Die FDP – und demnächst auch öffentliche Sendeanstalten?

Seit ich Wähler bin, bin ich Unglücksrabe für die, die ich wähle. Beispiele. Zwar gehörte ich 1973-82 der FDP an, habe sie aber, weil ich zuviel wusste, nur ein einziges Mal gewählt: bei der NRW-Landtagswahl 1980. Ergebnis: 4,98%. 1989 trat ich den Grünen bei. Nie habe ich sie überzeugter gewählt als 1990, als sie lieber über Klimapolitik als über deutsche Einheit diskutieren wollten. Ergebnis: Grüne (West): 3,8%. Die Wahlparty in der Bonner Biskuithalle war um 21 h von heulenden Mitgliedern beendet und feucht durchgewischt. Mein weiteres Wahlverhalten erinnere ich nicht mehr in allen Details. Gelegentlich wählte ich “Die Linke” – weg ist sie.

Endlich bekommt die Sache auch eine gute Seite. Das gilt demnächst auch für die FDP. Ich habe mir abgewöhnt, wie es fast alle Politiker*innen heute noch tun, täglich bei wahlrecht.de nachzuschauen. Für mein Wohlbefinden ist das abträglich. Als ich dann gestern aber doch mal reinschaute, stellte ich zu meiner Schadenfreude fest, dass die FDP nirgends über 5%, aber sehr wohl schon unter 4% taxiert wird. Etwaige Fehlerraten der Demoskop*inn*en könnten damit zusammenhängen, dass sie in 6 von 16 Bundesländern gar keine FDP-Wähler*innen mehr finden können (bei der “Linken” sind es 8 von 16). Das ist doch mal eine gute Nachricht.

Meine Deutung des FDP-Ablebens

Die FDP hatte immer – unabhängig von Einzelwahlergebnissen – für das deutsche Grosskapital eine Relevanz, wie sie Heiner Jüttner an einem schönen Beispiel frisch erklärt hat. Es gab viele für das Grosskapital relevante Fragen, in denen sich die FDP wirksam bewährt hat. Diese Zeit geht nun zuende. Die Ampelkoalition wird nicht wiederkommen. Sie war für alle ihre Wähler*innen zu schlecht, nicht zuletzt dank der schwächlichen aber wirksamen FDP. Ein Kanzlerkandidat Friedrich Merz inkorporiert alle Kapitalinteressen, die die FDP bisher vertreten hat. Und er hält die Faschismusoption offen, auch wenn sie ihm vorläufig noch zu heiss zum Anfassen ist. Parallelen zu Frankreich werden sich – nicht zufällig – ergeben. Kein Mensch braucht dafür die FDP – klare Verliererin im AfD-Ähnlichkeitswettbewerb.

Dass Christian Lindner 2017 eine Jamaika-Koalition scheute, hatte einen guten Grund. Er wusste zuviel über seine Partei (wie einst ich). Es war die Tatsache, dass er in seiner Partei niemanden kannte, der*die für ein Regierungsamt ausreichend qualifiziert war. Das hat sich später in der Ampelkoalition als absolut richtig erwiesen. Der Einwand, dass doch z.B. Volker Wissing für das deutsche Auto-Grosskapital eine “erfolgreiche” Verkehrspolitik betreibe, mag sachlich zutreffen. Gleichzeitig wirkt er dabei auf die wählenden und nichtwählenden Volksmassen wie ein fauler ignoranter nichtsnutziger Sack – ein personifizierter Grund für die FDP-Umfragezahlen. Nunja – Christian Lindner selbst ist das auch, aber es lohnt sich nicht, das Thema hier überhaupt noch zu vertiefen …

Feuer im MDR

Der Genosse Heiko Hilker ist nach meiner Kenntnis in ganz Deutsch-Ost der medienpolitisch kompetenteste Kerl, der sich noch betätigen darf, und das auch wagt. Werktäglich erhalte ich – und nicht wenige Andere – von ihm kostenlos (!) per Email eine Liste von 50-100 Internet-Links, die die medienpolitische Mediendebatte in dieser vermaledeiten Republik geradezu enzyklopädisch erfasst, und zwar schon um 6.50 h morgens. Es gibt Tage, an dem ich die geballte Macht dieser Informationen – mit nicht geringem Trash-Anteil – schon nach dem Aufwachen regelrecht fürchte. Es ist die 100%ige Wiedergabe veröffentlichter Meinung. In weniger als 5% der Fälle ergänzt Hilker mit persönlichen Hinweisen, immer streng faktenbasiert auf Basis geltender Gesetzes- oder Vertragstexte – die die meisten zitierten Medien gerne tendenziös verschlabbern.

