Die heutigen Rechten sind ihre nützlichen Idioten
Anja Krüger/taz lässt kluge Menschen zu Wort kommen, dass die Deutsche Bahn so lange keine Verkehrswunder vollbringen wird, so lange ihre Infrastruktur so bleibt, wie sie ist. Wie wahr. Zwar wurde der Privatisierungsexzess eines Börsengangs dank zivilen Widerstands gestoppt, doch die Plünderung der Bahninfrastruktur schreitet bis heute fort. Nur ein Beispiel dafür, dass Umverteilung von unten nach oben heute vor allem bedeutet: öffentliches Eigentum wird zu privatem Kapital. Wir als Gesellschaft werden enteignet, zugunsten privater Interessen. Man nennt es “Klassenkampf”.
Auf die Bahn übersetzt: wenn Sie mit ihr heute durchs Land fahren, sehen Sie nicht nur massenhaft tote Gleisanlagen, häufig bereits demontiert. Sie sehen tote Bahnhofsgebäude, die einstmals öffentliche Infrastruktur waren. Dort hielten sich arbeitende echte Menschen auf, die helfen und Auskunft geben konnten. Sie sorgten so beiläufig für das, dessen Fehlen heute so viele beklagen: öffentliche Sicherheit. Es brannte noch Licht im Dunkeln. Heute sind es Ruinen. Oder sie sind an Investor*innen verkauft, die sie als Wohnung oder Event-Location nutzen. Bahnsteige sind abgeklemmt und verlegt, viele andere ganz stillgelegt. Zahlreiche Güterbahnhöfe wurden und werden umgewidmet in private Gross-Immobilienprojekte (Frankfurt, Stuttgart21, Hamburg-Altona, Kölner Mediapark). Die Investor*inn*en profitieren von der nahen Verkehrsinfrastuktur, die auf gesellschaftliche Kosten den Spekulationswert ihrer Investition überdimensional in die Höhe schiesst. Abgeschöpft von diesen Gewinnen wird so gut wie nichts.
Wenn ich es auf unsere Region übersetze: der Bonner Hauptbahnhof ist bis auf den letzten Zentimeter so mit Immobilienobjekten zugemauert, dass ein Infrastrukturausbau – Pendler*innen zwischen Bonn und Köln wissen, wie nötig der ist – auf Jahrzehnte unmöglich ist. Gleichzeitig verdienen sich aber alle Immobilienbesitzer*innen in der Region eine goldene Nase, die sich einen Standort entlang der DB-Strecken und der Stadtbahnlinien 16, 18 und 66 unter den Nagel reissen konnten. Die öffentlichen Bahnstrecken sind ihre privaten Goldadern. Wer hat deren Bau bezahlt? Sie und ich mit unserem braven Steuernzahlen; Immobilieninvestoren dagegen sitzen in Luxemburg oder Zypern, und können auf diese lästige Pflicht verzichten; sie beschäftigen sich stattdessen dort mit dem Waschen unermesslicher Mengen von Kapital. Neben Immobilien oder Fußballvereinen wird damit auch die Kunst erstickt, andere Welten, ganz nah.
Die Menschen haben Augen, das alles zu sehen. Bei nicht wenigen erzeugt das nicht nur Ärger und Zorn, der sich in politisches Engagement übersetzen liesse, sondern ohnmächtigen Hass. Sie laufen und wählen blindwütigen Schreihälsen hinterher, die grosssprecherisch verkünden, alles anders machen und umstürzen zu wollen. In Wahrheit treiben diese Gestalten das Beschriebene nur bis zum Exzess. Sie stürzen nichts um, sie setzen das Gleiche fort bis zu einem apokalyptischen Ende. Eine solche Witzfigur – wenn es nur witzig wäre – beherrscht derzeit den politischen Diskurs in Italien. Es ist fast rührend sympathisch-naiv, wie die italienische Parlamentspräsidentin Laura Boldrini die “Verantwortungslosigkeit” des Matteo Salvini beklagt. Dabei treibt er nur voran und auf die Spitze, was Silvio Berlusconi vorgemacht hat: hinter einer ausgeklügelten massenwirksamen Bühnenperformance hemmungslos öffentliches Eigentum ausrauben; bis das wirkungsvoll verfolgt, ermittelt und abgeurteilt wird, haben die Täter*innen längst ein geiles Leben fertiggelebt, gerne auch das Diebesgut in (steuermindernden!) philantropischen Stiftungen versteckt, Kinder und Enkel*innen versorgt. Das ist die Lebensplanung und das Menschenbild der Rechtsradikalen aller Länder. Sie bewundern diese Typen für ihre “Gerissenheit” im (nicht gegen das) System. Warum wird Putin so gehasst und bewundert? Weil er seine Oligarchen zwingen kann, sich für oder gegen ihn zu entscheiden. Und die anerkennen müssen, dass er den Längsten hat. Das kann einen “mächtigsten Mann der Welt” – und viele Seinesgleichen – glatt neidisch machen. “Eine Mafia gibt es nicht!”, wie mann in Sizilien sagt. Wer sie das machen lässt, muss dafür bezahlen, ohne Ende. Wer sie an die politische Macht lässt, wird nur sehr wenige friedliche Mittel haben, sie von dort zurückzuholen.
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