Jürgen Trittin wusste es vorher. Die politische Substanz des White-House-Theaters vom vergangenen Wochenende war nicht geheim. Und wer genügend Intelligenz besitzt, wie es Jürgen zweifellos hat, konnte weder überrascht noch schockiert sein, sondern es in der politischen Substanz vorhersagen. Das hat Jürgen Trittin in den Blättern getan, die seinen Text freilich erst nach dem Wochenende online stellten: “Europas Stunde der Wahrheit – Warum Appeasement gegen Trump nicht weiterhilft”. Einige Dummköpfe in deutschen Medien haben das selbstverständlich nicht gelesen. Lesen ist eine Schlüsselqualifikation. Nicht alle verfügen über sie.
Das stellt heute Klaus Raab/MDR-Altpapier in der Wochenendberichterstattung über die Washingtoner Aufführung fest: “Trumps Reality-Politik – US-Präsident Donald Trump hat Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj in ein Big-Brother-Setting gesetzt, bevor er ihn erniedrigte. Diplomatie als Reality-TV. Aber der Nachrichtenjournalismus bekam das Ereignis nur bedingt in Schlagzeilen zu fassen. Woran liegt das?”
Aus einem Absatz von Trittin ergeben sich Anschlussfragen, auf die sein Text nicht eingeht. Dieser Absatz:
“Dass Deutschland mehr für die eigene Sicherheit ausgeben muss, dass Europa endlich eine eigene Rüstungsindustrie aufbauen muss, all das bekommt unter dem Eindruck der Gespräche von Putin und Trump ein anderes Gewicht. Es gibt gute Gründe für Europa, zukünftig mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts in die Sicherheit zu investieren. Will Europa nicht wie bisher 80 Prozent seiner Verteidigungsausgaben als Beschaffungskosten in die USA fließen lassen, braucht es dafür eine europäische Rüstungsindustrie mit standardisierten Produkten.”
Die Anschlussfrage ist, und ich weiss ja, dass der Gute darüber auch nachdenkt, aber in diesem konkreten Fall seine Gedanken nicht verrät: wie will er unter dieser Voraussetzung das real existierende EU-Europa, seine Ökonomie, sein Klima, seine Umwelt, seine sozialen Minimalstandards – und am Ende auch seine “erfolgreich” aufgeblasene Rüstungsindustrie – vor faschistischen Machtübernahmen retten? Denn wenn alle so weitermachen, wie sie es jetzt tun, ist das kaum vermeidbar.
Bonbon am Rande: “Umso mehr müssen wir als Europa klar und entschlossen sein. Dies setzt eine Reparatur des unter Olaf Scholz und Emmanuel Macron zerrütteten deutsch-französischen Verhältnisses voraus.” Hier stimme ich zu. Wer war nochmal genau in der Bundesregierung Scholz für die Aussenpolitik zuständig? Wurde dort auch miteinander geredet?
Die vordergründig gute Nachricht des Tages ist diese, in der FAZ selbstverständlich digital eingemauert, aber ich habe sie mir und meinen Freund*inn*en gesichert: Johannes Leithäuser/FAZ: “Europa plant den Friedensplan – Nach dem Eklat zwischen Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj kündigt der britische Premierminister einen Friedensplan an. Die Ukraine soll aus ‘einer Position der Stärke’ über Waffenstillstand und Frieden verhandeln können.” “Friedensplan”? Ist das nicht eine Vokabel aus dem Arsenal der “Putinversteher”, wie Michael von der Schulenburg oder Johannes Varwick (auf Elon Musks “X” publiziert auch die deutsche Aussenministerin weiterhin)?
Ich empfehle: Handwerk und Inhalt getrennt betrachten. Und dabei den Fortschritt nicht übersehen, sondern stärken und antreiben.
https://substack.com/home/post/p-158290992
ist wohl doch alles etwas komplizierter nach Thomas Fazi