Die Nacht war für Alwys recht kurz gewesen. Nach drei Uhr hatte sich die scheinbare Verschwörung weniger verschwörerisch aufgelöst, als es das emsige Pläneschmieden hätte vermuten lassen dürfen. Nachdem Legu dem Ganzen mit seinem „wir bezahlen es mit dem Klang des Geldes“ noch eins oben auf gesetzt hatte, winkte Angel diesen sehr gewagten Gedanken mit eifrigem Handwedeln und hörbar nach Luft schnappend ab, so, als wollte sie eine schwarze Wolke Mücken vor ihrem Gesicht vertreiben.
„Jetzt reicht’s mir. Josh, dir wohl auch, oder? Wehe, du fängst mit mir und der Haushaltskasse irgendwann einmal so einen Hokuspokus an, Legu! Dann wirst du auf Diät gesetzt. Mit dem Klang des Geldes bezahlen?! Schaff bitte dein Erbe wieder in deine Studierstube und konzentrier’ dich lieber auf die Wetterbeobachtung, als hier die Jugend zu verderben, inklusive mich selbst. Da ist ja dein „Wetter und Welt“-Geschreibe seriöser als Wir-müssen-denen-den-Knall-klauen. Ich glaube, du hast einen Knall.“
Angel hatte nach den Gläsern gegrabscht, obwohl in manchen noch etwas Wein gewesen war und räumte sie schnell auf die Spüle. Harrry bekam zwei Decken zugeworfen und die befehlsartige Einladung auf dem roten Plüschsofa in der Küche zu schlafen.
Jelena stand schon in der Tür, als sie sagte, „ich gehe dann auch. Gute Nacht. Ich fände toll, wenn wir das schaffen könnten mit dem Großen Projekt, ehrlich.“
„Inklusive Jodeldiplom,“ raunte Angel ihr mit einer bärbeißigen Umkehrung dessen zu, was andere Menschen Humor nennen. Gute Nacht.
Alwys war ebenfalls bereits auf dem Weg in die Mansarde, als er Jelena eine gute Nacht wünschte – und fragte: Kommst du morgen Nachmittag in den Hof. Ich bringe Kuchen mit vom Bahnhof und geb’ ein Kaffeetrinken zu meinem Einzug. Vorher muss ich ja noch nach R. wegen der Kritik.
Jelena, zwar schon mit einem Fuß im Schotter des Hofs, drehte sich nicht mehr richtig zu ihm um – nur eine Vierteldrehung ihres Kopfs und ein dazu leicht zeitverzögertes Nachziehen ihres Schultergürtels, wie sie oft ihre Kür beendete hatte und anschließend so einnehmend strahlen konnte: „Ja, mal schauen, ob ich morgen Nachmittag da bin, ich wollte mit meinem kleinen Bruder Franticek eine Radtour nach Bingen machen … aber vielleicht sind wir dann auch wieder zurück. Schlaf gut!“
Ihr etwas zu kurz gesprochener Nachtwunsch trug Alwys gewissermaßen die Stufen hinauf. Auf halbem Weg lag das Gemeinschaftsbad als nachträglicher Einbau in das Treppenhaus. Tatsächlich schrubbte er nur kurz über seine Zähne, spülte kräftig die Zahnzwischenräume durch und nach kurzem Gurgeln, dass er in dem Moment als römisch empfand – römisch gegurgelt – lag er halbnackt auf seinem Futon. Von der Matratze aus konnte er durch das Dachfenster den Großen Wagen sehen. Mit dem fahre ich morgen nach R. zum Konzert, war sein letzter Gedanke in dieser merkwürdigen Nacht. Es war keine Nacht der Entscheidungen, aber vielleicht eine der Weichenstellung.
Am nächsten Morgen wurde er schlagartig wach, ja, er schreckte förmlich auf. Von Regeneration nach dem Möbelschleppen und dem Knallorakeln keine Spur. Er hatte entweder Gliederschmerzen, weil ihn jetzt eine Frühsommergrippe befallen hatte, oder es war einfach nur Muskelkater. Also konnte er das Fahrradfahren an Rhein und Main entlang nach R., wie er es geplant hatte, vergessen. Beim Aufschrecken hatte er sich zudem den Kopf an der Dachschräge gestoßen und dabei Sternchen gesehen.
