Arte bekämpft deutsche Ahnungslosigkeit über Bauern und Bäuerinnen

Deutschland fürchtet ja schon eine Wiederkehr der Bauernkriege, wenn in Berlin ein paar hundert vom sog. Deutschen Bauernverband geleaste Trecker auf- und abfahren und die allgegenwärtigen Staus mit einigen Blockaden ergänzen. Dass die deutschen Bauernkriege sich in diesem Jahr zum 500. Mal jähren war jedoch noch kein Anlass zum Mediengewese, denn ihre Tradition und ihr Ausgang sind wenig rühmlich für deutsche Geschichte und Gegenwart.

Noch weniger rühmlich fällt ein Vergleich des Treibens der deutschen Agroindustrielobby mit realen Bauernkämpfen an anderen Stellen der kapitalistischen Welt aus. Beeindruckend und heftig ist in erster Linie, was Bäuerinnen und Bauern in Indien durchgestanden haben. Es wird am späten Dienstagabend niemand gesehen haben, aber es ist noch bis 14.8. verfügbar:

Indiens wütende Bauern – Die Dokumentation berichtet von der Widerstandsbewegung indischer Bäuerinnen und Bauern, die seit 2020 für ihr Überleben und ihr Land eintraten. Mit ihrer außergewöhnlichen Revolution kämpften sie zugleich für die Demokratie in Indien.” – eine französische Produktion, an der übrigens das qatarische Al Jazeera mitbeteiligt war.

Inwieweit die indische Bauernbewegung nun erfolgreich war, oder von der hindufaschistischen Modi-Regierung aufs Neue verarscht werden wird, das muss vorläufig offenbleiben. Bei den gegenwärtig laufenden Parlamentswahlen trachtet sich Modi für seine üblen ultrakapitalistichen Vorhaben politische Stärkung zu verschaffen. Das wird, wie fast überall auf der Welt, durch eine zerstrittene und sich ständig selbst zerlegende demokratische Opposition begünstigt.

Dennoch sollte sich niemand darüber täuschen, wie tief sich politische Kampferfahrungen, wie sie diese sehenswerte Dokumentation über in Deutschland kaum bekannte gesellschaftspolitische Sachverhalte zeigt, in die individuelle Sozialisation ihrer in die Millionen gehenden Teilnehmer*innen einbrennen und unvergesslich machen. Wer sich diesen Film anschaut, bekommt davon zumindest eine Ahnung. Mann/frau spürt etwas.

Sklaverei in EU-Europa

Tita von Hardenbergs Kobalt-Filmproduktion hat ebenfalls bei Arte eine etwas bescheidener aufgezogene Dokumentation abgeliefert, die den Skandal vor unserer Tür und direkt in unseren EU-Supermärkten aufzeigt. Erfreulicherweise belässt sie es nicht beim Lamentieren, sondern präsentiert organisierte emanzipatorische Gegenkräfte.

Re: Yvan Sagnet, Kämpfer für die Rechte von Erntehelfern – Yvan Sagnet kämpft seit Jahren gegen die gnadenlose Ausbeutung von Migrant*innen auf italienischen Obst- und Gemüseplantagen, die Supermärkte in vielen Teilen Europas beliefern. Mit seiner Organisation ‘NoCap’ trägt Sagnet dazu bei, dass sich immer mehr Bäuerinnen und Bauern, Konsumentinnen und Konsumenten für faire Arbeitsbedingungen entscheiden.” 5 Jahre verfügbar – nicht alles ist schlecht.

Allerdings drängt sich wenige Tage vor der EU-Wahl die Frage auf, wie sowas in ihr überhaupt möglich ist. Muss eine Regierung, die das sehenden Auges, geradezu offensiv zulässt, nicht ungefähr so geächtet werden, wie die Ungarns? Was für ein Zufall, sie ist ja auch genauso rechts. Aber für Flinten-Uschi zum gewählt werden gerade gut genug …

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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