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Technostress ist eine psychische Arbeitsbelastung

Damit die Einführung digitaler Arbeitsmittel zur Entlastung statt zu mehr Belastung und Stress führt, braucht es vor allem Mitbestimmung

Ob in der Pflege, Verwaltung oder Logistik – Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelt fundamental. Neue Technologien sollen unsere Arbeit erleichtern, doch häufig führen sie zu einem Anstieg an Stress. Laut dem DGB-Index Gute Arbeit 2022 berichten rund 40 Prozent der Beschäftigten über eine steigende Belastung durch die Digitalisierung.

Der sogenannte Technostress ist eine psychische Arbeitsbelastung. Er entsteht insbesondere dann, wenn technologische Anforderungen hoch sind und die vorhandenen Ressourcen nicht zur Bewältigung ausreichen. Das kann beispielsweise passieren, wenn ein kompliziertes Computer-Programm eingeführt wird, Mitarbeitende aber keine Schulungen bekommen.

Einfluss nehmen

Studien belegen, dass es einen bedeutenden Zusammenhang zwischen Technostress und gesundheitlichen Problemen wie Depressionen und Burnout gibt. Daher nimmt Arbeitsschutz im Kontext der digitalen Transformation eine wichtige Rolle ein. Eine der Hauptursachen für Technostress bei Mitarbeitenden ist das Gefühl von Kontrollverlust. Der entsteht häufig dann, wenn neue digitale Tools eingeführt werden, ohne dass Beschäftigte einen Einfluss darauf haben. Mitbestimmung ist daher entscheidend.

Studien zeigen: Partizipative Entscheidungen über die Einführung neuer Technologien sorgen für Transparenz, einen breiteren Handlungsspielraum der Mitarbeitenden und damit zu höherer Akzeptanz. Daher müssen Betriebs- und Personalräte früh in Digitalisierungsprozesse eingebunden sein, um Belastungen zu erkennen und zu vermeiden. Können Mitarbeitende beispielsweise in Testphasen verschiedene Softwareprogramme ausprobieren, kann mangelhafte Software, die den Bedürfnissen der Mitarbeitenden nicht entspricht, erkannt und aussortiert werden.

Aber nicht nur die Mitbestimmung ist entscheidend, auch die Mitgestaltung der Software. Denn schlecht gestaltete Interfaces mit komplizierter Bedienung erschweren die Arbeit. Ist die Technologie nicht benutzerfreundlich, sorgt sie für Frustration und bedingt Technostress am Arbeitsplatz.

Arbeitsschutz bedeutet in der digitalen Welt deshalb auch: Software muss ergonomisch sein. In der Arbeitsstättenverordnung werden dementsprechend spezifische Anforderungen definiert, die Softwaresysteme erfüllen müssen. Dazu gehört, dass Arbeit erleichtert und Belastungen reduziert werden müssen, um dem Risiko von Technostress vorzubeugen. Sicherstellen kann man die angemessene Gestaltung durch sogenannte Usability-Tests, in denen Mitarbeitende bestimmte Aufgaben durchführen und die Nutzung im Anschluss bewerten. Wird die Software anhand der Testergebnisse verbessert, reduziert sich die emotionale Erschöpfung.

Kompetenz aufbauen

Unsicherheit ist eine zentrale Ursache für Technostress. Neben neuen Technologien spielen auch fehlendes Wissen und mangelnde Schulungen eine Rolle. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass etwa ein Drittel der Mitarbeitenden durch die technologischen Veränderungen verunsichert ist und daran zweifelt, ob sie den steigenden Anforderungen gerecht werden können. Ein gezielter Kompetenzaufbau der Belegschaft kann dieses Problem reduzieren.

Dabei müssen Beschäftigte nicht nur technische Schulungen erhalten, sondern auch lernen, wie sie digitale Tools sinnvoll nutzen können, ohne sich selbst zu überfordern. Das bedeutet: Schulungen zum Umgang mit technischer Komplexität und zur Resilienz. Wer sich sicher im Umgang mit digitalen Tools fühlt, erlebt weniger Stress und kann produktiver arbeiten.

Technologien müssen menschliche Bedürfnisse erfüllen. Personal- und Betriebsräte sind hier gefragt, um die Interessen der Mitarbeitenden auch im Digitalen zu vertreten. Sie müssen darauf drängen, dass neue Technologien nicht über die Köpfe der Beschäftigten hinweg eingeführt werden, sondern in einem partizipativen Prozess und mit Blick auf den digitalen Arbeitsschutz gestaltet werden. Digitalisierung kann nur gelingen und zum Erfolg im Unternehmen werden, wenn der Mensch im Mittelpunkt steht.

Der Autor ist Lehrbeauftragter für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Offenburg und forscht zu der Beziehung von Digitalisierung und dem Wohlbefinden von Mitarbeitenden. Dieser Beitrag ist eine Übernahme von ver.di-publik, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. Links wurden nachträglich eingefügt.

Über Tim-Can Werning / ver.di-publik:

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Ein Kommentar

  1. Avatar-Foto
    Holger Koslowski

    Ich kann die Thesen in diesem Artikel aus eigener Arbeitserfahrung und Beobachtung zu 100 % bestätigen. Das Besondere ist, dass neue Tools nicht einfach nur alte ersetzen sondern ganz neue Räume der Zusammenarbeit eröffnen und das ist das einzige, was mit dem Artikel nicht so ganz rauskommt, aber auch angedeutet ist die Produktivität ungemein steigern können und darin liegt meines Erachtens auch Der Stress, wenn die Selbstwirksamkeit in diesem arbeitsrechtlichen Fall die Mitbestimmung nicht gegeben sind. Auch hier gilt Gründlichkeit vor Schnelligkeit, dann ist der Erfolg umso nachhaltiger für alle Beteiligten.

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