Warnhinweis: in diesem Text wird rücksichtslos ummaterialistisch personalisiert

Gestern mittag musste ich wieder sehr lachen. Ich las im Freitag, dass Michael Angele, der selbst mal Chefredakteur von irgendwas war, Bernd Ulrich als “politischen Feuiletonisten von Rang” und mal als “versiert” titulierte und bei einem Frank-Schirrmacher-Vergleich endete. So mögen sich die Jungs selbst. Aber habenses nich ne Nummer kleiner?

Bernd Ulrich begegnete mir erstmals im Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung Anfang der 80er Jahre. Ähnlich wie der von mir weit höher geschätzte Dietrich Schulze-Marmeling fungierte er als Urlaubsvertretung für die “Bundeskonferenz autonomer Friedensgruppen”. Die galten damals als linksradikal/linksautonom mit Teilen, denen Gewalt durchaus auch mal Spass machte. Also schwierig. Ihre Vertreter im KA der Friedensbewegung waren vernünftigen inhaltlichen Diskussionen allerdings jederzeit zugänglich.

Das nächste Mal begegnete mir Ulrich als MdB-Mitarbeiter von Antje Vollmer, die seinerzeit in der Grünen Bundestagsfraktion mit den Realos paktierte, und zusammen mit Christa Nickels zeitweise eine eigene Strömung mit der Selbstbezeichnung “Grüner Aufbruch” unterhielt. Die meisten damals damit konfrontierten grünen Zeitgenoss*inn*en können dabei, ähnlich wie beim Schlagwort “Müttermanifest”, ein Augenrollen nicht vermeiden. Ulrich wiederum profilierte sich damals mit eigenen Texten als – im Vergleich zum weit offensiveren Udo Knapp – gemässigter Bellizist beim ersten Irakkrieg. Mehr als eine Fußnote war das nicht.

Dann nahm ich sein Schaffen wieder zur Kenntnis, als er einen Redakteursjob beim Berliner Lokalblatt “Tagesspiegel” ergatterte. Dort wollte mann sich ein bisschen an die Grünen ranwanzen. Dafür war der Mann genau richtig. Irgendein Dokumentarfilmer guckte damals ihm und seinem Chefredakteur Giovanni die Lorenzo (von der SZ gekommen) auf die Finger. Und eine Szene hat sich mir eingebrannt. Ulrich sitzt an der Tastatur, di Lorenzo gebeugt hinter ihm, und diktiert ihm, was er schreiben soll. Subtilität konnte ich nicht entdecken. Di Lorenzo demonstrierte allen, die es gar nicht wissen wollten, wer Koch und Kellner war.

Diese arbeitsrechtliche Disposition war mir aus meinem eigenen Berufsleben durchaus bekannt. Di Lorenzo zeigte sich bei Ulrich immer erkenntlich, indem er ihn bei seiner eigenen alphajournalistischen Karriere hinterherzog, bis heute zum vorgeblichen Starfeuilletonisten. Naja, er ist ja nicht doof. Aber irgendwie beunruhigt mich die Berechenbarkeit dieser jahrzehntelangen Geschichte. Sie kennzeichnet durchaus paradigmatisch die Probleme, die gegenwärtige Medien mit der gegenwärtigen Gesellschaft haben. Und “Die Zeit” gehört ja noch zu den letzten – ökonomisch – Erfolgreichen.

Totenglöckner

Imgrunde seit es die Ampelkoalition gibt (2021), läuten die Damen und Herren ihre Totenglocken. Das Risiko ist gering. Eines Tages wird der Tod eintreten. Er hängt allerdings nicht von der Lautstärke der Glocken ab, sondern von den gewählten Bundestagsabgeordneten. Ich gestehe: ich traue denen ebenfalls jede Menge Schwachsinn zu. Zuvörderst der FDP.

Sie musste Verzweifeltes unternehmen, um am letzten Wahlabend überhaupt bemerkt zu werden. Denn Wähler*innen von ihr wurden in Thüringen und Sachsen keine gefunden. Wenn sie nun durch eigene Initiative nicht nur die Koalition sondern auch ihre eigene parlamentarische Existenz beenden, dann muss auch der ideologisierteste Teil des deutschen Grosskapitals erkennen, was für mich und tausende damalige FDP-Mitglieder schon 1982 klar war: die FDP ist kein geeignetes politisches Instrument mehr für meine gesellschaftlichen Interessen.

1980 beschlossen die Jungdemokraten bei ihrem Bundeshauptausschuss in Anwesenheit von FDP-Generalsekretär Günter Verheugen: “Die FDP ist eine Agentur jener Kräfte, denen wir in unserer Gesellschaft die Macht abnehmen wollen.” Das fand Verheugens damaliger Boss Hans Dietrich Genscher nicht amüsant, und förderte die “Jungen Liberalen” eines gewissen Guido Westerwelle. Heute müssen sich ebendiese Kräfte fragen: für was soll die FDP noch gut sein?

Wen wird das deutsche Grosskapital erwählen?

Ich für meinen Teil ziehe den Södermarkus dem Friedrich Merz vor. Einfache Begründung: Söder kennt nur ein Dogma – das ist er selbst. Der Rest ist Verhandlungssache. Merz dagegen – das wäre dann eher die Wahl der herrschenden Klasse – hat noch irre neoliberale Grundsätze, quasi als legitimer Erbe der FDP. CDU und CSU müsste das warnen. Ist der Weg der FDP ein Vorbild?

Weltzugewandte Teile des Grosskapitals haben sich den Grünen zugewandt. Doch wie stabil sind die? Volksparteien sind tot, und entstehen auch durch mediale Beschwörung nicht neu. Linke Leute wie Appel oder ich stänkern folgenlos rum, viele davon sind nicht mehr da und sterben weg (wie Antje Vollmer). Aber wieviele Atlantikerparteien braucht Deutschland in der real existierenden Globalisierung und ihren geschäftsschädigenden Konfrontationen? Als Postergirl ist die Wagenknecht denen allen überlegen, als Talkshowgast ebenso. Oskar hätte sein Lebensziel erreicht.

Jauche

Und wenn die Amis doch den Trump wählen, können “wir” immer noch die AfD nehmen. Die sind wahrscheinlich die Letzten, mit denen der noch redet.

Ich gestehe, mir geht das alles zu schnell. Ich bin doch erst 67. Deutsches Grosskapital: gib mir Unrecht! (“Liebes” am Satzanfang habe ich wieder gestrichen: in Geschichte hatte ich ‘ne 1.)

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net