Ein besonders alter Witz lautet “Spiegel-Leser wissen mehr”. Aus diesem Grund wird Spiegel-online, das etwas früher am Start war als andere, gerne als “die Bildzeitung des Internet” bezeichnet. Alle gucken, was da steht. Und die meisten glauben es auch. Zwar wurde dort noch nie behauptet, dass die Erde eine Scheibe sei. Aber eine neue Spitzenleistung ist die Behauptung, es gebe eine “deutsche Pornoindustrie”. Diese Theorie ist auf dem gleichen Entwicklungs- und Erkenntnisstand wie die deutsche Medienpolitik. Und da kommt sie auch her.
Dass die deutsche Medienpolitik so hinterm Mond ist und sich bei allen, die sich überhaupt noch für sie interessieren, lächerlich macht, liegt daran, dass in Deutschland laut Grundgesetz die Bundesländer für sie zuständig sind. Sechzehn, die sich einigen müssen (wie in der EU). In den Bundesländern kümmern sich keineswegs Fachleute darum, sondern die Staatskanzleien (was auf Bundesebene das Kanzleramt ist). Die haben eine*n Referent*in für Medienpolitik, die ihre*n Regierungschef*in mit Wissen abfüllen müssen, auf dass die*der mit seinen 15 Amtskolleg*inn*en in “Kamingesprächen” sachkundig darüber verhandeln kann. Das kann sich jede*r ausmalen, wie “gut” das klappt. Da kommen dann solche Vertragswerke bei raus.
“Dieses Internet” gibts ja erst seit gut 50 Jahren. Da können wir nicht erwarten, dass Ministerpräsident*inn*en sich damit schon auskennen, die sind viel zu beschäftigt. Sonst wüssten sie, dass sie dafür oder dagegen überhaupt gar nichts ausrichten können. Noch nicht einmal die Bundeskanzlerin könnte das. Obwohl, doch: wenn es ihr gelänge innerhalb der EU zu gemeinsamem gesetzgeberischem und exekutivem Handeln zu animieren. Aber wann seit Helmut Kohl war Deutschland daran mal interessiert?
Wirkliche Pornoindustrie hat ihren Unternehmenssitz nicht in Deutschland, sondern selbstverständlich, wie alle hochprofitablen internationalen Unternehmen, in einer Steueroase. Gerne auch in Klein- und Inselstaaten mit ganz wenig Gesetzen. Nicht nur Steuern und Jugendschutz stören da nicht, sondern auch so seltsame Sachen wie Urheberrecht und Arbeits-, Gesundheits- und Datenschutz. Solche Orte gibts nicht nur im Pazifik, sondern auch innerhalb der EU und innerhalb der USA. Für kreative Industrien, die nicht nur so heissen, kein Problem.
Wer hierzulande auf dem Niveau des Spiegel von “Jugendschutz” redet, kann es nicht wirklich ernst meinen, sondern führt was anderes im Schilde (“hidden agenda”), wenn sie*er nicht komplett doof ist (ist natürlich auch möglich). Die Kinder, die sich auf den Pornoseiten sowieso besser auskennen als die meisten Erwachsenen, müssen sich davon also nicht beunruhigen lassen. Ernst würde es erst, wenn die EU mit ihrer ganzen Marktmacht handelt. Und sich trauen würde, den Grossbanken und Investmentfonds, die sich in der tatsächlichen globalen Pornoindustrie verborgen halten, die Stirn zu bieten, ultimativ Transparenz zu verlangen, und Kontrollen nicht nur für die armen Kinder, sondern auch für die rechtlosen in der Industrie Arbeitenden, und für die ebenso rechtlosen Kund*inn*en durchzusetzen. Das könnte selbst die Pornoindustrien in Kalifornien und Japan, die in ihrem geschäftlichen Kern heute alle Datendealer sind, nachdenklich machen.
Aber liebe Pornoindustrie und liebe Kinder, seid unbesorgt. Ich bin 63 und glaube nicht, dass ich das noch erleben werde.
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