Verkehrspolitik war noch nie mein Fall. Außer: aus politikwissenschaftlicher Sicht war ich vollkommen begeistert, als bei den Grünen in der ersten Legislaturperiode ihrer Präsenz im Bundestag Dieter Dabriniok und Hans-Werner Senfft auf die geniale Idee kamen, über 1.000 Anträge zum Bundesverkehrswegeplan zu stellen – ein Unterfangen, auf das bis dato keine Fraktion und keine Abgeordnete gewagt hatte, und das mit plötzlicher Aktualität und Brisanz den Bürger*innen vor Ort klar machte, dass sie nicht gegen Straßenplanungen hilflos seien, wie es ihnen FDP, SPD und CDU/CSU Abgeordnete immer erzählt hatten, sondern ihre Volksvertreter vor Ort wirklich verantwortliche Täter für manche alleinstehende Brücke in der Landschaft oder brachial durchgesetzte Autobahn waren. Allein dafür verdienten beide das Bundesverdienstkreuz. Aber Schluss mit Abschweifungen, zurück nach Bonn und zum vorvergangenen Wochenende.
Eine Bahnfahrt, die ist lustig
Es begab sich, dass eine gute Freundin von Köln nach Neuwied zu ihren Eltern fahren wollte. Besagte Freundin ist aufgrund von Handicaps mobilitätseingeschränkt, nutzt einen Rollator, und braucht, wenn sie Bahn fährt, beim Umsteigen Assistenz. So stieg sie mit Gepäck, Laptop- und Sporttasche, Koffer und eine größere Handtasche am Sonntagnachmittag im Kölner Hauptbahnhof in den Zug nach Neuwied. Erst im Bahnhof Deutz wurde ihr per Rundruf mitgeteilt, dass der Regionalexpress nach Neuwied “leider heute in Rhöndorf endet”. Nicht etwa, um die Villa des Ex-Kanzlers Adenauer zu besuchen, sondern um sich von dort aus “per Schienenersatzverkehr” weiterzubewegen. Denn das Stellwerk und damit die Strecke habe man aus Personalmangel heute stilllegen müssen. Als Person mit Handicap kontaktierte sie daraufhin die DB-Mitarbeiter*innen mit dem Begehr, Assistenz beim Umsteigen in den “Schienenersatzverkehr” zu bekommen. Die Damen der Bahn wiesen sie schroff ab, denn solche Leistungen müssten 24 Stunden vorher angemeldet werden. Ihr Hinweis, sie habe das ja eben erst erfahren, und wäre deswegen außerstande, diese Frist zu beachten, führte zur Bemerkung des Personals: “in besonderen Situationen” seien “eben schon mal außerordentliche Anstrengungen” erforderlich. Sie jedenfalls könnnten nicht helfen. Dä!
Informationsdesaster am Kölner Bahnhof
Ich unterbreche hier bewusst meine Empörung über diesen skandalösen Umgang von Bahn-Mitarbeitenden gegenüber Personen mit Handicap – nach Haltung und Tonart ohnehin knapp am Rand der willkürlichen Diskriminierung und Menschenrechtsverletzung – um nicht beleidigend zu werden – mit der Feststellung, dass eine Information der Reisenden über die Lage in Köln auf dem Hauptbahnhof offensichtlich unterblieb. Das wiederum ist eine Unverschämtheit gegenüber hilfsbedürftigen Personen – ob aus einfacher Unfähigkeit, Informationen und Abläufe zu regeln oder gar Böswilligkeit. Nach dem Motto, sollen die popeligen Fahrgäste der Öffis doch im Zweifelsfall sehen, wie sie weiterkommen. Denn in Rhöndorf werden sicher abends gegen 20.00 Uhr neben einem Bus, der nicht ausreicht, massenweise Taxis verfügbar sein.
Nothilfe: Kein Problem – für die, die davon wissen!
