strukturproblem. Es hat nur niemand Interesse, darum öffentlichen Wind zu machen, weil das zu Paranoia führen könnte: die Regierung erfüllt ihren Amtseid nicht.
4. Auch in Beuel: kein Softwareproblem wird gelöst
Die Ingenieure der Stadtwerke und der Stadtverwaltung wissen alle Jahre wieder den dummen Kommunalpolitiker*inne*n wortreich zu erklären, warum sie sich aus ihrer komplizierten Ingenieursarbeit raushalten müssen. Die Ampeln dieser Stadt sind nämlich z.B. durch eine zauberhafte Software miteinander verbunden, die auf für Menschen unergründliche Weise immer das Richtige für den Verkehrsfluss tun. Mit dieser Quacksalberei war es noch kurz vor der letzten Kommunalwahl gelungen, einen Füssgängerüberweg am Adenauerplatz in Bonn ersatzlos zu verbarrikadieren – angeblich für die “Beschleunigung des ÖPNV”.
Heute musste ich wieder sehr darüber lachen. Eine von Siegburg kommende 66 hatte noch Ausfahrt an der Haltestelle, um dann am Fussgängerüberweg Kennedybrücke zum Stehen zu kommen. Da hatte sie gerade einmal die Länge von sich selbst zurückgelegt. Eine von der Brücke kommende 66 wurde ebenfalls ausgebremst. Fussgänger und Radfahrer bekamen Vorrang, obwohl vermutlich niemand von ihnen eine volle 66 ausbremsen will, schon gar nicht zwei.
Offenbar ist die Bonner Ampelsoftware so genial, dass eine Grüne Welle für vollbesetzte Bahnen technisch unmöglich ist. Warum verlässt die Bahn die Haltestelle, wenn sie 30m später Rot hat? Warum wird sie am Suttner-Platz gestartet, wenn sie am Ende der Brücke schon wieder gestoppt wird? Seit den 80er Jahren gibt es für Strassenbahnen eine technische Ampelbeeinflussung. Aber diese Erfindung ist für Bonn offenbar noch zu frisch … Obwohl es an einzelnen Ampeln doch geht. Dann ist es also doch eine politische Entscheidung.
Das schlimmere Problem sehe ich in ebendieser Politik. Bei der Kommunalwahl 2020 habe ich so gewählt, dass solche Probleme zugunsten von Fuss-, Rad- und ÖPNV-Verkehr angepackt werden. Die entsprechenden Parteien gewannen damals deutlicher, als sie es selbst erwartet hatten. Sie begreifen bis heute nicht, welchen hohen Wert solche nur scheinbar oberflächlich-symbolischen Äusserlichkeiten im Stadtgeschehen haben. Wenn sie das nicht ändern, wird es entsprechend ausgehen. Es ist die Sache mit dem Vertrauen.
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