Was hat da stattgefunden? Trump hat über 30 mal gelogen, Harris 2 mal. Kamala Harris hat gegen den notorischen Lügner Trump deutlich gepunktet. Womit Trump nicht gerechnet hat, war, Widerworte zu bekommen, Widerworte, dass sie ihm wirklich weh taten. Als er anhob, Harris’ Rolle bei der Verteidigung der Südgrenze der USA – eine Aufgabe, die ihr Joe Biden aufgeladen oder eher bei ihr abgeladen hatte – zu thematisieren, griff sie ihn an: “Gehen Sie mal auf Trumps Veranstaltungen – da sind viel weniger Leute, als er immer behauptet, und die, die da sind, gehen meistens nach der Hälfte der Zeit, weil sie gelangweilt sind, wenn er immer das gleiche erzählt.”…Trump ließ von ihrem Schwachpunkt ab und tickte aus.
Er war in diesem Moment, würde Marc-Uwe Kling sagen, so leicht zu spielen, wie eine Kinderflöte. Es war für Harris nicht einfach, mit dem notorischen Lügner eine Diskussion zu bestreiten. Der behauptet, in der Stadt xy würden die Migranten Hunde und Katzen der Einwohner fressen, oder der behauptet, in manchen Staaten würden Neugeborene hingerichtet, getötet, weil Abtreibung auch nach der Geburt legal und üblich sei – er selber habe überhaupt nichts gegen Abtreibung, er habe nur das “geniale Recht” eingeführt, dass nun jeder US-Staat selber entscheinden könne, wie das Abtreibungsrecht aussehe. Weird.
Mitteleuropäer auf dem falschen Dampfer
Die meisten Analysten sehen den Wettkampf der beiden Kandidat*inn*en wie durch eine Art “rosa Brille” aus unserer europäischen Perspektive. Aber dies ist nicht das aktuelle Amerika, die USA, die wir zu kennen glauben. Obwohl nun Harris und Trump in den Umfragen gleichauf liegen, bedeutet das nicht, dass Trump besiegt ist. Zuviele Unsicherheitsfaktoren gelten weiter.
- Auch Hinnary Clinton hatte in absoluten Stimmen eine deutliche Mehrheit vor Trump – er jedoch hatte die “Swing States” überwiegend zugunsten der Republikaner gekippt.
- Inzwischen haben in vielen Saaten und Bezirken die rassistischen oder klerikalen Republikaner in Kleinarbeit Wahlbezirke neu zugeschnitten, sodass weniger weisse Wohlhabende mehr Wahlbezirke gewinnen können. Da nützt es dann nichts, wenn in den demokratischen Wahlkreisen doppelt soviele Stimmen abgegeben werden: Das uralte und ungerechte Mehrheitswahlrecht und Wahlmänner-Delegiertensystem bildet diese Mehrheiten nicht ab. Aus Kalifornien mit 40 Mio. Einwohnern werden 55 Wahldelegierte entsandt, aus dem Wüstenstaat Nevada 6 (bei 3 Mio. Einw.). Aber beide Staaten entsenden jeweils 2 Senator*innen nach Washington.
- Es ist unklar, wie sich Harris’ Profil als Frau und Schwarze auswirken wird. Sie muss, so beschrieb es eine Korrespondentin, einerseits Härte zeigen, darf aber gleichzeitig nicht als “Feministin” auftrumpfen, um nicht männliche Wähler zu verschrecken und somit nicht die Mitte der unentschiedenen Wähler zu erreichen.
- Es ist schwer vorauszusehen, wie sich die angewachsenen Zahlen arabisch oder palästinensisch naher Student*innen und Aktivisten bei der Wahl verhalten werden. Netanjahus Israel ist für Harris ein Klotz am Bein, während das Trump nicht anficht. Und die Ukraine ist für die Wähler*innen außerhalb von Washington, New York und Kalifornien nicht mehr als ein Kaff, von dem keiner weiss, wo es eigentlich liegt und wieso man denen so viele Waffen schickt.
- Die Lügen Trumps erzürnen ausschließlich seine Gegner. Sie sind nicht nur zur Normalität geworden im modernen Meinungskampf auf “truth social”, “X” und Fox News etc.. Trump wurde populär durch seine Tätigkeit als Fernsehshow-Clown, der am Ende jeder Show zur Freude schlichter Gemüter beliebig viele Personen “You’re fired” entgegenschleuderte und das will er ja in Washington mit den gesamten Beamten machen. Seine Fans wollen das sehen, wie ein Footballspiel – egal was am Ende dabei herauskommt. Das mobilisiert seine Anhänger, egal welchen Schwachsinn er dazu erzählt.
Ein Kandidat, der “weird” ist und nicht an die Zukunft denkt
“Weird” ist deshalb die richtige, Strategie im Umgang mit Donald Trump. Er hat immer noch kein Rezept gefunden, damit umzugehen. Und Harris’ Versuch des Perspektivenwechsels in die Zukunft trifft ihn, hat aber seiner Eloquenz und Lebendigkeit im Auftreten nicht so zugesetzt, dass er so alt wirkte, wie er ist. Ob das alles für Harris reichen wird, ob es ihr gelingt, zumindest einige der rein auf ihren Geldbeutel schauenden Leute zu erreichen, ist völlig offen. Denn der Chauvinismus und der Glaube, dass allein den Bürgern der USA das Recht zusteht, gut zu leben und reich zu werden, ist inzwischen, so scheint es, nationales Allgemeingut.
Das Fernsehduell hat eine wichtige Funktion erfüllt. Es hat Kamala Harris bekannter gemacht, sie aus dem tiefen Windschatten hinter Joe Biden herausgeholt. Sie nimmt in der Vorstellung der Wähler*innen Konturen an. Die Unterstützung Taylor Swifts kann auch ein bisschen helfen. Ob das reicht, genügend Stimmenüberhang zu organisieren, dass sie eine Chance hat, die Wahl zu gewinnen, steht in den Sternen. Und auch dort hat inzwischen mit Elon Musk ein Oligarch und Antidemokrat die Finger mit im Spiel.
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