Im Frühjahr hat das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) seinen diesjährigen „Bericht zum Stand der menschlichen Entwicklung“ vorgelegt. Die Schlussfolgerung war simpel und unterschied sich kaum von der vergangener Jahre: „Um die zunehmenden globalen Herausforderungen zu bewältigen, ist eine verstärkte internationale Zusammenarbeit unerlässlich.“ Als hervorzuhebende Einfussfaktoren wurden diesmal die Auswirkungen des Klimawandels und die zahlreichen humanitären Krisen genannt.
Das UNDP ist als Exekutivorgan der UN-Vollversammlung das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. Sitz ist New York. Es unterstützt mehr als 170 Staaten durch die Vermittlung von Wissen und Erfahrung, bei der Erarbeitung von Strategien und beim Ausbau institutioneller Fähigkeiten. Dazu sind weltweit rund 20.000 Mitarbeiter/innen tätig. Das UNDP konzentriert sich auf sechs Schwerpunktsektoren: Armut und Ungleichheit, gute Regierungsführung, Widerstands- und Anpassungsfähigkeit, Umwelt, Energie und Strukturwandel, Geschlechtergerechtigkeit. Das UNDP wird vollständig aus freiwilligen Beiträgen der UN-Mitgliedstaaten finanziert. 2022 wurden Zuschüsse im Umfang von 4,8 Mrd. $ gewährt, Deutschland lag mit 375 Mio. $ an dritter Stelle hinter Japan und der ge-meinnützigen Stiftung Global Fund.
Der 300 Seiten starke Bericht zum Stand der menschlichen Entwicklung befasst sich damit, wie der Stillstand bei der Lösung aktueller Probleme durchbrochen und Handlungsspielräume eröffnet werden können. Dazu weist er auf die Diskrepanz hin, dass wir zwar einen nie dagewesenen Stand an Wissen erreicht haben, jedoch offenbar nicht in der Lage sind, Herausforderungen wie Klimawandel, nachhaltige Entwicklung und Friedenssicherung zu bewältigen. Auch wenn die internationale Gemeinschaft weiß, was notwendig wäre, um eine bessere Welt zu schaffen, so verhindern immer wieder neue Krisen eine positive Entwicklung und führen zum Stillstand.
Ausgehend von der Analyse des Ist-Zustands diskutieren die Autor/innen des Berichts, wie man von einem Status der Konfrontation zur Kooperation kommen kann. Ein Schwerpunkt sind die in der jüngsten Vergangenheit immer wieder zu hörenden Aufforderungen zur Reduzierung der Globalisierung und zur wirtschaftlichen Entflechtung. Die Autoren sind sich jedoch einig, dass die globale Interdependenz über nationale Grenzen hinweg bestehen bleiben wird und muss, weil es Herausforderungen gibt, die nur multilateral gemeistert werden können.
Anhand vieler Daten und Grafiken zeigt der Bericht, wo nach Ansicht des UNDP in den vergangenen Dekaden die internationale Dependenz falsch gemanagt worden ist. Man findet jedoch kaum Antworten auf die Frage, wie und warum die heutige Polarisierung entstanden ist, wer dafür verantwortlich ist und welche Rolle die Vereinten Nationen dabei gespielt haben bzw. hätten spielen sollen. Etwas simpel wirkt da die Empfehlung, als Lösung auf Bildung und Wissen zu setzen. Dazu sollen den Menschen mehr Mitwirkungsrechte gegeben, ihnen ein vereinfachter Zugang zu mehr Wissen ermöglicht und die Voreingenommenheit gegenüber politisch Andersdenkenden überwunden werden.
