Am 21. März wird jährlich der Internationale Tag gegen Rassismus begangen. Er wurde 1966 von den Vereinten Nationen ausgerufen. Anlass war der sechste Jahrestag des Massakers von Sharpeville durch Einheiten der South African Police im damaligen Apartheidstaat Südafrikanische Union. Tausende hatten friedlich gegen das rassistische System protestiert, das schwarze und weiße Menschen in vielen Bereichen trennte (Wohnen, Verkehr, Schulen u.a.). 69 Menschen wurden erschossen und hunderte verletzt. Angeblich hätten Demonstranten mit Steinen auf die Polizisten geworfen. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte den Vorfall scharf und forderte ein Ende der Rassentrennung.
Viele Jahre hatten die Vereinten Nationen das Apartheidsystem in Südafrika bekämpft. Regelmäßig verurteilten die UN-Generalversammlung und mehrfach auch der UN-Sicherheitsrat diese Unterdrückungspraxis der Buren, die ihr nebenbei auch noch den Namen gegeben hatten. Apartheid bedeutet auf Afrikaans ‘Getrenntheit’. Änderungen gab es nicht. Daher beschloss die UN-Generalversammlung 1965 ein erstes verbindliches Menschenrechtsabkommen, nämlich die Internationale Konvention zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (Anti-Rassismus-Konvention, ICERD), die 1969 in Kraft trat. Derzeit gibt es fast 90 Unterzeichnerstaaten und mehr als 180 Vertragsparteien.
Es verpflichtete die Unterzeichnerstaaten zur Verurteilung, zur Verhütung, zum Verbot und zur Beseitigung „rassischer Segregation und Apartheid“. Die Aufnahme weiterer Tatbestände, wie Friedensverbrechen, Kolonialismus, Rassismus, Nazismus und Antisemitismus fand keine Mehrheit. Zwar war das Abkommen auf Südafrika gemünzt, doch wurde das Land nicht erwähnt. Auf einer UN-Tagung im Sommer 1976 wurden jedoch Südafrika, Rhodesien, die damaligen Kolonien Portugals, das Basutoland, das Betschuanaland und das Swaziland namentlich aufgelistet.
Erst 1994 fanden in Südafrika die ersten allgemeinen und freien Wahlen statt, die das Ende eines jahrzehntelangen Kampfes gegen das Apartheidregime bedeuteten. Schon ab 1993 hatte die „Wahrheits- und Versöhnungskommission“ das an Schwarzen und anderen rassistisch verfolgten Bevölkerungsgruppen in Südafrika begangene Unrecht untersucht. Der Prüfungszeitraum begann mit dem Massaker von Sharpeville. Die Kommission bezeichnete die damalige Regierung, insbesondere den Polizeiminister, als mitverantwortlich. 1996 unterzeichnete Präsident Nelson Mandela die neue südafrikanische Verfassung in Sharpeville. Seit 1995 ist der 21. März in Südafrika als „Tag der Menschenrechte“ ein nationaler Gedenktag.
Obwohl die Vereinten Nationen Apartheid bereits 1966 als „schweres Verbrechen gegen die Menschichkeit“ eingestuft hatten, bemühten sich einige UN-Mitglieder, diese Aussage noch zu verschärfen und eine spezielle Anti-Apartheid-Konvention (AAK) zu schaffen. Dies gelang 1973. Apartheid wurde darin nicht nur als Verstoß gegen die UN-Charta, sondern als Verbrechen durch „rassische Personengruppen“ definiert wird. Als rassistisch begründete Verbrechen werden Mord, Folter, unmenschliche Behandlung, willkürliche Verhaftung, aufgezwungene Lebensumstände, politische, soziale, ökonomische und kulturelle Benachteiligung, rassische Trennlinien (etwa durch vorgegebene Wohnbereiche) und das Verbot interrassischer Ehen genannt. Wer Apartheid praktiziert oder dazu aufruft, soll strafrechtlich verfolgt werden. Die Vorlage wurde in der UN-Generalversammlung mit Mehrheit beschlossen; Großbritannien, Portugal, Südafrika und die USA stimmten dagegen; 26 Staaten enthielten sich.