Wären die Personen, zu denen auch meine Freundin gehörte, auf dem Kölner Hauptbahnhof über den Sachverhalt ausreichend informiert worden, wäre es für viele Bahnfahrgäste ein Kinderspiel gewesen, das Bahnproblem buchstäblich zu umfahren. Wenn die Information über die (selbstverschuldeten) Personalprobleme der Deutschen Bahn mit ihrem Stellwerk dort verbreitet worden wäre, hätten ganz viele Fahrgäste der rechtsrheinischen Strecke auf die linksrheinische Regionalbahn nach Weißenthurm/Andernach ausweichen können. Dort verkehrt ein Linienbus über die Rheinbrücke nach Neuwied. Aber diese Art der Schadensbegrenzung oder besser Kundenfreundlichkeit kam im Denkgebäude der Deutschen Bahn offensichtlich überhaupt nicht vor. An dieser Stelle fällt mir ein, mit welcher Begründung in den 80er Jahren von der CDU/CSU und FDP die Privatisierung der Deutschen Bundesbahn durchgesetzt wurde. Dass die Privatwirtschaft alles viel besser könne, als Staatsbetriebe wie Bundesbahn und Bundespost. Klar, liebe Neoliberale von FDP und CDU/CSU- Wie könnte es auch anders sein! Dankeschön!
Zurück zum Regionalexpress nach Neuwied
Aufgrund dieser höchst sensiblen Einlassungen der Mitarbeiter*innen der Bahn bot ich meiner Freundin an, sie in Bonn-Beuel abzuholen. Sie könne dann bei mir im Gästezimmer übernachten und am nächsten Tag, wenn sich das Dunkel der Bahnverbindungen lichten werde, könne sie ja linksrheinisch weiterfahren oder noch besser, um ihre netten Eltern mal wieder zu treffen, würde ich sie gerne mit dem Auto nach Neuwied bringen. Gesagt getan. Sie fuhr nun bis Bonn-Beuel und stieg aus dem Zug aus – bis dahin kein Problem. Da wir aber über das ganze Theater etwa um 17.30 telefoniert hatten, musste ich nun sehen, von Bornheim möglichst zügig zum Bahnhof Beuel zu kommen, denn dort würde sie kurz nach 18.15 ankommen – normalerweise kein Problem. Ich musste jedoch erkennen, dass mir wie viele kW auch immer nun gar nichts nützen konnten. Denn die Autobahn-AG hatte an diesem Wochende vorgesehen, das marode “Endenicher Ei”, ein Teil der BAB 565, Baujahr 1966, wegen Renovierung, Sprengung oder wasweisich zu sperren – wer hätte gedacht, dass Autobahnbrücken nach 60 Jahren auch mal altern könnten?
Was tun? (Lenin)
Fähre von Grau- nach Schwarzrheindorf: Riesenandrang. (Nachtrag: wie ich jetzt weiss, Hersel-Mondorf, sorry) Kennedybrücke: Schon die Anfahrt zur Innenstadt dicht. Klar – ist ja nun alles einspurig, denn die Autos sollen ja aus der Innenstadt ferngehalten werden. Warum aber für solche kurzzeitigen Ereignisse in Abstimmung zwischen Stadt und Autobahn-GmbH keine Ausnahmeregelungen getroffen werden, bleibt mir unerklärlich. Das gilt übrigens gleichermassen für die einspurige Verengung der Adenauerallee, die Fahrradfahrer meiden, weil es sich am Rhein und auf der Kaiserstraße viel besser radelt. Angesichts der geplanten Renovierung des “Tausendfüßlers” – Bonner wissen, was ich meine – könnte das der OB 2025 die Abwahl einbringen. Ich sach’s ja nur.
