Beueler-Extradienst

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Weidel stammelt Murks

Technomilliardär Elon Musk gewährte der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel ein 70-minütiges Gespräch, in dem der Oligarch seine Unterstützung für die Rechtspartei wiederholte und seine bisher schon getätigten Statements übertraf. Es ist ein Bilderbuch-Beispiel für seinen Anspruch “Wir sind die Medien”. Der Dialog enthielt überwältigende Einsichten. So enthüllte Weidel, dass Hitler Kommunist gewesen sei. Wahrscheinlich hat er während seiner Festungshaft in Landsberg das Kommunistische Manifest und alle drei Strophen der Internationale auswendig gelernt. Für den superreichen Amerikaner war das neu. Er wird nun den großen Orangenen bei seinem nächsten Besuch in Mar-a-Lago gefragt haben, ob dieser schon mal in den braunen Lederband hineingeschaut hat, der auf seinem Nachttisch liegt, falls er nicht von Melania entsorgt wurde: Ey Donald, ist dir eigentlich klar, was zur Hölle dieser Adolf wollte? Verstaatlichung! Planwirtschaft! Enteignung!

Über diesen und andere Volltreffer wurde ausführlich berichtet, was trotz aller Kritik wiederum der AfD zugutekam. Denn die Partei fühlt sich durch den Sturm der Empörung beflügelt. Das möglicherweise gar nicht so ungleiche Paar bediente die Aufmerksamkeitsökonomie, ein trockenes Wort, aber manche leben davon. Die grellen Sprüche provozieren mit schöner Regelmäßigkeit einen Streit über Meinungsfreiheit: Darf Weidel als Ökonomin (Selbstdarstellung) Hitler rotwaschen oder nicht? Dahinter verblasst oft der sonstige Murks, mit dem das rechte Führungspersonal Politik einübt.

“Die Schwäbische” aus Ravensburg hat das komplette Gespräch maschinell transkribiert, ins Deutsche übersetzt und für ihre Leser*innen vom Bodensee bis zur Donau publiziert. Wir beschäftigen uns exemplarisch mit den Passagen zur Atomenergie, mit denen sich die X-Partner aufwärmten. Alle Einwendungen bezüglich des Wortlauts sind somit an den Schwäbischen Verlag zu richten, der sie an die verwendete künstliche Intelligenz weiterleiten wird, was auch praktisch ist. Schließlich schwärmen alle von KI.

Merkel schuld an Rückenschmerzen

Weidel hofft, dass der Orangene sich das Gespräch anhören wird, aber sie weiß, länger als fünf Minuten macht er das nicht. Also wählt sie schnell das Thema, das in Mar-a-Lago unbedingt ankommen soll. “Angela Merkel, die erste grüne Kanzlerin, hat unser Land im Grunde ruiniert. Sie hat 2015 durchgesetzt, dass unsere Grenzen für illegale Einwanderung geöffnet werden, ohne die Menschen zu fragen. Sie hat unser Rückgrat mit der widerwärtigen Energiepolitik zerstört.” Eine beachtliche Leistung von dieser Merkel, aber war sie eine Grüne? Hier handelt es sich um gefühlte Wahrnehmungen, denn die große Mehrheit der Bürger leidet zwar vielfach an Rückenbeschwerden, hat aber noch nicht bemerkt, dass die von Merkel kommen.

Die Weidelsche gibt eben die Gefühlswelt ihrer Leute wieder. Die glauben, dass ihr Rückgrat zerstört sei. Nun ja, nicht unplausibel. Sogleich fragt sich, wie es mit dem verlängerten Rücken aussieht, dem für die Kundschaft wichtigeren Körperteil? Ist denn auch der Poppes von der Energiepolitik lädiert? Das wäre wirklich widerwärtig. Wenn Weidel das gemeint hat, muss man ihr einfach beipflichten.

Weiter gehts mit volksnahen und auch für Oligarchen mundgerecht zubereiteten Beweismitteln: “Stecker aus dem Atomkraftwerk gezogen … nur noch Solar- und Windenergie … Man kann ein Industrieland nicht mit Wind- und Sonnenenergie regieren … Kein Strom, wenn die Sonne nicht scheint und wenn der Wind nicht weht … großes Problem.” Aber auch kein Atomstrom, wenn der Putin kein Uran mehr rausrückt. Noch ein großes Problem.

