Wer die Märchen-Begleitgeräusche und den ganzen ideologischen und nationalistischen Überbau weglässt, und sich auf’m Platz konzentriert, da, wo es entscheidend ist, muss feststellen: diese Heim-EM ist sportlich und fussballerisch enttäuschend.
Ich stehe subjektiv noch unter dem Eindruck des gestrigen 2:1 der Türkei gegen Österreich. Das Spiel hatte am Anfang und am Ende je eine rasante Viertelstunde. Das meiste dazwischen war verzichtbar. In meiner Fussballkneipe herrschte allgemeines Lamentieren von beiden Seiten. Das war repräsentativ für den bisherigen Turnierverlauf.
Durchgehend überzeugt hat allein Spanien, der nächste Gegner der DFB-Elf. Sollte die diese Prüfung mit dem Heimvorteil bestehen, wird die Frage bleiben, ob sie die nötige innere Spannung für ein Halbfinale und Finale noch aufrechterhalten kann. Sollte sie, wie alle zuvor, von den spanischen Ballkünstlern vorgeführt oder mindestens geschlagen werden, wäre es ein ehrenhaftes Ausscheiden – sofern sie nicht so belämmert aussehen, wie Italien bei seinem gnädigen 0:1. Darüber sind wir Freitagabend schlauer.
Der Megatrend des globalen Fussballs wird bei dieser EM negativ sichtbar: nicht die Nationalmannschaften, sondern die multinationalen Vereinsteams sind die Besten der Welt. Dass mit dem DFB und Spanien zwei Nationalteams überzeugen, die einiges in die Integration von Migrationskindern investiert haben, ein Sachverhalt, der die DFB-Elf bei der AfD so verhasst macht – diese überzeugende Leistungsstärke ist kein Zufall.
Schon mein verstorbener alter Freund Mike Mennen wusste aus seiner eigenen jahrzehntelangen Praxis als Fussballlehrer: Fussball an der Basis ist eine gesellschaftliche Integrationsmaschine. Beim Fussballspiel darfst du niemanden zurücklassen, alle müssen mitziehen – sonst hast du verloren. Das und seine unberechenbare Macht der Zufälle machen ihn so sperrig für den real existierenden Kapitalismus.
Einwurf: der Video-Assistant-Referee, zu deutsch Videobeweis/Kölner Keller, ist ein untauglicher Beweis, den Zufall im Fussball zu bekämpfen zugunsten einer nur imaginierten Objektivität. Diese wird verfehlt, denn Videoschiris sind genauso zu kaufen wie richtige Schiris – fragt nach bei der Wettmafia, von der ihr euch sponsorn lasst. Der Verlust unterm Strich ist die demolierte Dramaturgie im Stadion und vor der Glotze. Einwurf Ende.
Mafifa-Boss Giani Infantino ist der schlaue Agent des Systems, der diese Unberechenbarkeit in effizienteste kapitalistische Verwertbarkeit verwandeln will. Darum will er dem unter Kapitalgesichtspunkten hochwertigsten Fussballwettbewerb, dem ehemaligen Europapokal der Meister, der heutigen Champions League, veranstaltet und abkassiert von seinen europäischen Capos (Uefa), den Saft abzapfen. Diesem Zweck dient die “Club-WM”, die mit 32 Teilnehmern, darunter die zwei üblichen Verdächtigen aus Deutschland (die Fussballkonzerne aus dem süddeutschen und aus dem westfälischen Raum), im nächsten Jahr in den USA stattfinden soll.
Dort findet derzeit, weitgehend unbeachtet in Europa, die Copa America statt. Einen Überblicksbericht von Extradienst-Autor und -Leser André Dahlmeyer hat die Junge Welt eingemauert – 4.7.: ab heute einige Tage paywallfrei. Gastgeber USA ist bereits in der Gruppenphase ausgeschieden – gegen Uruguay und Panama. Brasilien kam nur mit Mühe – in der Gruppe hinter Kolumbien – ins Viertelfinale. WM-Gastgeber Mexiko ist raus wie die USA. Nur Messis Argentinien blieb ungefährdet. Unter einem über den USA liegenden “Heat-Dome” wurde bei 40 Grad gespielt, als sei mann wieder in Qatar. Nur ein Schiri-Assistent kollabierte.
The show must go on. Das Kapital muss fliessen.
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