mit Update und Mediathekperle
Arte findet nicht alle Despoten gut. Heute z.B. ist mal wieder ein ganzer Abend Wladimir Putin und seinen Untaten gewidmet. Darauf kann sich die komplizierte Arte-Organisation offenbar recht unkompliziert einigen. Bei anderen Despoten sind sie nicht so streng. Z.B. bei den aussergewöhnlich solventen Vereinigten Arabischen Emiraten. Die konnten z.B. eine ausgewachsene Staatspleite ihres Mitgliedsemirats Dubai ausbalancieren, ohne dass das die Weltöffentlichkeit lange beunruhigen konnte. Solche können sich gewiss auch Medien(-beiträge) leisten (zu kaufen). Aber das hat Arte vielleicht in den zwei hier zu nennenden Fällen auch kostenlos erledigt.
Da ist zum einen der vierte Teil der Architekturreihe von Sabine Reeh/Bayrischer Rundfunk, ein Darling deutscher Architektenkammern, zu nennen: “Tempel der Hochkultur – Wie Kulturbauten Städte aufwerten – Die Kulturbauten von morgen stehen nicht in London, Paris oder New York. Sie entstehen gerade in jungen, aufstrebenden Metropolen wie Abu Dhabi und Shenzhen. Sowohl die Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate als auch die chinesische Mega-Metropole haben sich in kürzester Zeit durch spektakuläre Bauten von Stararchitekten international Aufmerksamkeit geschaffen.” Ihre Botschaft zusammengefasst: Despotien werten Städte auf – Demokratien nicht. In Saudi Arabien kennen sie sich mit Despotie aus, und wollen das alles in den Schatten stellen. Die in Shenzen und Abu Dhabi sollen vor Neid erblassen.
Die von mir wg. cooler Sachlichkeit aus der Perspektive des französischen Kolonialismus sehr geschätzte Reihe “Mit offenen Karten” widmete dem Feudalreich des MBZ sogar eine XL-Sonderausgabe “Mit offenen Karten Spezial: Die Vereinigten Arabischen Emirate – Wie wurden die Vereinigten Arabischen Emirate zum einflussreichen geopolitischen Player, ohne den bei einer Neuordnung des Nahen Osten nichts geht? ‘Mit offenen Karten’ präsentiert eine 35-minütige Sonderausgabe, gedreht in Abu Dhabi.” Die geradezu devote Moderation von Émilie Aubry hatte ich zuvor so noch nie gesehen, und gestehe: sie hat mich noch schockieren können.
Es ist ja bekannt, dass Libyens getöteter Staatschef Muammar al-Gaddafi den französischen Präsidenten Sarkozy so ähnlich finanziert hat, wie es Mohammed Bin Salman mit Trump I getan hat. Waren sie Vorläufer und Vorbilder für weitere Despoten? Möglich isses. Sarkozy erwehrte sich dieses Schwitzkastens, indem er Libyen als Staat gemeinsam mit willigen Nato-Mitgliedern – Deutschlands damaliger Aussenminister Guido Westerwelle war überraschend unwillig – einfach militärisch auslöschte. Der ehemalige Staat ist heute als Hölle für migrationswillige Afrikaner*innen organisiert, selbstverständlich mit Förderung durch die EU.
Bei meiner Mediendiät muss ich nun strengere Saiten aufziehen.
Update
Politische Hintergründe dieser Doppelstandards
Sie “moralisch” zu nennen, will mir nicht gelingen. Und “Werte” betrifft es am ehesten als Kapitalwert. Sie sind auch hierzulande längst nicht mehr “öffentliche Meinung”, sondern beherrschen lediglich die veröffentlichten Meinungen. Dazu fand ich heute morgen gleich vier instruktive Diskussionsbeiträge:
Florian Rötzer/overton: “US-Sondergesandter Witkoff: Russland plant keinen Angriff auf Europa – In Deutschland überschlagen sich Medien, Experten und Politiker, die russische Gefahr möglichst nahe zu rücken. Der Experte Masala hat gerade ein Buch mit dem gefahrenschwangeren Titel darüber veröffentlicht, um für Stimmung zu sorgen. Man schlägt 2029 oder 2030 vor, manche wie BND-Chef sieht die Russen schon in Nato-Länder einmarschieren, wenn der Krieg in der Ukraine endet, also wenn die Trump-Regierung einen Waffenstillstand und einen Friedensvertrag durchsetzen kann. Experten haben auch schon gemeint, dass Moskau das nächste russische-belarussische Zapad-Manöver im Herbst für einen Angriff ausnützen könnte. Das wurde schon wiederholt bei früheren Zapad-Manövern prophezeit und dabei die Suwalki-Lücke als Einfallstor genannt.”