„Nicht der Große Wagen,“ dachte er zerknirscht. In dem Moment sprang seine Zeitschaltuhr an. Die Anlage hatte er vor dem Einschlafen eilig betriebsbereit auf dem Fußboden installiert. „Jessica“ wie eh und je.
Zwar etwas unsicher auf den Füßen, dennoch sehr motiviert, schlüpfte Alwys in seine Jeans. Die Züge in die Landeshauptstadt mit Anschluß über den Rhein Richtung Frankfurt und Flughafen fuhren zur vollen Stunde. Es war halb neun, also noch extrem viel Zeit, um sich frisch zu machen und einen Morgenkaffee, endlich ohne Kakerlaken und Gulp-Da-Capo, zu genießen – sofern Alwys seine von den nächtlichen Traumtänzereien strapazierten Sinne überhaupt schon auf Genießen umstellen konnten. Im Moment überwog noch ein leichtes Katergefühl. „Jessica“ brachte ihn aber nach einiger Zeit wieder in Fahrt. Ein Blick aus dem Dachfenster hinüber ins Rheingau zum Schloss Johannisberg schaltete auch sein körpereigenes Ortungssystem wieder ein.
„Aha, umgezogen!“ Als gewissermaßen Echolot seines Innersten drang „Jessica“ mit ungebrochenem Optimismus an sein Ohr. Da war noch was: Schluß mit dem Zölibat! Wenn das keine Losung war. Im Bad fuhr er sich nur kurz mit kaltem Wasser durch das Gesicht. Das Wasser aus der Leitung war hier wirklich noch kalt. Es kam direkt aus einer Therme, die Kaiser Karl schon hat anlegen lassen. Sie hätten es gar nicht verwenden dürfen, weil es über keine Wasseruhr lief und weil es in Deutschland sowieso verboten war, privat Trinkwasser und Elektrizität zu nutzen oder zu erzeugen. Die Republik freier Flaschenhals begriff sich selbst aber als Ausnahme. Im Gegenteil sogar: An den Wochenenden kamen einige Türken mit großen Kanistern und füllten sich für die Woche ihr Wasser vom Anschluss im Hof ab. Dafür wollten die Flaschenhälsler bald zumindest Eintritt nehmen.
In der Küche machte sich Alwys an der Biagletti-Aluminiumkanne für den Espresso zu schaffen. Hier konnte kein umgestürzter Kaffeefilter den Tagesbeginn zum Martyrium verkommen lassen, denn es gab nur Espresso oder eben einen mit Milch verlängerten Cappuccino. Das war eigentlich Joshs Revier: Seit Jahren schon experimentierte er mit den Espressokannen, wie man den Besten hinbekäme. Er selbst kam aber zu keinem abschließenden Ergebnis. Auf jeden Fall sollte der Espresso stark sein und in der Tasse Blasen werfen. Für jedes Bläschen ein Küsschen, lautete seine Rechnung. Hatte er einmal auf einem Kalenderblatt gelesen. Angel war froh, dass das meistens nicht funktionierte und der Espresso einfach aussah wie eine schwarze Lurche, ein wieder aufgewärmter Filterkaffee, also nichts für schwache Herzen. Josh selbst schwankte indes zwischen langsamem Erwärmen, wobei er glaubte, der Druck würde im Kännchen durch die Langsamkeit verstärkt, und durch schnelles Erhitzen auf großer Gasflamme, damit das Wasser nur ganz kurz mit dem Espressomehl in Berührung käme und die Bitterstoffe nicht mit in die Tasse geschwemmt würden. Auf diese Weise hatte er schon mehrere Kannen gehimmelt. Denn bei zu großer Hitze schmolz der Dichtungsring und es stank danach im ganzen Haus nach Müllkippe, nach verbranntem Plastik, nach Sevesogift.
