Verständlicherweise schlägt das Vorgehen von Heise/telepolis aktuell hohe Wellen. Die Erregung betroffener Autoren kann ich – nicht in der kompletten Argumentationsführung, aber prinzipiell – nachvollziehen. Es ist aber nur die Spitze des Eisberges Digitalisierung. Zugespitzt: was digital nicht existiert, existiert nicht. Das gilt zu allererst für jede Art von (politischer) Öffentlichkeit. Und wer die richtigen Webmaster-Instrumente beherrscht, ist mächtiger als Milizen und Armeen: sie*er kann Nachrichten, Meinungen, Argumente töten. Die Macht der Archive wächst. Sie müssen unter öffentliche Kontrolle.
Warum bin ich als Konsument nicht in den E-Books-Markt eingestiegen? Erstens, weil ich es nicht mehr schaffe, “das” alles zu lesen. Zweitens, weil ich mich von der Preisgestaltung der Verlage (E-Books kaum billiger als die weit teurere Produktion plus Vertrieb von Druckwerken) nicht für dumm verkaufen lasse. Aber drittens und entscheidend: durch einen Tastendruck könnte ich enteignet werden – weg ist das E-Book und meine Konsumentensouveränität. Das ist nur ein Beispiel aus der digitalen Welt. Mit Software ohne Update-Unterstützung, auch bei der Hardware, läuft es ganz genauso. Mein Auto – ich habe gar keins – könnte aus der Ferne stillgelegt werden, wenn es irgendjemand, der über die technische Macht verfügt, gerade in den strategischen Kram passt.
Konzernmacht
Der weit grössere Teil menschlicher Kommunikation findet in asozialen Netzwerken in Konzernbesitz statt. Der Konzern verfügt über das Hausrecht, moderiert und zensiert, oder lässt es, wie er das für richtig hält. Und macht das selbstverständlich nicht öffentlich. Algorithmen sind “Geschäftsgeheimnis”. Das ist nicht meine Welt. Ich bin alt genug, mir den Luxus erlauben zu können, mich davon fernzuhalten. Wäre ich noch in irgendeinem meiner alten Berufe, wäre das unmöglich.
Die Politik in den schrumpfenden bürgerlichen Demokratien ist dieser Entwicklung ca. 30 Jahre hinterher. Die neoliberalen Regimes wollten es so. Die Nicht-Neoliberalen leiden unter ihrer sinkenden Fachkompetenz und dem immer geringer qualifizierten Personal, das sie bei demokratischen Wahlen auf die Waage bringen. Die qualifizierteste Chronistenquelle dieser Prozesse ist netzpolitik.org, einer der seltenen und wertvollen Orte von im besten Sinne gemeinnützigem Journalismus. Immerhin schaffen es diese Kolleg*inn*en jedes Jahr, eine sechsstellige Spendensumme zusammenzutrommeln. Meine Hochachtung. Auch für Gründer Markus Beckedahl, gebürtiger Bonner, der so wenig wie ich unter Ablösungsproblemen leidet, und “sein Kind” selbstständig laufen lässt.
Refeudalisierung
Im Ergebnis hat das weltweit zu einer Refeudalisierung von Macht geführt. Die machthabenden Milliardäre sind mit den Fingern zweier Hände aufgezählt. Es ist etwas, was revolutionäre bürgerliche Liberale in früheren Jahrhunderten mit der “Aufklärung”, der französischen Revolution und der Gründung der USA beantwortet haben. Am wenigsten weit kamen sie in Deutschland (1848). Bekanntlich wiederholt sich Geschichte nicht. Und wenn, dann nur als “Farce”.
Nun grübelt ein anderer der wenigen fachkompetenten Kolleg*inn*en Falk Steiner (bei den o.g. “Übeltätern” von Heise) mal wieder, wie alle vier Jahre über ein Digitalministerium: “Missing Link: Das Digitalmysterium – Nach der Bundestagswahl könnte Deutschland erstmals ein eigenständiges Digitalministerium bekommen. Ob das real etwas bringt, hängt von vielen Faktoren ab.”
Aufgeschriebenes angestrengtes Nachdenken. Die Verhältnisse und die Angebotsseite der Parteien machen wenig bis gar keine Hoffnung. Mein Gedanke nach dem Lesen: der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller ist einer der wenigen Aktiven, den ich noch für die Leitung eines Ministeriums für fähig halte. Und die meiste fachliche ressortübergreifende Kompetenz sehe ich bei der Behörde der Bundesbeauftragten für Datenschutz (die Chefin ist zwar Bonnerin, kenne ich aber nicht persönlich). Die Stärken und Schwächen der handelnden Personen werden am Ende entscheiden, ob es noch schlimmer wird. Oder langsam, zu langsam, ein wenig besser.
Das Problem ist, dass die Digitalisierung nicht mehr aufzuhalten ist. Niemand weiß, wie wir in 5 oder 10 Jahren kommunizieren. Algorithmen sind doof. Das merkt man bei den automatischen Ansagen in den Bahnhöfen.
Ich bin kein Technikgegner. Es wäre aber sinnvoll, die Digitalisierung kontrollieren zu können. Dazu bräuchten wir Provider in Deutschland und/oder Europa.
Algorithmen sind super, die suchen doch raus, was mich interessieren muss, da sind die wirklich ganz unkritisch. Spannend der Selbstversuch der Tagespresse aus Österreich, das funktioniert auf allen anderen Plattformen auch, die haben sich TikTok genähert. Das ist der Stand der Digitalisierung, mit der unsere Kinder ungefiltert gefüttert werden. Ich weiß zwar nicht, wie Demokratie damit gestaltet werden kann, aber wir dürfen im Endstadium des Kapitalismus nicht außer Acht lassen, dass jede administrative Einmischung durch EU-Gesetzgebungsverfahren als geschäftsschädigend eingestuft werden muss. Hier der Link , es ist TikTok, die Geschäftsschädigung würde auch nordamerikanische Anbieter treffen.
https://dietagespresse.com/selbstversuch-so-radikalisiert-tiktok-oesterreichische-teenager/
Hallo Christian, grundsätzlich stimme ich der Bewertung der asozmedien zu. Zum “Selbstversuch” würde ich aber anmerken das alle! asozmedien mit “jungmähnischen” Usern ihre Schwierigkeiten haben und einem verrücktes Zeug präsentieren. Ich wäre also vorsichtig, das für allgemeingültig zu halten. Interessant würde es werden, wenn man mit ihnen in eine subtiele Komunikation treten würde weil kein Jugendlicher verhält sich so wie in dem Versuch dargestellt.
Da ich die Tagespresser auch nicht unbedingt für die hellsten kerzen des Indernets halte wäre die Frage, mit welchen Geräten haben die zugegriffen, was für apps waren drauf usw.
Meine Erfahrung ist das sich das Verhalten dieser asozmedien (soweit ich sie überhaupt nutze) je nach verwendetem Endgerät ändert.
Mein PC liefert ganz andere Ergebnisse als mein Tablett ( wo ich mal vor x Jahren nach Weißer Ware gesucht habe und mir heute noch affilieited Werbung diesbezüglich rein geschoben wird :))) )
Aus dem Grund nutze ich auch meine Endgeräte selektiv .
Weiter so mit den Aufklärungsversuchen am ahnungslosen Subjekt 😉
ps: mein lektorat hat sich die Hand gebrochen sorry