Andreas von Westphalen/telepolis: “Kriegsangst in Deutschland: Warum schweigt die Gesellschaft? – Trotz deutlicher Signale von Kriegsängsten in der Bevölkerung bleibt der öffentliche Diskurs erstaunlich still. Warum hört man nichts von der kollektiven Angst?”
Lutz Heuken/Blog der Republik: “Demokraten in der Türkei – vom Westen verraten – Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan ist dabei, sein Land von einer Autokratie in eine offene Diktatur zu verwandeln. Im ihrem verzweifelten Kampf für die Demokratie sind Millionen Türken dabei auf sich allein gestellt – der Westen lässt sie schmählich im Stich”.
Stephan Hensell & Klaus Schlichte/IPG-Journal: “In der Hysterie-Falle – Wie Politik, Medien und Wissenschaft anhand der Ukraine eine Rüstungslogik befeuern – und warum wir Abrüstung neu denken müssen.”
Kontrastmittel: Humanität in Marzahn
Bei meinen einstmals regelmässigen Berlin-Besuchen habe ich gerne Entdeckungsrundfahrten mit der Strassenbahn unternommen. Die ist überall, wo sie fährt, der weit kostspieligeren U-Bahn vorzuziehen, weil sie Öffentlichkeit schafft – in beide Richtungen – und gegen Angsträume wirkt. In Berlin gibt es sie ausserdem vorwiegend im Osten. Für einen Überzeugungs-Wessi wie mich war das also ausserdem ethnologische Forschung.
So ähnlich muss es auch für die ARD gewesen sein, als sie sich entschloss, eine Miniserie in Marzahn anzusiedeln: “Marzahn Mon Amour”, ein Jahr verfügbar. Lassen Sie sich von dem kitschigen Titel nicht abschrecken.
Teasertext der ARD: “Kathi fängt neu an. Ihre Tochter Lilly ist fast aus dem Haus und ihr Mann ausgezogen. Als Fußpflegerin in einem kleinen Salon begegnet sie jeden Tag den Bewohnern Marzahns, ‘Die manchmal tagelang mit niemandem reden, die uns, wenn sie ins Studio kommen, ihre hungrigen Herzen ausschütten. Jede Berührung dankbar aufsaugen und glücklich sind an diesem Ort, an dem sie nicht wie die Vollidioten der Nation behandelt werden’. Mit jeder neuen Begegnung findet sich Kathi ein bisschen mehr und erkennt, dass es an einem selber liegt, ob man das Leben feiert oder nicht. Mit jeder Begegnung wird Kathi sich sicherer, dass dieser Salon sie gerettet hat. Mit Jördis Triebel, Yvonne Yung Hee Bormann und Deborah Kaufmann in den Hauptrollen. Mit feinem Gespür für die Charaktere verfilmte Regie-Shootingstar Clara Zoë My-Linh von Arnim (‘Die Zweiflers’) den autofiktionalen Bestseller von Katja Oskamp. Sechsteilige Miniserie, ab 14. März 2025 in der ARD Mediathek.”
Die Produzentinnen Henriette Lippold und Nataly Kudiabor erscheinen mir als besonder starke Durchstarterinnen. Spiegel-Rezensentin Anja Rützel war sehr beeindruckt (Paywall). Selten bin ich mit Spiegel-Leuten, Berliner*inne*n zumal, gleicher Meinung.
Mit aktuellen Mediendiäten sehr gut verträglich. Einzelnen Männer vielleicht zu kitschig. Mir nicht – bärenstark ausbalanciert von Hauptdarstellerin Jördis Triebel, einer Frau mit starker Hand für starke Rollen (schon 2007-10 im “KDD”). Im Gegenteil: solche Inseln der Humanität gibt es. Sie bleiben von der Mehrheit der Medien unbeachtet. Die strategische Frage ist: wie lassen sie sich vermehren? Frau Lippold und Frau Kudiabor sind dieser Frage nicht ausgewichen. Gut gemacht.
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