Gelegentlich fragen mich Freund*inn*e*n, warum ich kaum noch meine früher mal regelmässigen Hauptstadtbesuche absolviere. Die Antwort ist zum Teil selbsterklärend (“Wundersame Bahn”). Die Faulheit des Alters kommt dazu. Tatsache ist aber in erster Linie, dass es für menschliches Leben kaum bessere Orte als das Rheinland gibt. Das bestätigte sich mir gestern nach einem ausgedehnten Mittagsmahl im l’Olivo mit ausgesuchten besten Freund*inn*en. Und danach las ich – wie zur Bestätigung – dieses Jammern von Berliner Journalist*inn*en:

Wiebke Hollersen, Anne Vorbringer, Ruth Schneeberger, Thomas Fasbender, Marcus Weingärtner/Berliner Zeitung: Restaurants: Warum wir in Berlin nicht mehr essen gehen werden – Der Restaurantbesuch in Berlin ist uns mittlerweile verleidet. Aber woran liegt das eigentlich? Ein paar Gedanken zur verlorenen Freude an der lokalen Gastronomie.” Wenn die Berliner Zeitung das im Laufe des Tages einmauert – ich werde es nicht hervorholen.

Denn dieser Text ist wenig vorbildlich, vielmehr symptomatisch für schlechte, desinteressierte Gäste. Deutsche Gäste wollen bedient werden. Für die damit verbundene Arbeit, Wertschätzung gar, interessieren sie sich nicht.

Da habe ich es in Beuel besser. Mit den Gastronom*inn*en, bei denen ich mich regelmässig bewirten lasse, bin ich befreundet. Ich spreche mit ihnen, interessiere mich für ihre Arbeit, kritisiere auch, wenn ich etwas besser haben möchte (in freundschaftlichem Ton selbstverständlich). Und zeige meine Bewunderung, besonders an heissen und schwülen Sommertagen, die im Rheinland sehr häufig sind.

Ich war engagiert dabei, sie durch die Pandemie zu retten, weil sie ein zentraler Bestandteil meiner Beueler Lebensqualität sind. Solche Orte kannte ich in früheren Jahren auch in einzelnen Berliner Stadtteilen. Viele sind verschwunden, das Café “White Wedding” am S-Bahnhof Gesundbrunnen z.B., also an der Stelle, an der heute das Monster-Einkaufszentrum, genannt “Bahnhof”, steht, oder der kleine Franzose in der Kantstrasse, ein weiterer Elsässer am Savignyplatz. Mann nennt es Gentrifizierung. Dafür ist o.g. Text – in ambivalenterem Sinne, als beabsichtigt – ein Dokument. In meiner alten Heimat im nördlichen Ruhrgebiet beobachte ich: die einst zahlreichen Kneipen sind fast alle verschwunden, der Einzelhandel tut es auch. Dank Kapitalkonzentration (Aldi, Lidl, Rewe etc.) und Amazon – die Rückseite der Gentrifizierungsmedaille (die Vorderseite ist im Süden des Ruhrgebiets).

Die Wohnungen, übrigens, sind bei uns in Beuel genauso teuer wie in Berlin. Und die Bahn fährt genauso selten (“digitales Stellwerk” etc.).

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net