Besondere Aufmerksamkeit verdient der Index der menschlichen Entwicklung (HDI), der seit 1990 im UNDP-Jahresbericht veröffentlicht wird. Er listet den Leistungsstand aller Staaten auf und wird auch als Wohlstandsindikator bezeichnet. Der HDI berücksichtigt das Bruttonationaleinkommen pro Kopf, die Lebenserwartung und die Dauer und Qualität der Ausbildung. Dabei werden die Anzahl an Schuljahren, die eine 25-jährige Person absolviert hat, sowie die voraussichtliche Dauer der Ausbildung eines Kindes im Einschulungsalter berücksichtigt.
Anlass für die Entwicklung des HDI war die Kritik an den traditionellen Messinstrumenten, die auf Daten wie Bruttosozialprodukt, Exportquote und Inflationsrate beruhen und nicht die Bedürfnisse und Fähigkeiten der einzelnen Menschen zugrunde legen. Der jetzt verwendete Faktor Lebenserwartung gilt als Indikator für Gesundheitsfürsorge, Ernährung und Hygiene; Bildungsniveau und Einkommen stehen für erworbene Kenntnisse, angemessenen Lebensstandard und Teilhabe am öffentlichen und politischen Leben. Das Verfahren zur Berechnung des HDI ist mathematisch ziemlich anspruchsvoll.
Aussagekräftig sind weniger die Einzeldaten der Staaten als die Veränderung ihres Rangs und die erkennbaren Trends. So zeigt die Statistik von 1980 bis 2011, dass Europa und Zentralasien zwar weiterhin vorn liegen, jedoch das Wachstum von Ostasien und Vorderasien deutlich höher liegt. Unverändert niedrig sind die Werte der afrikanischen Staaten der Subsahara.
Die vom UNDP gewählten Faktoren und Berechnungsverfahren sind nicht unumstritten. Zudem hat es dort in den vergangenen Jahren immer wieder Änderungen gegeben, was die Vergleichbarkeit der Daten und Trends erschwert. Zunehmend kritisiert wird, dass der HDI keine ökologischen Kriterien berücksichtigt. Bekanntlich hinterlassen reiche Staaten bzw. deren Bevölkerung einen besonders hohen ökologischen Fußabdruck (Umweltbelastung und -verbrauch).
Für insgesamt 191 Staaten hat das UNDP den Entwicklungsstand ermittelt. Immerhin 66 fallen in die Rubrik „sehr hohe menschliche Entwicklung“. Unter den ersten 20 sind fast ausschließlich europäische Länder sowie Hongkong, Australien, Neuseeland, Kanada, Ja-pan und Südkorea. Die USA, Israel, Österreich, Spanien, Frankreich und Italien folgen erst in der nächsten Gruppe. Deutschland liegt auf Platz 9 und hat sich gegenüber dem Vorjahresbericht um zwei Plätze verschlechtert.
49 Staaten wird eine „hohe menschliche Entwicklung“ bescheinigt. Darunter fallen u.a. die VR China, Südafrika, die Ukraine, der Iran und (damals) Palästina sowie etliche lateinamerikanische und nordafrikanische Länder. Die Gruppe mit „mittlerer menschlicher Entwicklung“ umfasst 44 Staaten, darunter Venezuela, Marokko, Bangladesch, Indien und Syrien. In die Rubrik „geringe menschliche Entwicklung“ fallen 32 Länder, fast ausnahmslos afrikanische Staaten, dazu Afghanistan, Pakistan und Haiti. Auf den letzten Plätzen liegen Mali, Burundi, die Zentralafrikanische Republik, Niger, Tschad und Südsudan.
Zehn Staaten wurden bei der Listenbildung des UNDP nicht berücksichtigt, offenbar mangels belastbarer Daten. Unter anderem gilt dies für Nordkorea, Somalia, Taiwan und den Kosovo. Interessant ist ein Blick auf die Spitzenplätze der letzten Jahrzehnte. In den Neunziger Jahren lag sechsmal Australien vorn. Danach folgte dauerhaft Norwegen, nur 2007 und 2008 unterbrochen von Island. 2021 nahm die Schweiz den ersten Platz ein.
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