Die Anti-Rassismus-Konvention definiert rassistische Diskriminierung als „jede auf der vermeintlichen ethnischen Herkunft, ‘Rasse’, Hautfarbe, Abstammung oder nationalen Urspungs beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.“
Die Einhaltung der Konvention wird durch den „Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung“ kontrolliert, ein aus 18 Sachverständigen bestehendes Gremien, das für vier Jahre gewählt wird zweimal jährlich tagt. Der Ausschuss prüft die Berichte, zu deren Abgabe die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, beschließt dazu eine Stellungnahme (sogenannte ‘Concluding Observations’) und gibt Änderungsmpfehlungen. Zweitens ist der Ausschuss für Beschwerden zuständig, die ihm von Staaten vorgelegt werden, sowie für Individualbeschwerden, die Einzelpersonen gegen Verletzungen des Abkommens durch Vertragsstaaten geltend machen. Die ersten drei Staatsbeschwreden wurden 2018 eingereicht. Von der Möglichkeit einer Individualbeschwerde ist bislang nur selten Gebrauch gemacht worden.
Die Anti-Rassismus-Konvention sieht ausdrücklich ein internationales Straftribunal für die genannten Verbrechen vor, daher wurden auch dafür Vertragsentwürfe erarbeitet. Sie führten 1998, also viel später, zur Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH). Dabei war strittig, ob Apartheid als eigener Straftatbestand aufgelistet werden solle oder nicht schon durch den Begriff der ‘Verbrechen gegen die Menschlichkeit’ abgedeckt sei. Letztlich setzten sich jene durch, die ein eigenes Verbot forderten. Nur sieben Staaten lehnten das Statut für den IStGH ab: VR China, Irak, Israel, Jemen, Katar, Libyen und die USA.
Inzwischen ist das Verbot von Apartheid und Rassendiskriminierung laut Völkerrechtskommission als zwingende Norm und als Teil des Völkergewohnheitsrechts anzusehen. Damit kann die Verfolgung von Verstößen auch gegen Nichtunterzeichner der Anti-Apartheid-Konvention erfolgen, sofern diese den Internationalen Strafgerichtshof akzeptiert oder autorisiert haben.
1979 erweiterten die Vereinten Nationen ihre Aktionen gegen Rassismus. Seitdem finden im zeitlichen Rahmen des internationalen Rassismustags zusätzliche „Internationale Wochen gegen Rassismus“ statt, im Vorjahr vom 20.3. bis 2.4. In Deutschland findet die Planung und Koordination der Aktivitäten durch die ‘Stiftung für die Internationalen Wochen’ statt. Modellprojekte sollen zur Überwindung von Antisemitismus sowie von Rassismus gegen Sinti und Roma, Muslimen, Flüchtlingen und Menschen anderer Hautfarbe beitragen. Die Zahl der Veranstaltungen steigt kontinuierlich, 2019 waren es rund 1850. Zwei Drittel wurden durch Städte und Kommunen durchgeführt wurden.
Systematisierend kann man biologischen (Hausfarbe, Gesichtsform), kulturellen, religiösen und institutionellen Rassismus unterscheiden. Juden wurden zunächst wegen ihrer Religion verfolgt, später als „eigene Rasse“. Rassismus kann sich deutlich durch Regeln, Vorschriften oder staatliches Handeln äußern wie damals in Südafrika oder heute in China (Uiguren), Myanmar (Rohingya) oder Israel (Palästinenser). Als struktureller Rassismus taucht er jedoch auch woanders auf, z.B. bei der Polizei, bei Behörden, in Schulen oder im täglichen Leben. Oft ist nur schwer zu erkennen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen mittelbar oder unmittelbar benachteiligt werden.
Der Rassismus kann aber auch im gegenseitigen Verhalten, im gesellschaftlichen Miteinander oder struktureller Benachteiligung erkennbar werden. Diesen Rassismus gibt es auch in Deutschland. 90% der Bevölkerung sind überzeugt, dass es hier Rassismus gibt. 61% meinen, dass sie dies alltäglich erleben. 2021 zählte das Bundesinnenministerium mehr als 9.000 sogenannte „fremdenfeindliche“ Straftaten, täglich wurden mindestens vier Menschen Opfer rechter, rassistischer oder antisemitischer Gewalt. Wahrscheinlich sind die Zahlen deutlich höher, denn es werden nicht alle derartigen Taten angezeigt oder als rassistisch motiviert erkannt.