Alwys nahm die Kanne, füllte das Mehl in den kleinen Behälter und stellte sie auf eine mittelgroße Gasflamme. Den Espresso bezog Josh direkt aus Italien, oder eher indirekt aus Italien, in knallroten Kilosäcken unter der Hand vom Eisdielenbesitzer einen Vorort weiter. Scheinbar machten beide dabei ein Geschäft, Enzo genauso wie Josh. Oder es gefiel beiden einfach nur, so zu tun, als würden sie etwas Illegales abwickeln, wenn Josh kurz mit dem R4 vorfuhr, mit leerem Rucksack in die Eisdiele ging und mit vollem Rucksack wieder herauskam. Angel gefiel das übrigens auch, denn sie war der Meinung, die Haushaltskasse würde dadurch entlastet.
Alwys schaltete das Radio ein. Sonntags kam immer etwas bessere Musik im örtlichen Sender, 70er Jahre Pop, statt 60er Jahre Rock. „I shot the sheriff,“ gesungen von Eric Clapton. „Gutes timing,“ Alwys wippte in den Hüften leicht im Rhythmus mit und freute sich auf sommerliches Relaxen am Baggersee. Der fertige Espresso in der Kanne blubberte einladend, und das Überdruckventil an der Kanne spie dazu heißen Dampf aus, wie eine Puppenstuben-Nebelmaschine. „Passt gut zur Genesis-LP, deren verkorkste Live-Show für das Kinderzimmer,“ kam es Alwys in den Sinn. Im gleichen Moment roch es nicht nur nach frischem Espresso, sondern auch nach Halfzware-Shag. Harry hatte sich auf dem Plüschsofa aus den zwei Decken geschält und war schon wieder am Paffen.
„Danke für den Morgenkaffee, Alwys,“ bellte Harry zum Herd herüber, „der Duft des Kaffees hat meinen Durst gestillt. Kannst du nicht noch ein Paar Aufbackbrötchen in die Röhre schieben, dann brauch ich die auch nicht mehr essen, wenn es nach Backwaren riecht. Ist echt sparsamer, wenn man nur noch von Eigenschaften lebt und nicht mehr von den Dingen selbst und vom Geld. Das ist der echte Mehrwert. Die Aura der Gegenstände. Die Hüllkurve im Raum. Der olfaktorische Faktor.“
„Dann kannst du aller Paar Wochen deine Regale im Discount aber wieder ausräumen, wenn das Verfallsdatum überschritten ist, oder? Wenn’s stinkt oder schimmelt ist dann nichts mehr mit vom Geruch satt. Überhaupt, was wäre denn das für ein Wirtschaftskreislauf? Mal ganz abgesehen von den überflüssig gewordenen Kläranlagen, weil keiner mehr auf’s Klo müsste, weil auch nichts mehr verdaut würde usw., apropos olfaktorisch. Würde man eigentlich in einer Buchhandlung auch von der reinen Gegenwart der Bücher schlau? Stell’ Dir mal vor, wie schlau dann Legu sein müsste. Na ja, der Wille steckt jedenfalls im Ding, sagte schon Schopenhauer. Vielleicht ist der Wille an sich schon die halbe Miete. Ich will’s wissen, also weiß ich auch schon etwas. Ich weiß, dass ich will. Servus Sokrates!“
„Mahlzeit,“ Josh stand in der Tür. Immerhin hatte ihn der Kaffeegeruch geweckt und es ließ ihm neben Angel im Hochbett keine Ruhe nachsehen zu wollen, ob Alwys fachgerecht mit der Kanne hantierte. Es gab wohl nichts zu beanstanden, denn er setzte sich mit einer Tasse an den Tisch. Alwys goss Josh und Harry zweifingerbreit ein und verlängerte mit heißer Milch, die allerdings schon etwas Haut angesetzt hatte. Die Haut fischte er mit einem Löffel aus dem Topf, den er dann seinerseits in die Spüle legte und kurz Wasser darüber laufen ließ, damit die Milch nicht bretthart an den Löffel antrocknete.
