mit Update nachmittags

Mein Freund und Kollege Wolfgang Lieb ist empört, “dass es gegen diese Entscheidung von Washington keinen Aufschrei in den Medien und bisher auch nicht in der Öffentlichkeit gibt”. Er meint die Stationierung neuer weitreichender Atomwaffen hier in Deutschland, wie sie vor mehr als 40 Jahren in der West-BRD noch eine grosse Widerstandsbewegung ausgelöst hatten. Liebs Enttäuschung, die ich inhaltlich teile, scheint mir eine Alterserscheinung.

Seinerzeit waren wir viele Jahrzehnte jünger. Und wir waren viele (“Boomer”). Wir konnten die Alten majorisieren, oder zumindest politisch damit drohen. Protestmobile Jugendliche sind dagegen heute eine kleine radikale Minderheit. Die Mehrheit von Liebs und meinen Altersgenoss*inn*en begreift bis heute inhaltlich nicht, was die uns zu sagen haben.

Versäumnis Eigentumsfrage

Und ein Kern des Elends ist der Zustand der demokratischen Medien: “Finstere Zeiten tragen die Signatur der Entwirklichung”. Unsere Alterskohorte hat es – wie in allen anderen gesellschaftlichen Sektoren auch – versäumt, die Eigentumsfrage zum gesellschaftlichen Konflikt zuzuspitzen. Die FDP weiss, was ich meine. Das stand unter DDR-Verdacht, und wurde darum bewusst taktisch vermieden. Ein Fehler. Heute gibt es in allen Dienstleistungssektoren einen katastrophalen Fachkräftemangel, auch unter Journalist*inn*en. Was für unsere Kohorte noch ein Traumberuf schien – er war es nie – ist heute verrufen, wie sonst nur Politiker*innen.

Immerhin haben es die eingebetteten Medien handwerklich sauber geschafft, den Empörungsanlass von Wolfgang Lieb mit einer sensationalistischen Attentatsstory zu überdecken. Zu unserer Zeit brauchten sie noch die RAF für sowas, was aber in den 80ern schon durchschaut wurde. Heute funktioniert “Putin” für fast alles. Verschwörungstheoretisch wirft das die Frage auf, was sie ihm wohl dafür geben/zahlen. Das Wirtschaftswachstum soll dort besser aussehen als bei uns. Trotz oder dank der EU-Sanktionen?

Kein satisfaktionsfähiger Träger

Für einen wirksamen Protest gegen die aktuelle Atomwaffenstationierung bietet sich kein satisfaktionsfähiger Träger im politischen und massenmedialen Raum an. Wo mann*frau hinblickt – alles Ausfälle. In den 80ern entstanden so die Grünen – aber wie gesagt: wir waren damals viele (Wähler*innen). Junge Menschen in Deutschland könnten nur durch Einwanderung Viele werden. Alle deutschen Parteien wehren sich exakt dagegen mit allem, was sie (noch) aufbieten können. Sie wissen, warum.

So bleibt nur die Verletzung des Amtseides für die Mitglieder der Bundesregierung: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.” Schaden nicht anlocken, sondern “abwenden”. Atomwaffen sind Atomwaffenziele – von “Schaden von ihm wenden” kann also keine Rede sein.

Update nachmittags

Braucht Thomas Knüwer einen Arzt?

Wolfgang Lieb und ich sind ja gewiss schon schwere Fälle. Aber nehmen Sie mal folgenden Kontrast. Thomas Knüwer hatte eine Fision. “Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen” sagte ein hochgeachteter Bundeskanzler, den ich in seiner Amtszeit politisch bekämpft habe, und erst durch seine Nachfolger*innen erkannte, was wir an ihm hatten (mein Freitag-Interview mit Uwe Lyko hierzu ist ohne meine Zustimmung digital eingemauert worden). Thomas Knüwer nennt es keine Vision, obwohl es eine ist, sondern: “Das ist eine Hirnsportübung, die nur in einem Punkt ernstzunehmen sein soll – wäre ich Chefredakteur eines solchen Mediums, würde ich genau das auf der Seite 1 veröffentlichen und planen.”

Also bitte schön: “Offener Brief an Deutschlands Milliardäre”.

Was für ein Kontrast zu Wolfgang Liebs Gegenwartsdiagnose. Und darum von mir ganz streng materialistisch gefragt: Welches Interesse, welchen Antrieb müssen “Deutschlands Milliardäre” haben, das zu tun?

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net