Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Reflexe der Aufmerksamkeitsökonomie

Je grausamer und verbrecherischer, umso stiller …

mit Update 3. 11.

Ist es launig? Oder sarkastisch? Wolfgang Storz/bruchstuecke reflektiert über die Reflexe der Öffentlichkeit auf “unseren” superintelligenten Bundeskanzler: “Regieren mit Wortfetzen”. Nicht abwegig. Dennoch behaupte ich, dass seine bornierten sauerländischen Reflexe ihm selbst, und noch mehr seinem Berater*innen*stab, einen Streich gespielt haben. Denn was Storz und ich seit Jahrzehnten über den Kerl wissen, das erkennen jüngere Teile der Öffentlichkeit erst jetzt durch sein Tun und Stammeln. Und es mobilisiert ganz offenbar nicht nur seine eigenen Leute. Manche linke Bescheidwisser kräuseln ihren Bauchnabel darüber, dass sie statt mitzumachen lieber lästern, wie lange sie bescheidwissen, was viele jetzt erst merken. Klassisches Eigentor im politischen Prozess.

Zum gegenwärtigen Funktionieren der inländischen Aufmerksamkeitsökonomie gibt es einen interessanten Versuch materialistischer Analyse von Raphael Wolter/Junge Welt: Zwischen Kommerz und Widerstand – Fußball und Klassenkampf: Zur gesellschaftlichen Logik eines populären Spiels” Durchaus lesenswert und nur wenige Tage verfügbar, weil dann in einem Paywallarchiv beerdigt. In meinen Augen ist Wolters Materialismus allzu mechanistisch gedacht. Aufmerksamkeit ist zwar nicht physisch greifbar, aber eine reale Währung der Medienökonomie. So wie es unsere Daten in der Digitalökonomie sind, die derzeit die Machtverhältnisse auf dem Planeten nicht umstürzt (im Gegenteil), aber umgräbt und betoniert.

Null Reflexe zur »größten humanitären Krise der Welt«

Es ist ja – leider – schon bemerkenswert, wenn überhaupt ein deutsches Medium einen Pups zum Sudan lässt. Das sind aktuell – ein seltenes Gespann – der Deutschlandfunk und die Junge Welt. Der DLF interviewte gestern mitten in der Nacht (6.50 h) meinen alten Jungdemokraten-Freund Volker Perthes, dessen Stimme mir besorgniserregend brüchig klang, was aber auch am geäusserten Inhalt liegen dürfte:

Sudan-Experte Perthes: Den Kriegsparteien muss man die Ressourcen entziehen – Laut Einschätzung des Politologen Volker Perthes werden beide Kriegsparteien im Sudan aus dem Ausland unterstützt, etwa von Ägypten. Erst wenn man ihnen Ressourcen wie Geld und Waffen entziehe, könne der Krieg gestoppt werden.” Audio 13 min.

Die gleiche Botschaft mit anderen Worten verkündet sehr kursorisch auch Luca Schäfer/Junge Welt, der regelmässig für die “News-Fabrik” (G. Kolonko) telepolis schreibt: Sudan: Golfkapital am Nil – Sudan: Kriegsverbrechen von RSF-Miliz durch Vereinigte Arabische Emirate ermöglicht”. Auch dieser Text wird in einigen Tagen digital verschwinden.

Warum so wenig Lärm in der deutschen Aufmerksamkeitsökonomie über diese verbrecherischen Massenmorde? These: weil die hiesigen Herrschenden darüber noch glücklicher sind, als über die Menschenrechtsverbrechen des Despoten Erdogan (mit dem, das nur zur Erinnerung, schon die kürzlich hier in Bonn gefeierte Angela Merkel eifrig gedealt hatte). Denn wirkungsvoller können Flucht und Migration aus Südsudan, Somalia, Eritrea, Äthiopien, Ostkongo u.v.a. wohl kaum unterbunden werden. Warum also laut lamentieren? Die Waffenlieferanten und Diktatoren beider Seiten (Vereinigte Arabische Emirate einerseits, Ägypten andererseits) sind öffentlich proklamierte “beste Freunde” der hiesigen Herrschenden.

Lasst sie mal machen. Es trifft doch nur Schwarze und Moslems …

Update 3.11.

NRW-Liminski – zu schmerzfrei, zu blöd oder zu rechts?

Nathanael Liminski, NRW-Stastskanzleichef, kenne ich nicht persönlich. Als ich 1990 anfing im NRW-Landtag zu arbeiten, hiess der Amtsinhaber Wolfgang Clement. Roland Appel weiss mehr über den, und die Extradienstautoren Wolfgang Lieb und Christoph Habermann noch mehr als Roland. An Clement als Widerpart – ob in der Opposition, in der Koalition, oder sogar als Parteigenosse – konnte (und musste) mann wachsen. Anders war der nicht auszuhalten.

