Beueler-Extradienst

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Nazi-Softie

B. Höcke erschien nicht zur Hauptwahlkampfdebatte im TV und viele rätselten, was Sache ist. Er habe schlecht geschlafen, sagte sein Einspringer. Na ja, Schlaf und Freizeit werden vielleicht überschätzt? Wir wissen relativ wenig über das AfD-Personal. Wir haben diese VertreterInnen noch nie unter harten politischen „Wettkampfbedingungen“ gesehen.

Von Angela Merkel wissen wir, dass sie Schlaf tanken konnte, wie Kamele das Wasser in den Höckern. Habeck und Baerbock haben sich durch endlose Nachtsitzungen und nie endende außenministerielle Flugbewegungen rund um den Globus als einsatzfähig erwiesen. Aber B. Höcke? Was wissen wir von ihm?

Wer richtig Politik machen will, braucht eine Art Eisbärenhaut gegen alle Widrigkeiten, muss sich diese erarbeiten oder hat sie irgendwie schon mitbekommen. Das heißt: Standvermögen, was die physischen Bedürfnisse angeht, und Distanzierungsvermögen, was die immerwährenden Angriffe angeht. Die muss Polit-man/frau zwar wahrnehmen, um reagieren zu können, aber muss sie irgendwie auch am A… vorbeigehen lassen, damit das alles auch psychisch überlebt wird – ohne schlechten Schlaf.

Mein Tipp (aus 20 Jahren Erfahrung nah dran an der Politik): B. Höcke ist eine Art Nazi-Softie: Harte Sprüche, aber kein Standvermögen. Bitte richtig verstehen: Das ist kein Entwarnungssignal! Leute mit einer Nazi-Ideologie ohne wirkliches Polit-standing sind wahrscheinlich doppelt gefährlich – weil dann im Zweifelsfall auch die letzten psychischen Bremsen versagen.

Mein zweiter Tipp: S. Wagenknecht von der Wagenknecht/Lafontaine-Partei ist aus dem selben polit-problematischen Weichholz geschnitzt. Es reicht für schöne Wahlkampf-Auftritte und ein bisschen Talkshow-Geplänkel – aber Hardcore-Merkel-Nachtsitzungsfleisch sehe ich da eher nicht. Eher Burnout, wenn es ernst wird. Das wäre bei der großen Mehrzahl der BürgerInnen (mich eingeschlossen) wohl nicht anders, aber es ist eben nicht politische Nationalelf. Dazu haben nur ganz Wenige das Zeug. Echt wahr.

Über Reinhard Olschanski / Gastautor:

Geboren 1960, Studium der Philosophie, Musik, Politik und Germanistik in Berlin, Frankfurt und Urbino (Italien). Promotion zum Dr. phil. bei Axel Honneth. Diverse Lehrtätigkeiten. Langjährige Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent im Bundestag, im Landtag NRW und im Staatsministerium Baden-Württemberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zu Politik, Philosophie, Musik und Kultur. Mehr über und von Reinhard Olschanski finden sie auf seiner Homepage.

6 Kommentare

  1. Roland Appel

    Lieber Reinhard, diesmal liegen wir nicht beieinander in der Einschätzung. Ja, der Typ ist eine wehleidige Mimose, aber auch Hitler litt unter Kontaktängsten, Blähungen, Verfolgungswahn, Erektionsstörungen, eingebildeten Krankheiten und neigte zu Wutausbrüchen und hysterischen Anfällen. Er war mit 50 ein körperliches und psychisches Wrack. Aber für 65 Mio. Tote reichte das allemal. Und Sahra wird alles flüchten, was mit Verantwortung zu tun hat.

    • Reinhard Olschanski

      Ja, lieber Roland, die Hitler-Psyche war auch reichlich löchrig und hysterisch, was die Katastrophe, die er angerichtet hat, vielleicht mit auf die Spitze getrieben hat. – Ich bewundere Politiker-Innen, die sensibel und empathisch bleiben und dabei den Stress des Betriebs gut wegstecken können – ohne durchzudrehen oder sich zu verhärten. Im allgemeinen Politik-Bashing wird diese besondere und sehr seltene Fähigkeit nicht wirklich gesehen. LG Reinhard

  2. Stefan Overkamp

    Ich habe nie verstanden, warum die Teilnahme an “endlosen Nachtsitzungen” als besondere Qualifikation gewertschätzt wird. Sieht für mich eher danach aus, dass diese Leute ihre Arbeit nicht strukturiert bekommen.

