Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich wirtschafts-, struktur- und finanzpolitisch in einer historisch einmaligen Situation – und keiner bemerkt das. Pardon, pardon, das ist gewiss übertrieben, aber die Richtung stimmt schon. Was dahinter steckt?

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), beträchtliche Teile der Wirtschafts- und Finanzwissenschaft, der DGB nebst seinen Gewerkschaften, grüne Spitzenleute, einige aus der CDU, aus deren Arbeitnehmerflügel und die SPD plädieren dafür, bis 2030 bis zu 1,4 Billionen Euro zu mobilisieren, damit die Transformation zur CO2 -Neutralität im vorgesehenen Zeitrahmen wahr werden kann – bis 2045 in der Bundesrepublik und bis 2060 in Europa. Lediglich der quengelige Bundesfinanzminister und seine Anhängerschaft in der FDP, Teile der Unionsparteien und die AfD sowie einzelne Wissenschaftler halten dagegen. Nicht mal die so pingelige NZZ findet nennenswerte Namen, die sich gegen ein 1,4 Billionen-Projekt stemmen. Während die NZZ nix findet, hat die FAZ den Bundeskanzler gegen den BDI in Stellung. Wir werden ja erleben, ob da etwas dran ist.

Mit einer Verteidigung der Schuldenbremse hat das jedenfalls nichts mehr zu tun.

Null!

Ein Drittel der 1,4 Billionen soll der Staat mobilisieren, zwei Drittel sollen von den Privaten einschließlich Unternehmen bereitgestellt werden, damit über 400 Euro Milliarden eingesetzt werden können, um die Energieversorgung grün, sicher und preiswert zu machen. Mit hunderten weiteren Milliarden Euro sollen grüne Erzeugnisse unter die Leute gebracht und die Infrastruktur erneuert werden.

Es gibt Äußerungen des Direktors des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, die in ihrer Logik nur als saftige Kritik am Steuer-Aufkommens und – Steuer- Verwendungs-Geschwurbel in der Koalition gewertet werden können: „Wir können nicht erst Mal drei Jahre priorisieren“, übermittelte die FAZ von Hüther am Montag (Julia Löhr, Seite 15: „1,4 Billionen für die Transformation“, Paywall) Hinweise von Finanzminister Lindner auf ein historisch hohes Investitionsniveau seien „nichts wert“.

Hüther spricht auch von „Kipppunkten“ in der Infrastruktur. Das heißt etwas landläufiger beschrieben: Versagen von Teilen der Daseinsvorsorge, Wegbrechen von Transport, katastrophale Rückschläge für Bildung, Ausbildung, Innovation und Fertigung.

All das zwingt Bilder aus den Tagen zuvor in die Köpfe: Wie nämlich der frühere Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, den Europäern erklärte: Entweder kommt ihr nun in Bewegung, ihr in Europa, ihr investiert oder es gehen über kurz oder lang die Lichter aus.

Über Klaus Vater / Gastautor:

Klaus Vater, geboren 1946 in Mechernich, Abitur in Euskirchen, Studium der Politikwissenschaft, arbeitete zunächst als Nachrichtenredakteur und war von 1990 bis 1999 Referent der SPD-Bundestagsfraktion. Später wurde er stellvertretender Sprecher der deutschen Bundesregierung. Vater war zuvor Pressesprecher des Bundesministeriums für Gesundheit unter Ulla Schmidt, Sprecher von Arbeitsminister Walter Riester, Agentur-, Tageszeitungs- und Vorwärts-Redakteur. Mehr über den Autor auf seiner Webseite.