Der Völkermord in Ruanda 1994 war – möglicherweise, wissen wir alles? – das mörderischste Ereignis seit dem Kampf gegen und dem Sieg über den deutschen Faschismus 1945. Ich war seinerzeit Politprofi, und das geworden, weil ich breitflächig politisch interessiert war. Mein Zivildienst bei der Anti-Apartheid-Bewegung 1976-78 hatte meinem politischen Horizont sehr gut getan. Dennoch war das Ereignis ein Überfall auf das Bewusstsein politisch denkender Menschen in Mitteleuropa. Mir war niemand aufgefallen, der*die öffentlich wahrnehmbar davor gewarnt hätte. Es war ein blinder Fleck der herrschenden Weltsicht.

Anders natürlich in den europäischen Geheimdiensten, die sich damals in Afrika so breit machten, “wie sie es heute immer noch tun” (Wader, Mey, Wecker). Sie hielten es erfolgreich unter der Decke öffentlicher Wahrnehmung. Als es passierte, waren sie nicht, aber “wir”, überrascht und entsetzt, ratlos.

Für alle die, die das bis heute gedanklich beschäftigt und nicht loslässt, viele sind es nicht, habe ich eine sehr, sehr schlechte Nachricht. Danach sind weitere 5 Millionen Menschen gestorben. Von mitteleuropäischer Öffentlichkeit nahezu komplett unbemerkt. Und wenn nicht, dann zusätzlich noch politisch demonstrativ ignoriert. Die hochintelligente Kagame-Regierung Ruandas versteht sich nämlich auf politische Analysen, nicht nur zuhause, sondern auch auswärts. Sie ist offenbar den politischen Führungen von EU, UK und zukünftigen deutschen Regierungsaspirant*inn*en an Intelligenz überlegen. Wenn Sie wollen, können Sie das tragisch finden. Oder sogar dramatisch.

Wenn Sie es nicht glauben, lesen Sie schnell Christian Selz/Junge Welt: Krieg im Kongo: Drei Jahrzehnte Krieg – Der Konflikt im Osten der Demokratischen Republik Kongo begann als Folge des Völkermords im benachbarten Ruanda. Heute geht es vor allem um Rohstoffe. Ein Ende der Kämpfe ist deswegen trotz mehrerer Friedensinitiativen nicht in Sicht”. Auch dieser Text wird in einigen Tagen in einem Paywallarchiv digital beerdigt. Ich habe ihn mir digital gesichert. Falls in einigen Jahren jemand behauptet, sie*er habe das nicht gewusst.

Globaler Norden hat andere Sorgen

Und zwar diese – vorläufig und möglicherweise – guten Nachrichten aus dem “land of the brave and home of the free”: Branko Marcetic/Jacobin: Die Nominierung von Tim Walz steht für einen Politikwechsel – Tim Walz wird der Vize von Kamala Harris. Das Besondere an seiner Nominierung ist nicht, dass er ein Progressiver ist, sondern dass man mit progressiver Politik inzwischen sogar bei der Parteiführung der Demokraten punkten kann.” Die Einschätzung des Autors wird von meinen persönlichen US-Quellen, die eher pessimistisch orientiert sind, überraschend klar bestätigt. Ich erkenne Überreste an politischer Professionalität. Geben Sie mir bitte Bescheid, wenn Sie Ähnliches hierzulande entdecken.

Uns im Westen quält die Wundersame Bahn

Die mag es, mit dem Bonner Generalanzeiger als Überbringer, der es noch nicht einmal, wie sonst fast alles, digital einmauert, gerne sadistisch: Deutsche Bahn: Gravierende Sperrungen auf der Strecke zwischen Köln und Bonn – Für drei neue elektronische Stellwerke im Rheinland müssen Bahnkunden in den kommenden Wochen mit erheblichen Einschränkungen und Ausfällen rechnen. Die Strecke zwischen Bonn und Köln ist von etlichen Umleitungen und Sperrungen betroffen.”

Einfacher wäre es, wenn gemeldet würde, wann und wo überhaupt noch was fährt. So, wie bei den Bahngeschichten längst die origineller sind, die vom Gelingen einer Reise berichten. Und Berufspendler*innen hätten eine pauschale Jahresentschädigung als moralisches Schmerzensgeld mehr als verdient, zusätzlich zum Klimageld, das die Ampelkoalition zwar vereinbart hat, aber nicht umsetzt.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net