Die grosse und die kleine: Care-Krise und BSW-Krise

Meinen von meiner jüngeren Schwester unterstützten 92-jährigen Vater vor Augen denke ich seit längerem darüber nach, was aus mir einmal wird. Meine Wohnung wurde schon 1999 von der städtischen Vebowag barrierefrei gebaut. Der Pflegedienst ist noch näher, als der Edeka, die Fussballkneipe und der Bäcker – alle in Rollator-Distanz. Und wenn der Körper mal streikt? Unterstützung im Akkord von überlasteten, selbst erkrankenden Kräften?

Christa Wichterich/Blätter beschreibt nicht nur, wie die BRD (und die EU) sich in die selbstgemachte asoziale Pflegekatastrophe manövrieren – nichts daran ist überrachend, sondern alles seit Jahren schon zu sehen – sondern auch, wie die reichen Kapitalismen in einem globalen System des “Sorgeextraktivismus” weiter versuchen, in der Ausbeutungskette oben zu schwimmen: “Der Kampf um die Fachkräfte – Zum Fachkräftemangel im Care-Bereich”.

Wie können wir Alten nur so blöd sein, immer noch Parteien zu wählen, die geradewegs in diese selbstgestellte Falle laufen wollen? Das ist die grosse Krise. So sicher über uns kommend, wie der Klimawandel. Und was davon schneller, was langsamer – das lasse ich jetzt mal lieber offen.

Jetzt die kleinen: Parteien allgemein, BSW im besonderen

Wolfgang Storz und Horst Kahrs/bruchstuecke setzen ihr Gespräch über die Entwicklung des deutschen Parteiensystems fort: “Die Parteienlandschaft von morgen – unbekanntes Land”. Meine Lieblings-Schlüsselpassage von Kahrs lautet: “Die übergroße Mehrheit der Migranten, die nach Europa und Deutschland kommen, wollen ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Warum findet ein alternder Kontinent, dem absehbar Arbeitskräfte und Konsumenten fehlen werden, dafür keine humanitäre Lösung? Das ist die eigentliche Frage.”

Ein nicht sehr fernstehender – jedenfalls weniger als ich – Andreas Wehr/telepolis betrachtet die BSW-Entwicklung mit guten Gründen skeptisch: Das Bündnis Sahra Wagenknecht: Partei ohne Mitglieder – Die neue Partei BSW feiert spektakuläre Wahlerfolge. Doch der Erfolg hängt an einer Person: Sahra Wagenknecht. Wird das zum Verhängnis?”

Wenn es so kommt – ich werde nicht zu den davon Enttäuschten gehören. Ich gehe nicht mit, weil mich das Rechts-Blinken der Frau Wagenknecht, das sich längst von Flüchtlingen und Migrantinn*en auf Bürgergeld-Abhängige ausgeweitet hat, von einer Frau, die nachweislich über die nötige Intelligenz verfügt – anwidert. Ich sehe sie, bei aller Ablehnung von Sippenhaft, darin in einer unseligen Tradition ihres Gatten, der schon Anfang der 90er als SPD-Stimmführer im Bundesrat ein ganzes im Grundgesetz fixiertes Grundrecht (Art. 16) zur Demontage freigab (Art. 16a). Dagegen haben Appel, ich u.a. eine der letzten grossen Hofgarten-Demos organisiert. Wir wussten damals sehr genau, warum.

Über Martin Böttger:

Martin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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