Die Erinnerung an die deutschen Kolonialverbrechen darf nicht aus der Erinnerungskultur hinauskomplimentiert werden

Der von mir wegen seiner Filmkritiken ansonsten sehr geschätzte Andreas Kilb geht in Sachen deutscher Erinnerungskultur in der FAZ von heute (Paywall) etwas irritierende Wege. Die deutschen Kolonialverbrechen in Afrika wurden über Jahrzehnte verdrängt und vergessen. Die Namen der Täter von damals stehen immer noch auf Straßenschildern. Es war staatlich beauftragter und durchgeführter Massenmord, und nicht nur ein aus dem Ruder laufender Exzess einer blutrünstigen Soldateska.

Und dass die deutschen Kolonialisten Helfer in den Kolonialländern hatten, mindert die Verantwortung des Kaiserreiches in keiner Weise. Hinzu kommt, dass die koloniale Gewalt zur Prägungsgeschichte jenes deutschen Imperialismus selbst gehört, der in der NS-Zeit „sein Indien“ dann im Osten Europas suchte. Der Kulturbruch, den die Nazis und ihre Schergen in diesen europäischen „Bloodlands“ (Timothy Snyder) anrichteten, wurde nicht zuletzt auch mit den Kolonialverbrechen 40 Jahre früher schon „eintrainiert“. Diese Linien müssen in einer angemessenen Erinnerungskultur sichtbar gemacht werden. Sie überdecken nicht das unvergleichliche Verbrechen des Holocaust, sondern helfen darüber aufzuklären, wie der deutsche Staat unter den Nazis auf einen solchen verbrecherischen Weg geraten konnte.

Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.