„Das Große Projekt,“ sagte Josh einfach. Alwys und Harry nickten kurz und meinten nur so etwas wie „Hmmh.“
“Mein Großes Projekt wartet jetzt in R auf mich, Leute. Ich muß los. Ich bringe Kuchen mit für heute Nachmittag. Treffen wir uns so um drei im Hof.“
Alwys steckte Angels Notizblock für die Einkaufszettel beim Verlassen der Küche ein und nahm vom Telefontischchen im Flur den Stift für das Eintragen der Telefongebühren mit. Beides würde Angel sofort bemerken und sich darüber sehr ärgern. Noch aber hatte Alwys Schonzeit. Mit dem Rad fuhr er die zwei Kilometer zum Vorstadtbahnhof. Eine Viertelstunde später stieg er am Hauptbahnhof der Landeshauptstadt in die S-Bahn Richtung Frankfurt um, und wieder eine Viertelstunde später stieg er in R aus der S-Bahn aus, durchschritt den immer noch nach Urin riechenden Bahnhof mit Postern von strahlender Familie vor Alpenpanorama in einem Sonderzug der Deutschen Bahn und saß schließlich in einem mit dunklem Holz getäfelten Ratssaal in der vorletzten Reihe, als der Pianist begann, im sehr tiefen Register des Flügels wellenartige Klänge zu spielen, die sich langsam hochschraubten und immer schneller wurden. Alwys blätterte im dünnen Programmheft. Das war das Es-Dur-Vorspiel zu Wagners Oper „Das Rheingold“, klangliche Urzelle der Ring-Tetralogie, die ja jetzt ein Bariton in zwei Stunden präsentieren würde. Alwys sank bei diesem suggestiven Vorspiel in Halbschlaf. Die Nacht mit Legus „Großem Projekt“ kam ihm wieder in den Sinn. Hatten sie sich denn jetzt darauf geeinigt, die Sache anzugehen oder war das wirklich nur Spinnerei? Der Sack Fünfmarkstücke war ja keine Spinnerei. Davon lag noch eines am Morgen auf dem Küchentisch. Mit fünf Mark sind Sie dabei, schoß ihm der abgegriffene Slogan der Fernsehlotterie aus grauer Vorzeit durch den Kopf. Wobei eigentlich?
„Klingt wirklich wie fließendes Wasser,“ meinte Alwys, „damit könnte man auch noch was machen. Es geht doch um den Rhein.“ Er überlegte weiter, während plötzlich ein großer Mann durch die hintere Tür zum Klavier schritt, der aussah wie ein Schäfer bei schlechtem Wetter. Ausgestattet mit einem langen Poncho, einem breitkrempigen Hut und einem großen Petrusstab. Das war Wotan, der die Fäden des Geschehens in der Hand hielt und ständig Verträge schmiedete, die dann aber gar nicht mehr gelten sollten oder an die sich niemand hielt. So stand es jedenfalls im Programmheft. Der Pianist hatte seine liebe Mühe, zwei Stunden lang die klangliche Essenz der eigentlich dreitägigen Opern-Tetralogie mit Vorspielabend in seine zehn Finger zu legen. Zwischen seinen ausladenden Gesangspartien erzählte dieser Wotan die Handlung. Alwys fand das am Anfang mit dem Ringklau – diesmal wechselte wenigstens auch ein Gegenstand den Besitzer – dem Fluch und der Frauenentführung durch zwei Riesen, die Wotan eine Burg gebaut hatten, noch sehr kurzweilig. Was der aber sang, entzog sich seiner bisherigen Erfahrung. Die Sprache wirkte irgendwie gedrechselt. „Winterstürme wichen dem Wonnemond,“ schrieb er sich auf den Notizzettel.