“Ziemlich gut konzipiert”: Atomenergie

Das Technikgenie (Selbstdarstellung) fühlt sich berufen, etwas Schlaues von sich zu geben. Musk hat herausgefunden, dass die Sonne im Winter weniger scheint als im Sommer. Der Datumszyklus ist bitter für die ansonsten erfreuliche Solarenergie. Die Lösung: ganz viel Atomenergie. “Ich glaube, das ist ein sehr unterschätztes Thema. Ich denke, es war eine Tragödie für Deutschland, die Kernkraftwerke abzuschalten. Sie sind eigentlich sehr gut konzipiert. Und ich denke, dass es richtig wäre, den Anteil der Kernenergie in Deutschland deutlich zu erhöhen. Das wäre großartig.”

Was heißt hier eine Tragödie, es gibt ganz viele. Die Dampflok, der Trabi, der Commodore 64, das Polizeipferd. Die waren alle ziemlich gut konzipiert. Oder näher am Kerngeschäft des Oligarchen: die Wunderrakete V2. Das Haken Eiserne Kreuz. Alles abgeschaltet trotz Kultstatus.

Die Kanzlerkandidatin überspringt mögliche Einwände mit einem lustigen Kichern: “Ja genau … Deshalb sagen wir, wir müssen technologieoffen sein und wir müssen die Kernkraftwerke stärken, weil die Kernenergieversorgung kohlenstofffrei ist. Richtig … Und ja, und wir würden hier gerne zur Technologieoffenheit zurückkehren.”

Und ja, mit wir sind wieder die AfD-Deutschen gemeint, die mit dem lädierten Rückgrat. Mit technologieoffen ist immer Atomenergie gemeint, das hat schon die FDP ins Politlexikon eingetragen. Offen für Atom, ansonsten geschlossen.

Musk: “Ja, ich denke das macht sehr viel Sinn.” Man kann gar nicht oft genug Ja sagen, dieses mitreißende kleine Wörtchen. Ja, da möchtest du einfach dabei sein, jajaja. Deutschland solle überhaupt die Stromerzeugung erhöhen, dazu wären Atomkraftwerke bestens geeignet, findet der X-Mann. Mit denen ist “in Wirklichkeit viel mehr Stromerzeugung möglich, als die Leute glauben.” Jetzt verrät uns das Genie ein amerikanisches Geheimnis. “Ohne das Kernkraftwerk in irgendeiner Weise zu vergrößern, ohne die genutzte Fläche zu vergrößern, kann man die Leistung eines Kernkraftwerkes dramatisch erhöhen … Und so kann man auf derselben Fläche, ohne dass die Fläche vergrößert wird, die Menge an Atomstrom, die ein bestimmtes Kernkraftwerk produziert, dramatisch erhöhen.”

Weg zur Atombombe verkürzen

So ist es. Allerdings wissen viele Leute einschließlich Technikgenies und Kanzlerkandidat*innen nicht, wie das geht. Je höher der Output, desto höher angereichertes Uran braucht man dafür. In Wirklichkeit ist viel höhere Anreicherung nötig, als die Leute glauben. Dramatisch ist das deswegen, weil für die Eigner solcher Atomkraftwerke, alles lupenreine Demokraten, der Weg zur Atombombe auf ein Drittel verkürzt wird. Oder ein Viertel. Got it? Auf ein Viertel, nicht um ein Viertel. Auch ein sehr unterschätztes Thema.

Frau Weidel, Ökonomin, Bankkauffrau magna cum laude, weiß das nicht. Wenn doch, hätte sie nichts dagegen. Sie hat kein Problem mit lupenreinen Demokraten. Aber sie ahnt intuitiv, dass der Oligarch etwas zu Energiedichte hören will. Prima, “Ja, absolut”, darauf ist sie vorbereitet. Der Flächenverbrauch von Windturbinen sei viel größer als der von Atomkraftwerken. Wollte man ein (früheres) deutsches AKW ersetzen, bräuchte man dafür 1250 Windräder. Beim geltenden Mindestabstand benötigten die hundert Quadratkilometer, “das entspricht der Hälfte der Stadt Stuttgart. Und nur um noch einmal zu betonen, dass man nicht sehr schlau sein muss, um Berechnungen anzustellen.”

“Mathe auf Mittelschichtsniveau – wie Highschool”

Der Oligarch ist echt begeistert. “Das Verrückte ist, für diese Energie-Fragen müssen Sie kein weltweit führender Physiker sein. Es ist sehr einfache Mathematik, wie High School, weniger als High School Niveau Mathematik. Ich würde sagen, Mathe auf Mittelschulniveau. Es ist sehr einfach und nicht kompliziert.”