Wie mag es bei Liminski sein? Mir wird berichtet, dass er grüne Landtagsabgeordnete – auch rudelweise – am Nasenring durch die politische Arena zu ziehen vermag. Ob das mehr über die oder ihn sagt? Sagen Sies mir. Der Verdacht liegt nahe, dass er – schon allein um in dieses Staatsamt zu gelangen – nicht allzu blöd sein kann.

Also schmerzfrei und rechts? Als bekennender Christ mit all den SM-Faktoren dieser Religion sollte ihm Schmerz nicht fremd sein. Was also sagt das über ihn? Macht er also sähr gärne mit, als Lokomotive der »größten humanitären Krise der Welt«? Oder hat ihm nur eine*r eine Falle gestellt? Eine beliebte Düsseldorfer Gewohnheit.

Ich fürchte das Schlimmste.

Das heute erfolgte WDR5-Interview mit Volker Perthes hat er wahrscheinlich nicht mehr gehört: Sudan: ‘Bürgerkrieg voll entflammt’ – Die RSF-Miliz hat die Stadt Al-Faschir im Sudan eingenommen und verübt Massaker an Zivilisten. ‘Es geht um Mord, Vergewaltigungen und Plünderungen’, sagt Politologe und Diplomat Volker Perthes – und erklärt die Hintergründe des Machtkampfs im Land.” Audio 6 min., 1 Jahr verfügbar.

Über Martin Böttger:

Avatar-FotoMartin Böttger ist seit 2014 Herausgeber des Beueler-Extradienst. Sein Lebenslauf findet sich hier...
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Ein Kommentar

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    Gilbert Kolonko

    Am Wochenende war ich in der Ostkurve mit dem „Berliner Taliban“. Der wurde von der Bild und dem Berliner Kurier auf Seite 1 so getauft und ist eigentlich Sozialpädagoge. In so einer Gesellschaft war mal wieder Zeit neben dem verbalen Anfeuern auch die Kurve und seine Menschen genauer zu betrachten und an die Anfänge des Wandels in der Kurve zu denken: Die damals belächelten Sozialarbeiter der Fanprojekte.
    Ich war dieses Jahr auch zwei Monate bei Rewe – muß ja auch irgendwie Geld verdienen und wenn ich meinen Kopf nicht verkaufen will, so halt Teile meines Körpers. Ansonsten zahle ich die KV selber und bleibe frei.
    Es gibt mittlerweile mehr Klassenbewusstsein in der Kurve, als unter den Arbeitern bei Rewe. Letztere machten nicht einmal mehr Pause, keine Zeit für so etwas, weil andauernd unterbesetzt. Wer übrigens in den Öffentlichen Verkehrsmitteln Menschen mit etlichen Narben auf den Unterarmen sieht: Das müssen nicht verhinderten Selbstmörder sein. Wahrscheinlicher ist es, sie arbeiten in den Backshops bei Rewe über Aldi bis Netto. Für die billigen Brötchen müssen andauernd heiße Bleche aus den Öfen gezogen werden. Weil die Öfen meistens piepen, wenn Frau und Mann im Stress sind, wird das Blech einhändig heraus gezogen und dann frisst sich die Kante des heißen Bleches beim Abrutschen öfters in den Unterarm.
    Bei Rewe wirkte der Filialleiter und seine Assistentin auf mich noch geknechteter als das Fussvolk: Ja besser bezahlt, aber noch mehr im Stress und sichtbar noch ausgelaugter. Klar: Auch im Einzelhandel in Deutschland fehlen schon jetzt etwa 35.000 Mitarbeiter. Und nein: „Die „autonomen Kassen“ werden das Problem nicht lösen. Die Ware muss ins Regal und oft auch wieder raus, wenn sie abgelaufen ist. Das ist der größte Personalaufwand. Dafür braucht es noch den Menschen. Aber diese arbeitenden Menschen zumindest bei Rewe, haben kaum einen Schimmer mehr von ihrer Macht: Wir waren mal wieder nur zu dritt, anstatt zu 6. Die Öfen im Backshop piepten. In der Küche der Hotbar stand ein Palette Tiefkühlware, die ins Kühlhaus musste und vor der Theke eine 10 Meter-Schlange Mittagskunden. Ich hatte Feierabend, ging zu meinem Abteilungsleiter an die Theke, salutierte und sagte: „Dass Fussvolk verlässt das Schlachtfeld und überlässt es den Generälen.“ Er lachte. Er hatte schon vor zwei Jahren einen Burnout im Alter von 32 Jahren, als selbständiger Konditor mit 14 Stundentagen. Die 9 Stunden täglich ohne Pause und mit früher Kommen wie später Gehen bei Rewe und das auch „nur“ 5 Tage die Woche waren für ihn dagegen angenehm. So angenehm, dass er immer noch Humor hatte. Doch politisches oder klassenbewusstes Denken, nö, das kann man nicht mehr erwarten. Dafür ist kein freier Raum im Kopf da. Also auch hier bleibt scheinbar nur warten, bis es noch schlimmer wird.

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