Hilker sitzt – noch – für “Die Linke” im MDR-Rundfunkrat, war zeitweise auch MdL in Sachsen. Politische Erfolge verhalten sich offenbar umgekehrt proportional zu seiner Fachkompetenz. Nun scheint er im MDR-Rundfunkrat so eine Art Abschiedsrede gehalten zu haben, in nichtöffentlicher Sitzung. Und irgendjemand hat Pierre Deason-Tomory/Junge Welt was davon erzählt: Mehr Osten wagen – Vertreter im Rundfunkrat zerlegt auf einer Klausurtagung Programm und Strategie zum Mitteldeutschen Rundfunk”. Wie es sich für nichtsnutzige linksradikale Medienstrategie gehört, wird die Junge Welt auch diesen politischen Abschiedsgruss in einigen Tagen in einem Paywallarchiv versenken. Ein Grund mehr, hier daran zu erinnern.

Inhaltlich ist auf der Basis des Junge-Welt-Berichts anzumerken, dass der Kollege Hilker einen Sachverhalt richtig erkannt hat. Die gefährlichsten Gegner*innen/Feind*inn*e*n der öffentlichen Medien sind wichtige Teile ihrer eigenen Führungen, vergleichbar dem AfD-Ähnlichkeitswettbewerb der demokratischen Parteien. Diese Herangehensweise ist demobilisierend – ein Engagement für Demokratie und demokratische Medien wird von innen unmöglich gemacht. Gesellschaftliche Kräfte, die für sie zu kämpfen bereit sind, können gar nicht erst entstehen – und wo sie es doch tun, werden sie schnell und effektiv mit Ignoranz abgeschreckt. Das ist objektiv die Schwächung einer demokratischen Immunabwehr. Daran ist schon die Weimarer Republik gestorben. Sie wurde nur 13, die BRD-Demokratie ist jetzt 75 – historisch betrachtet ein Fortschritt, der junge Menschen freilich so wenig trösten kann wie die Klimakrise.

Genosse Hilker, ich danke Dir. Nur wenige schaffen so viel medienpolitischen Fortschritt, wie Du es wenigstens versucht hast.

Nicht auffindbar: Steuerfahndung im Sachsenwald

Relevante Teile meiner Klein-Kindheit habe ich in Glinde zu gebracht. Diese heutige Schlafstadt des Hamburger Speckgürtels war seinerzeit noch ein bäuerlich geprägtes Dorf, in dem meine Grosseltern ein sehr kinderfreundliches Behelfsheim mit Garten bewohnten. Die “Strassen” der Siedlung waren so schlecht, dass keine Gefahr durch schnellfahrende Autos entstehen konnte – sehr, sehr kinderfreundlich. Für ausgedehnte Spaziergänge und fürs selbstversorgende Pilzesammeln (es war noch vor dem GAU von Tschernobyl) bot sich der unmittelbar benachbarte Sachsenwald an.

Dass der Wald irgendwas mit den Bismarcks zu tun hatte, war immer bekannt und Gesprächsthema. Darum kann der Steuerfahndung eigentlich nicht entgangen sein, was das ZDF-Magazin Royale zusammen mit FragdenStaat ermittelt und gestern präsentiert hat (ein Jahr verfügbar).

Dass der zuständige Bundesfinanzminister in der Zu- und Abneigung der Wähler*innen seinen gerechten Lohn einfährt, habe ich oben schon beschrieben. Für die Ausführung der Steuerfahndung sind – genauso dilettierend wie in der Medienpolitik – die Bundesländer zuständig. Der Sachsenwald liegt in Schleswig-Holstein. Und dort – schauen Sie mal hier – sind seit 2012 die Grünen zuständig. Dä.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
Sie können dem Autor auch via Fediverse folgen unter: @martin.boettger@extradienst.net