Dazu einige Hinweise für die nuklearen Mittelschüler, die diese Rechnung für ihre Kanzlerkandidatin modelliert haben. Fleißnote: gut, Lösung: falsch. Die Fläche rund um ein Windrad ist nicht verloren. Etwas kann angebaut werden, notfalls Genussmittel, die nicht nur im Milieu von Technikmilliardären stark gefragt sind. Nun zum Flächenbedarf von Atomkraftwerken. Hierzu müssen die Flächen aller Atomkraftwerke weltweit, auch der stillgelegten, summiert werden. Keine Panik, da dürft ihr gern mit Schätzwerten arbeiten. Bitte anschließend die Fläche der Sperrzonen von Tschernobyl (3500 Quadratkilometer) und Fukushima (300 qkm), Majak/Kysthym (150-250 qkm), Semipalatinsk (18000 qkm), Hanford (1500 qkm), Nevada (3500 qkm) und weiterer nuklearer Sperrgebiete dazu addieren und das Ganze durch die Zahl der aktuell betriebenen AKWs dividieren, 417 laut Wiener Atomagentur. So wird die Zahl belastbar. Leider auch größer als die halbe Fläche von Stuttgart (unterirdische Bahnhöfe nicht mitgerechnet). Als nächstes wäre der durchschnittliche Kühlungsbedarf eines AKW interessant, das heißt sein Verbrauch an Wasser, immerhin der wichtigste Rohstoff dieses Planeten. Aber bleiben wir in der Spur.

Weidel kriegt einen Adrenalinstoß. Das Genie hat ihre Kalkulation bestätigt. Der Milliardär (!) hat sie von einer Finanzsachbearbeiterin zur Analystin geadelt. Jetzt noch Kanzlerin werden und privat in Krypto investieren, natürlich die von Elon. Geil! Sie hält ihren Triumph fest: “Nachdem wir abgeschnitten waren von der billigen Energieversorgung aus Russland, schalteten sie das letzte Atomkraftwerk ab, um noch mehr Energieknappheit zu schaffen. Ja (schon wieder, aber passt hier nicht richtig). Also ich denke, entweder ist man sehr dumm. Oder man hasst sein eigenes Land.”

Hauptsächlich sehr dumm

Der Oligarch glaubt, dass “hauptsächlich die sehr dumme Kategorie” zutrifft. Man solle “nie etwas der Böswilligkeit zuschreiben, was leicht durch Inkompetenz erklärt werden kann.” Whow. So tiefgründig reden die in Mar-a-Lago, philosophisch sogar. Er hat es aus einem der neun Bücher, die er gelesen hat, vielleicht die Nullnummer von Peter Thiel, Zero to one, eine Bibel für Startups. Aber egal, ob dumm oder böswillig, es war “mit das Verrückteste, was ich je gesehen habe.”

Der Oligarch: “Es ist verrückt.” 
Die Kanzlerkandidatin: “Es ist verrückt.”

Beide: Kicher.

Frau Weidel, Herr Musk, wir danken für das Gespräch.

Über Detlef zum Winkel / Gastautor:

Dipl.phys. Geb. 1949. 1967-1975 Studium der Physik, Diplomarbeit am Deutschen Elektronen-Synchroton (DESY); Lehrer an Hamburger Schulen; freier Autor; Arbeit in Bürgerinitiativen gegen Atomkraftwerke und gegen die Startbahn 18 West des Frankfurter Flughafens. Antifa. Seit 1991 Informatiker.

Ein Kommentar

  1. Roland Appel

    Das Problem solchen geistlosen Gelabers sind so Medien wie die “Schwäbische” und der Kölner Stadtanzeiger und der GA Bonn, die Rheinische Post und, und und – hätten die sich über diesen Mist nicht laut empört UND wiedergegeben, wäre es bei den 7% Deutschen geblieben, die überhaupt auf “X” sind, von denen nichtmal alle interessiert waren – im Gegensatz zu 53% der Inder – auchvon denen hätte bestimmt nur ein kleiner Anteil zugeschaut. Stattdessen brüllte die Tagesschau: “Elon Musk, der 220 Mio. Follower hat”… – Wichtigkeit – wer zählen kann, weiss mehr vom Leben!

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