„Aha“, dachte Alwys, „man kann auch mit Anfangsbuchstaben reimen. Und dass das eigentlich vier Tage dauert, meint dann unendlich. Die unendliche Melodie, so klingt sie, wenn Wotan seine gestanzten Reime zu solchen undurchhörbaren Motivgeflechten singt.“
Einige Stellen gefielen ihm durchaus, der Pianist war in der Lage, manche Färbungen und Intensitäten orchestral wirken zu lassen. Während längerer Instrumentalpassagen saß dieser Wotan mit seinem breitkrempigen Hut hinter dem Flügel mit gesenktem Kopf. So stellte sich Alwys ein Schäferstündchen vor, wenn der Schäfer ein Nickerchen macht. Alwys hätte es ihm fast gleichgetan, denn auf Dauer wirkte der Vortrag langweilig auf ihn – unendlich langweilig. Hier und da schrieb er sich etwas auf. Insgesamt aber war er in Gedanken mehr bei der vergangenen Nacht.
Dieser Psychodelic-Klavieranfang, so dachte Alwys bei sich, wenn der ja eigentlich für Orchester ist, dann wäre das auch was für das Große Projekt. „Auf dem Grund des Rheins,“ stand im Programmheft. Da wollen wir auch hin, nicht ganz auf den Grund, aber die Hänge runter zu den Dörfern. Beim letzten Sommerfest hatte der Funk-Fritze dem Legu angeboten, Samstag morgens Wetterprognosen für das Wochenende durchzugeben.
Das wollte Alwys am Nachmittag noch einmal mit den anderen besprechen: Was wäre denn, wenn wir den vom Funk dazu kriegen würden, dass der das an dem Donnerstagnachmittag einfach mal spielt, das Rheingoldvorspiel. Alle an der Loreley wüssten das und würden den Sender einschalten, ganz laut drehen und alle Fenster aufmachen. Das wäre mal eine Kulisse für die unendliche Melodie. Der Legu soll mit dem Funk-Heini mal Kontakt aufnehmen. Wenn wir den Sound vom Knall über die Alphörner, die Feuerwehrkapellen auf dem Open-Air-Gelände und den Burgjodlern immer tiefer gezogen haben, wäre das der richtige Übergang zum Mitmachen der Leute in den Orten. Da gibt es auch Kirchenchöre und Musikvereine. Die könnten das Es-Dur aufnehmen. Also, da müssen wir ganz schnell mit dem Funk sprechen und auch nach St. Goar fahren. Die haben da sicher so einen Vereinsring und zum Pfarrer gehen wir auch. Die müssen ja alle noch überzeugt werden.
Wotan hatte wohl gerade Ehekrach mit Erda oder so ähnlich. Alwys verstand fast kein Wort von dem, was der Sänger aus Frankfurt sang. Vor dem Flügel ging er bedeutungsschwanger auf und ab, fasste sich manchmal wie Clint Eastwood an die Hutkrempe und wedelte mit dem Hirtenstab, als sei der ihm im Boden stecken geblieben und er bekäme ihn nicht mehr heraus. Dass die beiden diese Opernverkleinerung überhaupt gewagt hatten, fand Alwys schon bemerkenswert. Umgekehrt geht es auch, fiel ihm dazu ein. Was klein ist bleibt klein nicht und groß nicht das Große, zitierte er in Gedanken Gevatter Brecht. Jedenfalls hatte Alwys als Erkenntnis dieses etwas zähen Musikvormittags mit in die S-Bahn genommen, dass es bei solchen großen Projekten auf die Übergänge ankommen müsste. Wenn die nicht stimmten, also, wenn die Impulse nicht vernünftig und mit großer Konzentration weiter gegeben würden, dann würde so ein Projekt in seine Einzelteile zerfallen, die lediglich durch ihre Reihenfolge aneinander gebunden wären. Das müsste vermieden werden. Am Abend, als er den Artikel mit einer alten Adler-Schreibmaschine auf das Zeilenpapier hämmerte und dabei etliche Male ganze Passagen wieder durchixte, stand schließlich als Überschrift: Unendliche Krempe. Wagners Ring als Endlos-Monolog im Rathaus. Alwys beschrieb darin die Atmosphäre während des Vortrags und äußerte sich wohlwollend aber unverbindlich zu den Künstlern.