Über den Rhein, über den Rhein…
Ich brauchte also 62 Minuten, um von Bornheim zum Beueler Bahnhof zu kommen, denn der Autoverkehr in Bonn war für Tage lahmgelegt. Dort stand meine Freundin in voller Montur und mit Gepäck tropfnass – weil es im Bahnhof weder eine Kneipe, noch einen Raum zum Wärmen im Winter, oder nur zum Unterstellen bei Regen und Schnee mehr gibt. Ja, durch die Privatisierung ist alles besser geworden! Danke allen Verkehrsministern der CSU und danke an Volker Wissing. Danke aber auch an die Deutsche Bahn,und die geniale zeitliche und bauliche Abstimmung mit der Stadt Bonn. Um in Beuel an den “Treffpunkt” neben dem Taxistand vorzufahren, müssen mehrere Stufen und Bordsteine sowie die Straßenbahnschienen überwunden werden, die mir signalisierten, dass ich mich hier eigentlich auf nicht erlaubtem Terrain befand. Klar, ich wollte ja eine Person mit Handicap von der Bahn abholen, die wiederum die etwa 5cm hohen Bordsteine nicht einfach per Rollator überwinden konnte. Von wegen Barrierefrei, wo denke ich hin …
Unser Happy End im “Saigon”
Als ich meine Freundin und ihr Gepäck endlich eingeladen hatte, riefen wir bei unserem gemeinsamen Lieblingsrestaurant “Saigon” in der Nordstadt an. Mei-Chi Mai, Chefin des Restaurants, hieß uns herzlich willkommen. Wir trafen uns dort sogar mit weiteren Freund*inn*en – Stammgäste des “Saigon”. Das “Saigon” ist unter den vietnamesischen Restaurants im Bonn einzigartig. Inhabergeführt, keine Tricks mit Glutamat und Co, viele Bioprodukte und vor allem Qualität und individuelle Beratung durch die Chefin, wenn sie Zeit hat und nicht zuviel los ist. So war zumindest für uns schnell vergessen, was die Auswirkungen der genialen Verkehrspolitik in Form von Diebstahl an Lebenszeit und diskriminierenden Bemerkungen zu bieten hatten.
Der Spaß mit den beiden, Dieter Dabriniok und Hans-Werner Senfft, ging ja noch weiter. Sie haben nicht nur die 1.000 Anträge gestellt, sondern praktisch den Auto-teil des Verkehrswegeplans einzeln im Bundestag mit namentlichen Abstimmungen belegt. Das war ein relativ dickes Sitzungsprotokoll für diese Tage, ich meine mich zu erinnern, jeweils über 1000 Seiten. Und überall in der BRD konnten die interessierten Bürger nachschauen, wie ihr Abgeordneter abgestimmt hat. Internet gab es ja in dieser Form noch nicht. Beide haben übrigens später den VCD gegründet oder zumindest “mit gegründet”-.
Verehrter Autofahrer. Die Stilllegung des “Endenicher Eis” hat mich als Nicht-Autofahrer und Beueler nicht wirklich interessiert. Mitbekommen habe ich sie trotzdem. Ich weiss auch nicht, wie. Ferner weiss ich selbst als Ungläubiger, dass derzeit die sog. “Adventszeit” ist. Von der weiss ich, seit ich Bonner bin (1976), dass im Innenstadtbereich Bonns immer “alles zuende” ist. Und zwar auch mit CDU-Regierung und 4-8 zusätzlichen Autospuren. Nicht nur Autofahren, sondern auch Atmen wurde/wird nahezu unmöglich. Die Gläubigen nennen es Weihnachten.
Deinem sonstigen berechtigten Unmut soll das keinen Abbruch tun.
PS: “Fähre von Grau- nach Schwarzrheindorf: Riesenandrang”. Das ist mir neu. Wo ist die denn? Ich wohne in Schwarzrheindorf, habe hier aber noch nie sowas gesehen. Nördlich von uns gibt es eine Autobahn(!)-Brücke (auch immer Stau), die abgerissen und neugebaut werden soll, wenn der “Tausendfüssler” fertig ist. Mann gönnt sich ja sonst nichts …
Naja, ich meine auch die von Hersel nach Trostlos, – bin ich schon mit gefahren…wenn ich mich vertan habe, sorry, ich komm ja vom Land!
Mit “Trostlos” meinst Du wahrscheinlich Mondorf. Da hat unsere gemeinsame Freundin Maria Immobilienbesitz.
Du hättest die Freundin in Beuel gleich in Bahnhofsnähe ins fast immer (leider) leere ‘Shinko’ auf der Oberen Wilhelmsstraße lotsen können – das beste Sushi-Restaurant im rechtsrheinischen Bonn.
Und hier der Link dazu:
https://shinko-bonn.de
Aber nicht alle Rollkoffer auf einmal!
Nee – sie ist Veggie und ich mag keinen rohen Fisch…passt leider nicht!
Neben Dieter Drabiniok war Albert Schmidt ein engagierter grüner Verkehrspolitiker, leider vor einem Monat verstorben, lese ich gerade. Er hat sich für den grünen Widerstand gegen die A44 und für eine bessere S-Bahn S9-Plus Essen-Wuppertal eingesetzt.