Die Twists der Dialektik

mit Update nachmittags

Öffentliche Medien, ich nenne jetzt lieber keine Namen, überschlagen sich seit einiger Zeit damit, der FDP Sendezeit zu widmen, und das nicht nur, weil die letzte Woche einen weitgehend substanzfreien Parteitag abhielt. Die FDP und ihre Leute in den Anstalten und Redaktionen glauben, wenn sie nur die Medienpräsenz verbesserten, würden auch die Umfragen wieder besser. Das Gegenteil ist der Fall. Also von mir die Ermunterung: weitermachen!

Es ist nämlich nicht nur bei mir so: wenn im Radio oder der Glotze die seit über 15 Jahren diskreditierte neoliberale Leier angestimmt wird, ist das der von den Medien so gefürchtete Ausschaltimpuls. Die Mehrheit des Publikums ist nicht mehr doof genug und weiss: in meinem Interesse ist das nicht, wie die die Umwelt (nicht nur akustisch) verschmutzen. In meinem Fall bin ich sofort weg vom DLF und wieder bei Cosmo (in Bonn UKW 103,3). Talkshows, das wissen Sie als Extradienst-Leser*in, gucke ich schon seit vielen Jahren gar nicht mehr. Aber die schlechten Quoten sind den Sendern egal, weil die so schön billig sind, und keine Arbeit machen (ist alles an die Firmen der Moderator*inn*en outgesourced und für die Arbeitenden prekarisiert).

Und so sehen die Wahlumfragen auch aus. Das geht so weit, dass die FDP, ähnlich der “Linken”, in einzelnen Bundesländern demoskopisch gar nicht mehr auffindbar ist. In der Berliner Blase der Partei scheinen die hellsten Köpfe, die sie noch hat, der Überzeugung zu sein, sie müssten nur noch radikaler neoliberal auftreten, dann stelle sich auch Mobilisierung ein. Dass dieses Publikum sich bei der AfD ganz zuhause fühlt, und AfD-Ähnlichkeitswettbewerb vielleicht für Friedrich Merz Reste abwirft, aber sicher nicht für eine sich als “liberal” bezeichnende Partei, das merken die gar nicht mehr.

Ein Beispiel für demoskopisch erfolgreiche Politik ist der NRW-Regierungschef. Wie heisst er noch mal? Witt oder so ähnlich … Der beherrscht die Kunst der Unsichtbarkeit wie sonst keiner. Wenn einer Frau eine Autobahnschallschutzwand tödlich aufs Auto fällt, war er als verantwortlicher Verkehrsminister so unsichtbar, wie beim Investitionsstau von Bahn und ÖPNV. Kaputte Brücken hat er auch keine gesprengt. In “seinen” Schulen sieht es heute nicht besser aus als in Berlin oder Bremen, Aber irgendwelche 38% würden den wählen – wahrscheinlich allein, weil er als Nichtstuer nichts Spektakuläres verbrochen hat – und damit eine klare Alternative zum Privatflieger Friedrich Merz ist.

Zur EU-Wahl am 9.6. kann die FDP sich also, wie alle Sonstigen, dreimal bekreuzigen, dass es keine 5%-Klausel gibt. Folgerichig ist ihr das Wahlergebnis egal – hauptsache Lindner hat die Flak-Zimmermann in Berlin aus dem Verkehr gezogen. Bei Bundestagswahlen hat es die FDP einerseits leichter als die Andern, weil sie eins ganz bestimmt nicht will: Mehrheiten überzeugen. Entscheidend ist, dass die Spender*innen zufrieden mit ihr sind. Darum kämpft Lindner schon sein ganzes Politikerleben. Und das kann er auch. Wenn sie allerdings dabei auch unter die 5% kracht, und vieles spricht aus heutiger Sicht dafür – denn was macht Habeck denn anders? – dann muss auch Lindner wie so viele Gewählte vor ihm, Reichwerden gehen in der freien Wirtschaft. Das wird nicht leicht, nachdem er ja das Unternehmersein in jungen Jahren aufgeben musste …

Meine Partei 1973-82 wird also, spät aber dann doch, zur Fussnote der BRD-Geschichte. Die Gefahr geht von der AfD und den an ihr orientierten Ähnlichkeitswettbewerben aus. Der Mehrheit der Gesellschaft hat mit millionenstarken Demos zum Ausdruck gegeben, dass sie das begriffen hat. Doch die demokratischen Parteien in der Hauptstadt zeigen der FDP ähnliche Begriffsstutzigkeit. Die Mehrheit der Bevölkerung wird sie voraussichtlich bei der EU-Wahl darum nicht wählen, der grössere Teil, weil er nicht teilnimmt.

Aber es ist noch nicht zu spät. Die Parteien links der Faschisten können sich noch auf demokratischen Minimalkonsens und strategische Arbeitsteilung verständigen.

Und ich strenge mich weiter an, dafür Anregungen zu liefern. Heute z.B. diese:

Thorsten Jantschek (Interview)/DLF: Von der Geschichte des Nichtstuns – In der Arbeitsgesellschaft ist Anerkennung klar an Erwerbstätigkeit gekoppelt. Erfährt das Nichtstun eine Aufwertung, wenn die Arbeit ausgeht? Ein Blick in die Geschichte der Arbeitsverweigerer und Müßiggänger mit der Historikerin Yvonne Robel.” (Audio 30 min)

Robert Misik/taz: Zum Internationalen Arbeiterkampftag: Von Arbeit und Moral – Am 1. Mai wird ein uraltes Arbeitspathos beschworen. So laufen Progressive, Sozialdemokraten und Gewerkschaftlerinnen in die Falle der Rechten.” Seine Lehre: wer Arbeit als Mittel zur Ausgrenzung benutzt, schadet den Arbeitenden und besorgt die Interessen der Herrschenden, die die Spaltung der Beherrschten brauchen.

Update nachmittags

Der beste Text des Tages: Maria Farrell, Robin Berjon/netzpolitik: Wir müssen zurück zum wilden Internet – Das Internet ist zu einer ausbeuterischen und fragilen Monokultur geworden. Aber wir können es renaturieren, indem wir die Lehren von Ökologen nutzen.” Ein flammenderes Plädoyer, warum das nicht der FDP und ihren faulen Minister*inne*n überlassen bleiben darf, hätte ich auch nicht schreiben können.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net