EM-Gedöns II
Nein, es geht hier nicht um den Talkshow-Trash, obwohl es für den auch stimmt: “Lanz” gestern unter einer (von 85) Mio., und wieviele davon noch wach waren, ermittelt die Quotenzählung nicht. Und es geht auch nicht um die stundenlangen billigen Call-Ins – die*der Hörer*in macht die “Arbeit” – im Radio. Es geht um das EM-Gequatsche. Fussball geht so: er fängt mit dem Anpfiff an und hört mit dem Abpfiff auf. Die Zeit und das Geschehen dazwischen sind das, was die ZuSCHAUer*innen interessiert. Labern können sie selber, fachlich diskutieren auch.
Der selige Ernst Huberty hat es als langjähriger Reporter*innen-Ausbilder so erklärt: stellen Sie sich vor, Sie stünden bei den Zuschauern (er hat nicht gegendert) im Wohnzimmer und müssten dort zu ihnen sprechen. Fernsehen bedeutet: Sie brauchen den Zuschauern nicht zu erklären, was die selber sehen. Dennoch sagte Huberty am 5. Mai 1966 beim 2:1 von Libuda in der 105. Minute: “Libudas Ball senkt sich … ins Tor … ins Tor”, und zwar nicht gebrüllt, sondern – freilich laut und deutlich – gesprochen. Das damalige TV-Bild war schwarz-weiss und nicht immer störungsfrei. Darum war auch diese Kommentierung der Sache angemessen, die in Dortmund und Umgebung zu grossen Feierlichkeiten führte.
Heute versuchen deutsche TV-Labernasen sich an Soundtapeten, wie sie beispielsweise im spanischen TV zur Folklore gehören. Das Missverständnis basiert darauf, dass in südeuropäischen Haushalten am Mittelmeer das TV als Hintergrund läuft, wie hierzulande das Radio. Und wenn eine*r rumbrüllt, wird kurz geguckt, was los ist.
Hierzulande wird der vom PayTV gekaperte Live-Fussball in der Kneipe geguckt. Das ist materialistisch betrachtet aussergewöhnlich sinnvoll. Statt einem finsteren Milliardärs-Oligarchen von der Marke Murdoch oder Blavatnik (Döpfner hats zum Glück nie so weit gebracht) geben die Fans ihr Geld einem Wirt ihres Vertrauens für ein paar Kaltgetränke. Der braucht das Geld dringend, weil ihn die Medienkonzerne mit astronomischen Gastro-PayTV-Gebühren auswringen, bis er aufgibt.
Niemand hört den massenhaft engagierten und mit grosszügigen Aufwandsentschädigungen bedachten Labernasen vor dem Anpfiff zu. In der Halbzeitpause reden die Zuschauer*innen selbst – miteinander – wie sie es schon während des Spiels getan haben. Nach dem Abpfiff dito. Laut gestellt wird nur während des Spiels. Dann sind Kommentator*inn*en u.U. zu hören, aber atmosphärisch ist nur der Stadionton erwünscht. Die Laberei dient lediglich der Erregung, wie wenig Ahnung die beim Fernsehen vom Fussball haben.
Dennoch füllen gerade die öffentlich-rechtlichen Sender auch vor und nach dem Spiel ihr Programm mit stundenlanger Laberei. Warum? Weil sie es teuer (von unserem Geld) bezahlt haben, und für höherwertige andere Programmleistungen keins mehr übrig ist.
Sie profitieren dabei von der Selbstreferenzialität der Medienwelt. Schreibende Medien machen ihre gedruckten und Onlineseiten mit endlosen Kommentierungen dieses Geschehens voll, und ersparen sich auf diese Weise teuren Journalismus – der ja bekanntlich sowieso nichts “einbringt”, jedenfalls den Milliardärsfamilien, denen die Verlage gehören.
So wird dann ganz beiläufig die Demokratie und ihre Kontrolle durch Öffentlichkeit ein paar Wochen ausgeschaltet. Dann fühlen sich die Herrschenden ein paar Tage wie im Märchen, meistens im Sommer.
Zum Weiterlesen:
Pedram Shahyar/Freitag freut sich auf migrantische Europameister: “Diese Fußball-EM ist der Albtraum aller Rechten! – Das DFB-Team löst Begeisterung aus. Es wird so migrantig gefeiert wie noch nie. Die bunte deutsche Jugend ist auf den Straßen, und es macht einfach Spaß, dabei zu sein”.
Fatma Aydemir/Guardian/Freitag ist anderer Meinung: “Warum ich auf ein EM-Vorrundenaus hoffe – Die AfD ist im Aufwind, vor allem unter jungen Menschen. Was dabei für eine üble Sommerstimmung rauskommt, wenn auch noch die deutsche Nationalmannschaft performt, kann man sich ausmalen. Da hilft nur noch das Vorrunden-Aus”. Diese Meinung wurde jedoch von Augsteins Verlag (oder seiner Künstlichen Idiotie/KI) digital eingemauert.
Ähnlich positiv wie Shahyar ein Zwischenfazit der gewöhnlich kritischen DLF-Sportredaktion: “EM 2024: Offensivspektakel und gute Stimmung – Mut zur Offensive, viele Tore, Ballermänner aus der zweiten Reihe – die Fußball-EM in Deutschland brachte bislang einiges an Spektakel und stimmungsvolle Atmosphäre – der auch das unberechenbare Wetter nichts anhaben kann.” Die Bewertung der Atmosphäre rund um die Spiele kann ich bestätigen. Allerdings muss ich sportlich bewertet eins der schlechtesten Spiele gesehen haben (England-Serbien 1:0).
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