    • Reinhard Olschanski

      Glaube, es geht nicht vorrangig um Arbeitsstrukturierung, die man sich bei einer Fortbildung aneignen kann, sondern um politische Beratung und Kompromissbildung, das ist ein viel umfassenderes Thema. Die Spiegelstrichlisten etc., mit denen die Beteiligten in Verhandlungen gehen, kenne ich gut. Das ist Minimalhandwerk. Das haben die Spitzenleute und ihren Teams alle drauf.

  3. Roland Appel

    Das mit den nächtlichen Sitzungen hat etwas archaisches, ritualhaftes, aber auch menschliches, das ich selbst in einer Koalition miterlebt habe, aber auch für Gewerkschafter (Tarifverhandlungen) und (damals) Ostkontakte gilt. Es geht darum, zu ergründen, wo die menschlichen und politischen Grenzen des Gegenübers sind, wieweit sie gehen können und wo es an die Existenz geht. Ein Beispiel: Wir verhandelten Millionensubventionen, für die Steinkohle, die Helmut Kohl im Bundeshaushalt 1997 strich. Für die IG Bausteine Erden – heute IGBCE – ging es um alles, für SPD und Grüne um die Koalition wir wollten den Kohleausstieg, stattdessen ging es um die Übernahme von Subventionen für einen bestimmten Zeitraum, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. IGB und SPD setzten uns höllisch unter Druck, die CDU (Helmut Linssen) sass nur blöde grinsend dabei. Wir, die Grüne Fraktionsspitze wussten aber nicht, was wir durch die Fraktion bekommen. Nach interner Beratung haben wir dem Vorsitzenden Berger (IGB) erklärt, dass wir eine basisdemokratische Partei sind und dafür unsere Fraktion brauchen und nur zusagen können, dass wir uns für XY einsetzen werden. Für die IGB war das nicht das, was sie wollten, aber – mitten in der Nacht, es war wohl 2:20 Uhr ließ Berger, ein legendärer Gewerkschaftsboss ab und ließ den Schnaps kommen. Er hatte gemerkt, dass wir bis an die Grenze dessen gingen, was Grüne ohne sich selbst und unbsere Glaubwürdigkeit zu verraten, tun konnten und baute auf unser Wort. Das war nur möglich, weil vorher stundenlang Positionen ausgetauscht und die Grenzen des jeweils anderen ausgelotet worden waren. Solche Prozesse haben mit Strukturierung nichts zu tun. Es geht um Macht, Vertrauen, Glaubwürdigkeit, und die Frage, wo die Grenzen des Anderen sind, dies auszuloten mit letztlich Respekt und Verständnis für das Gegenüber und ohne ihm das Gesicht zu rauben. Wer so etwas durchgemacht hat, gewinnt an gegenseitiger Achtung und an Vertrauen trotz gegenseitiger Interessen und Ziele. Wer die Grenzen des anderen kennt, wird sie bestenfalls dauerhaft respektieren. Diese Form des menschlichen Umgangs gerät leider immer mehr in Vergessenheit und führt zu schlechten Ergebnissen, wie wir es bei der Ampel erkennen können.

    • Martin Böttger

      Deine hier um Mitternacht niedergeschriebenen Verwechslungen sind so – auch politisch – nicht hinnehmbar. Du hast Dich seinerzeit mit der IG Bergbau und Energie (IGBE) getroffen, die 1997 durch Fusion zur IG Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE) wurde. Der IGBE-Vorsitzende, von dem Du schreibst, war Hans Berger.
      https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Berger_(Gewerkschafter)
      Die IGBE und später IGBCE markierte innerhalb des DGB-Spektrums immer den rechtssozialdemokratischen Rand. Ihr damals berühmtester – für deutsche TV-Talkshows zu spät geborener – Geräuschemacher war Horst Niggemeier
      https://de.wikipedia.org/wiki/Horst_Niggemeier, der es auch zur Romanfigur brachte
      https://www.kriminetz.de/krimis/ekel-datteln.
      Davon zu unterscheiden ist die IB Bau Steine Erden
      https://de.wikipedia.org/wiki/IG_Bau-Steine-Erden
      die 1996 durch Fusionen zur IG Bau-Agrar-Umwelt wurde, und deren langjähriger Vorsitzender Klaus Wiesehügel (1995-2013) ein Freund und Förderer unserer Dir gut bekannten linksgrünen ehemaligen MdB Annelie Buntenbach war, mit dessen Unterstützung sie 2008 (bis 2022) DGB-Bundesvorstandsmitglied wurde.
      Das ist politisch wirklich nur sehr schwer zu verwechseln.

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