Deutschland blickt auf eine besonders grausame Handhabung des Rassismus zurück. 1935 beschloss der NSDAP-gesteuerte Reichstag die sogenannten Nürnberger Gesetze als Basis für die Verfolgung der deutschen Jüdinnen und Juden. Die schwerwiegendste Regel war die Schaffung der ‘Reichsbürgerschaft’, die Menschen arischer Abstimmung vorbehalten war und die anderen zu Bürger/innen zweiter Klasse degradierte. Sie verloren ihre politischen Rechte, unterlagen Betätigungsverboten und verloren ihr Vermögen. Dieser Rassenwahn war die Vorstufe zu der 1941 begonnenen Judenvernichtung.
Es gibt viele Rankings, in denen die Staaten der Welt eingestuft werden: zum Beispiel Wirtschaftskraft, soziale Gleichheit, Menschenrechte oder Nachhaltigkeit. Für den Grad an Rassismus, der weitweit in den einzelnen Ländern herrscht, gibt es offenbar keine Statistik. Nur Europa hat dies erfasst. Erstens gibt es nationale Erhebungen über den Umfang von Diskriminierung aus rassistischen Gründen, zweitens hat die ‘Agentur der Europäischen Union für Grundrechte’ 2023 die Länder der EU miteinander verglichen und ein „beschämendes“ Ausmaß an Diskriminierung ermittelt.
Vor allem Menschen afrikanischer Abstammung sind regelmäßig rassistischer Diskriminierung, Belästigung und Gewalt in allen Aspekten ihres Lebens ausgesetzt – von der Schule über den Arbeitsmarkt bis zum Wohnungs- und Gesundheitswesen. Bis zu zwei Drittel der Befragten gaben an, in den letzten zwölf Monaten diskriminiert worden zu sein. An der Spitze der Negativskala liegen Österreich (67%) und Deutschland (65%), gefolgt von Finnland (57%), Dänemark (47%), Luxemburg, Belgien und Irland (alle 44%). Die besten Werte weisen Spanien (24%), Schweden (21%), Polen (19%) und Portugal (17%) auf.
Schon das deutsche Grundgesetz schützt die Menschen vor Rassismus: „Niemand darf wegen seiner Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ So steht es in Artikel 3 des Grundgesetzes und es bindet nicht zuletzt staatliche Stellen.
Einzelheiten finden sich im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (bekannt als Antidiskriminierungsgesetz, AGG) von 2006, das Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern oder beseitigen soll. Neben dem Gleichbehandlungsgebot sieht das Gesetz auch die Förderung bestimmter Personengruppen vor. Allerdings erstreckt sich das Gesetz nicht auf staatliches Handeln, was Betroffenen die Geltendnmachung ihrer Rechte erschweren kann.
International wirkt das deutsche Völkerstrafgesetzbuch von 2002. Demzufolge macht sich jemand strafbar, der „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen …. als unzulässig anerkannten Gründen grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt.“
Die Begriffe ‘Rasse’ und ‘Rassendiskriminierung’ sind hoch umstritten, vor allem wenn sie in Gesetzestexten enthalten sind. Sie sollen nicht mehr verwendet, sondern durch Formulierungen wie „rassistische Diskriminierung oder Zuschreibung“ ersetzt werden. Der Rassebegriff hat sich als pseudowissenschaftlich erwiesen, weil er Menschen in Unterarten mit angeblich unveränderbaren inneren und äußeren Merkmalen aufteilte. „Rassismus“ ist also eher die Erfindung von Rassen, damit man diese in eine Ordnung oder Rangfolge bringen kann.
Rassismus dient dazu, Menschen zu diskriminieren, auszugrenzen und zu benachteiligen (‘Untermenschen’). Im 18. Jahrhundert wurde die Wertung phänotypischer Merkmale zur Grundlage von Rassentypologien und -theorien. Die Menschen wurden in Klassen aufgeteilt, denen bestimmte vererbbare Eigenschaften zugesprochen wurden. Dadurch wurde der Eindruck erzeugt, die Menschen einer „Rasse“ seinen einander sehr ähnlich. Danach konnte man diese „Rassen“ hierarchisieren und damit erklären, dass manche „Rassen“ besser sind als andere. Unter anderem führte dies zur Charakterisierung von vier oder fünf Variationen des Menschen, zur Definition einer arischen Herrenrasse und zu der obskuren Vorhersage, dass die Vermischung des Blutes unterschiedlicher Rassen zum Aussterben der Menschheit führen werde.
