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Österreich: Neue Regierung will mehr Überwachung

Das Regierungsprogramm der neuen Koalition in Österreich bringt mehr Überwachung und birgt Gefahren für den Datenschutz. Das kritisieren mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen. Eine netzpolitische Kurzanalyse.

In Österreich hat sich die Koalition aus der konservativen ÖVP, der sozialdemokratischen SPÖ und den liberalen NEOS auf ein Regierungsprogramm geeinigt. Wir haben uns umgehört und angeschaut, was das neue Regierungsprogramm (PDF) in Sachen Netzpolitik, Datenschutz, Digitalisierung und Grundrechten bringt.

Das österreichische Momentum Institut hat das Programm analysiert und sieht eine „massive Aufrüstung der Exekutive und den Ausbau staatlicher Überwachung“. Die Abmachungen im Koalitionsvertrag sehen unter anderem eine Aufstockung der Budgets des Sicherheitsapparates sowie einen Aufwuchs beim Personal vor. Die neue Regierung will unter anderem flächendeckend Bodycams und nicht-tödliche Waffen wie Taser einführen und den Fuhrpark modernisieren. Das Institut sieht hierin Anzeichen einer Militarisierung der Polizei, während Fragen nach unabhängiger Kontrolle ungelöst blieben.

Als besonders problematisch stuft der Think Tank die „verstärkte Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung“ ein. Unter anderem plant die Regierung mehr Video- und Drohnenüberwachung an den Grenzen sowie „umfassendere Datenanalysen“ zur Kriminalitätsbekämpfung.

Dies sowie die verpflichtende Öffnung von Mobiltelefonen von Asylsuchenden hält Elisabeth Kury von der digitalen Bürgerrechtsorganisation epicenter.works für „massive Eingriffe in Privatsphäre und Grundrechte von besonders schutzwürdigen Menschen“. Diese Maßnahmen setzten nicht auf effektive Sicherheitskonzepte, sondern auf flächendeckende Kontrolle und Generalverdacht, so Kury weiter gegenüber netzpolitik.org.

Staatstrojaner im Programm versteckt

Im Koalitionsvertrag versteckt als „verfassungskonforme Gefährder-Überwachung“ ist auch die Einführung des Bundestrojaners. Kury von epicenter.works hält das „Umfallen von SPÖ und NEOS beim Bundestrojaner“ für besonders enttäuschend. „Dieses Vorhaben, das auf das bewusste Ausnutzen von Sicherheitslücken in unseren Geräten setzt, erzeugt eine Massengefährdung und ist ein Hohn für die sonst so oft betonte Bedeutung der Cybersicherheit – eine Ironie, die kaum zu überbieten ist“, so Kury.

Keine Hinweise haben wir auf die zukünftige Position Österreichs zur EU-Chatkontrolle gefunden. Österreich gehörte bislang im Rat der EU zu den Gegnerländern, welche die Einführung dieser neuen anlasslosen Überwachung mit ihrer Sperrminorität verhindert haben.

Bei der Digitalisierung des Staates soll die „ID Austria“, die digitale Identität des Landes, bis 2030 komplett für alle Amtsgeschäfte ausgerollt werden. Sorge bereitet dem Momentum Institut zusätzlich geplante die „Ausrollung der ID Austria in der Privatwirtschaft für Login und Kundenidentifikationsverfahren“, das könnte im Ergebnis zum „völlig gläsernen Bürger“ führen, mit entsprechendem Missbrauchspotential.

„Nicht genug  Schutz der Grundrechte“

Im weiteren wird im Regierungsprogramm zwar mehrfach auf digitale Souveränität verwiesen, das Wort Open Source kommt hingegen nur einmal vor. „Ein generelles Bekenntnis zu offenen Standards und Protokollen fehlt ebenso wie Überlegungen hinsichtlich digitaler Gemeingüter (z.B. der Nutzung offener Lizenzen für öffentlich finanzierte Inhalte)“, heißt es weiter in der Analyse (PDF) des Momentum Instituts.

Epicenter.works hält einige Maßnahmen, wie etwa zur Stärkung digitaler und medialer Kompetenzen, der Open-Source-Nutzung oder zur Umsetzung des Digital Services Act für „grundsätzlich begrüßenswert“. Aus Perspektive digitaler Grundrechte und des liberalen Rechtsstaats bestünden aber aufgrund der Überwachungsbefugnisse „erhebliche Besorgnisse“ beim neuen Regierungsprogramm. Es bleibe „in vielen wichtigen Punkten hinter den Erwartungen zurück und tut nicht genug für den Schutz der Grundrechte“ angesichts wachsender Bedrohungen, so die Bürgerrechtsorganisation.

Markus Reuter recherchiert und schreibt zu Digitalpolitik, Desinformation, Zensur und Moderation sowie Überwachungstechnologien. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit der Polizei, Grund- und Bürgerrechten sowie Protesten und sozialen Bewegungen. Für eine Recherchereihe zur Polizei auf Twitter erhielt er 2018 den Preis des Bayerischen Journalistenverbandes, für eine TikTok-Recherche 2020 den Journalismuspreis Informatik. Bei netzpolitik.org seit März 2016 als Redakteur dabei. Er ist erreichbar unter markus.reuter | ett | netzpolitik.org, sowie auf Mastodon und Bluesky. Dieser Beitrag ist eine Übernahme von netzpolitik, gemäss Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.

Über Markus Reuter / netzpolitik:

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Ein Kommentar

  1. Dr. Norbert Reichel

    Auch in Sachen Datenschutz müssen wir einmal in der Realität ankommen. Es ist unerträglich, dass Sicherheitsbehörden ihre Daten nicht teilen können. Immer wusste jemand etwas über die diversen Attentäter, Rechte wie Islamisten, aber nie wurden die Ergebnisse zusammengeführt. Warum? Verbot des Austauschs von personenbezogenen Daten, dazu unerträgliche Schlamperei. Auch das Auslesen von Mobiltelefonen von Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, in Deutschland illegal einreisen wollen beziehungsweise sich auf Asyl berufen wollen, darf kein Tabu mehr sein. Das ist immer noch besser als irgendwann dann doch realisierte permanente Grenzschließungen, wie sie Rechtsextremisten und leider auch manche Konservative und Sozialdemokraten fordern. Darüber müssen wir offen diskutieren, nicht einfach jammern, dass irgendwo der Datenschutz eingeschränkt werde.

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