Die befanden sich gerade auf Tournee durch bessere Straußwirtschaften im Rheingau und kannten den Konzertverantwortlichen im Kulturdezernat noch aus der Schulzeit und dem Singen in der Frankfurter Kantorei, der sie kurzerhand für diese Matinee verpflichtet hatte. Auch kein leichtes Brot, dachte Alwys, als er nach dem Kaffeetrinken im Hof der Republik freier Flaschenhals den mit seinem Namen unterschriebenen Artikel mit einem kernigen Ratsch aus dem Wagen der Schreibmaschine zog.
Zurück fuhr er tatsächlich mit dem Rad am Main entlang zur Landeshauptstadt zurück. Die Luft tat ihm gut, die strampelnde Bewegung auch. So konnte er testen, wie es wäre, wenn er das Geld für die S-Bahn sparen würde. Am Hauptbahnhof kaufte er einen Nusskranz und klemmte ihn auf den Gepäckträger. Fahrräder durfte man ja seit einiger Zeit im Nahverkehr mit in den Zug nehmen. Um kurz vor drei war er wieder am Vorstadtbahnhof und um viertel nach drei fuhr er durch die Toreinfahrt der Republik freier Flaschenhals.
Jede angefangene Stunde wird gezählt, macht fünf Stunden und bei einem hundert Zeilen langen Artikel à 29 Pfennig wären das 29 Mark geteilt durch fünf. Also fünf Mark achtzig Stundenlohn. Scheiße, aber denen werde ich es noch zeigen. Die werde ich in die Knie zwingen. Von wegen „wir machen sie reich.“
Der Nusskranz auf dem Gepäckträger hatte arg gelitten. Die stramm gespannten Bügel hatten ihn fast gevierteilt: zwei gerade Mittelstücke und zwei halbkreisartige Bogenstücke kamen dabei heraus.
„Macht nichts, es kommt auf den Inhalt an,“ Alwys nahm den Kranz mit in die Küche. Angel machte sich gerade an irgendwelchen Konserven zu schaffen, die Harry ab und zu zum Einkaufspreis mitbrachte. Am Abend sollte es Bohneneintopf geben, den sie mit Zwiebeln und Speck zu verfeinern gedachte. Als sie Alwys sah, stemmte sie die Arme in die Hüften und fauchte ihn an: „Leg’ sofort den Einkaufsblock und den Stift wieder an seine Stelle. Wenn jetzt die Telefongebühren am Ende des Monats nicht stimmen, darfst du die Differenz bezahlen.“
„Nur das Wettergespräch kennt keine Differenz,“ antwortete Alwys frech und meinte damit einen Bewertungsgrundsatz der Kunstrezeption in den Schriften des Philosophen Hans Georg Gadamer. „Darauf muss ich Legu einmal aufmerksam machen. Der ist garantiert anderer Ansicht. Das Wetter als Wille und Vorstellung. Ich habe Kuchen mitgebracht, kommt ihr in den Hof zum Kaffee. Ist mein Einstand.“
„Deck’ mal den Tisch, Josh macht den Kaffee,“ antwortete Angel sichtlich besänftigt.
Die „Komödie des Geldes” von Arthur Zupf erscheint mit freundlicher Genehmigung vom 1. bis 24. Dezember 2024 als Erstveröffentlichung exklusiv im Extradienst. Rückmeldungen sind explizit erwünscht.
Espresso gut, aber “und verlängerte mit heißer Milch”, sogar mit “Haut”! – an der Stelle wurde mir nicht gut … Kindheitstrauma.
An denen will ich ja rütteln!! Aufarbeitung, Bewältigung, Genesung!
Ist erledigt. Espressokännchen von hier
https://www.bonner-kaffeeschule.de/kaffeeszene-bonn-drei-gruender-zwei-konzepte-standort/
und der Start in den Tag gelingt. Milch kommt mir nicht ins Haus – die wird nur sauer.