Mit solchen Konstruktionen wurden Sklaverei, Menschenrechtsverletzungen, ethnische Unterdrückung, Progrome und Genozid gerechtfertigt. Im Extremfall (Holocaust) wurde die Existenzberechtigung bestimmter Ethnien in Frage gestellt. Heute dient die rassistische Diskriminierung dem politischen Rechtsextremismus dazu, rigide Grenzkontrollen einzufordern.
Rassismus gibt es, seit es menschliche Gesellschaften gibt. Sklaverei und Sklavenhandel haben eine mehr als viertausendjährige Geschichte, oft im Kontext mit Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit. Eine der ältesten Erscheinungen wird im indischen Kastenwesen gesehen, als etwa 1500 v. Chr. hellhäutige Arier das Land eroberten und die dunkelhäutige Bevölkerung versklavten. In den Hochkulturen des Altertums – z.B. Mesopotamien und Ägypten – ist Sklaverei dokumentiert. Im antiken Griechenland wurden Angehörige fremder Völker als kulturell und zivilisatorisch zurückgeblieben betrachtet und entsprechend behandelt. Die römische Gesellschaft war stark vom Sklaventum abhängig.
In Spanien wurden Juden und Muslime nach der Rückeroberung des Landes als Fremdlinge vertrieben oder unterdrückt. In Europa betrieben die Wikinger einen gut organisierten Handel mit slawischen Sklaven. Nordafrikanische Piraten verschleppten europäische Küstenbewohner/innen und Seeleute. Die Plantagenwirtschaft in Amerika führte zum weltweiten professionellen Sklavenhandel. In den USA wurde die Sklaverei erst 1865 nach Beendigung des amerikanischen Bürgerkriegs abgeschafft.
Schon 1950 veröffentlichte die UNESCO eine wissenschaftliche Beweisführung, dass bei Menschen keine Rassen existieren. In einer Deklaration von 1995 ächtete sie den Rasse-Begriff und jede biologische und soziologische Ableitung rasseähnlicher Kategorien, weil
# die möglichen Kriterien beliebig wählbar seien,
# die genetischen Unterschiede innerhalb einer ‘Rasse’ meist größer seien als zwischen verschiedenen ‘Rassen’,
# kein Zusammenhang zwischen ausgeprägten Körpermerkmalen und Eigenschaften wie Charakter und Intelligenz besteht.
Es gibt jedoch auch Formen eines subtilen Rassismus, die ebenfalls diskrimierend wirken können. Auch wenn sie nicht so gemeint sind und unbewusst oder unwissentlich erfolgen, schaden sie der Gesellschaft („Alltagsrassismus“). Anmerkungen wie „Sie sprechen aber gut Deutsch“ oder „Woher stammen Sie eigentlich?“ bauen Mauern auf und werden als herabwürdigend empfunden. Zudem werden Worte, die früher unbeanstandet blieben, heute als rassistisch eingestuft – auch wenn sie nicht in dieser Absicht verwendet werden. Das kann zu echten Problemen führen. Was ist zulässig und welche Wortwahl kann missverständlich sein? Wie ist z.B. die Verwendung des Begriffs „Hoffnarr“ durch Kanzler Scholz zu werten?
Danke für diese – wie so oft von Dir – grundlegende Ausführung. Ich möchte sie um eine konkrete politische Einzelheit ergänzen, die mich politisch sehr geprägt hat. Im Rahmen der von Dir beschriebenen intensiven Befassung der UN mit Rassismus wurde die BRD, damals noch sozialliberal regiert, Ende der 70er Jahre namentlich von der UN-Generalversammlung für ihre militärisch, atomare und ökonomische Zusammenarbeit mit dem südafrikanischen Apartheidregime verurteilt. Diese sensationell-blamable Tatsache wurde in den westdeutschen Medien schlicht verschwiegen. Ich hatte das als kritischer 18-jähriger Jungdemokrat nicht für möglich gehalten, und musste das als 19-jähriger dazulernen.
Details hatte ich zum 100. Geburtstag Nelson Mandelas hier beschrieben:
https://extradienst.net/2018/07/18/mandela-100/