Ich schaue viel Fernsehen derzeit, Phoenix vor allem, gerne Nachrichten und – Satiresendungen. Es sind leider nicht die “Tagesschau” und “Heute”, die über die vielen kleinen unsinnigen Verletzungen von Grundrechten oder Schikanen berichten, die mit der – ja durchaus sinnvollen – Verlangsamung der “Corona” Ausbreitung einher gehen. Das betrifft Kontaktverbote, Reiseverbote, Verbote, die eigene Ferienwohnung aufzusuchen, Parkverbote und vieles andere mehr. Sinnvoll sind viele Verbote nicht, sie lassen vielmehr vermuten, dass manche Bürgermeister, Kreisdirektoren bis hin zum bayerischen Ministerpräsidenten Söder an einer zweiten Infektion, der “Orbanisierung” leiden.
Nur die Satiresendung “Extra 3” wagte es diese Woche, zu hinterfragen, wieso eigentlich bundesweit zwar ein Kontaktverbot für mehr als zwei zusammen wohnenden Menschen in der Öffentlichkeit gilt, aber in Nordrhein-Westfalen und Hessen einfach zwei Personen zusammen frei bewegen dürfen, in Bayern aber nicht. Joggen in genügendem Abstand – natürlich auch mit anderen, als dem Wohngenossen, wenn zwei Meter Sicherheitsabstand eingehalten wird, sind gesund, beugen dem Lagerkoller vor und helfen gegen Vereinsamung. Wieso man in der Mehrheit der Bundesländer nicht an die nähere Umgebung angenagelt wird, aber Bayern praktisch eine Art Ausgangssperre verhängt hat und nicht einmal zulässt, dass Einzelpersonen, die keine Familie haben, auf der Parkbank allein die Sonne genießen, konnte mir bisher niemand erklären. Auch nicht, wieso sich in Sachsen Ordnungsbehörden und Polizei anmassen zu entscheiden, wer sich wie weit von der eigenen Wohnung entfernen darf. Auch im Saarland braucht man fürs Rausgehen einen triftigen Grund – den es im Saarland in der Regel nicht gibt, es sei denn zur Flucht.
Einige Ortsbürgermeister und Gemeinden haben sich nun einfallen lassen, soweit ihre Bundesländer das nicht getan haben, wie etwa Mecklenburg-Vorpommern, ihren Zweitwohnsitzbürgern anzuraten, in der Großstadt zu bleiben, anstatt die Ferienwohnung oder das Wochenendhaus aufzusuchen. Manche haben soger ihre Satzungen dafür geändert. Sie ignorieren, dass es völlig gleichgültig ist, wenn Mindestabstände und die allgemein gültigen Regeln der Vorsorge eingehalten werden, ob Menschen in Köln oder am Rursee, in Düsseldorf oder im Bergischen Land die Ostertage verbringen. Nochmal für ganz doofe: Vor dem Virus schützen Abstände, Kontaktreduktion, Befolgen der Hygienerichtlinien. Nicht aber Hausarrest und Schlagbäume, vor denen das Virus nicht halt macht. Es ist reine Schikane, wenn etwa der Landrat vom Kreis Ahrweiler in Rheinland-Pfalz die Parkplätze an bekannten Waldstücken und die Rheinpromenade in Remagen sperrt, damit Menschen dort nicht spazieren gehen können. Geradezu zynisch, wenn sie stattdessen in der Großstadt in der Wohnung bleiben müssen. Wenige hundert Meter jenseits der “Grenze” in NRW freut sich der Bürgermeister von Königswinter, dass die Spaziergänger am Wochenende in der frischen Luft die Abstände beachten.
Weil eine ältere Mitbürgerin, die ihr Haus in Dortmund verkauft und in die Zweitwohnung nach Ostfriesland gezogen ist, weigerte sich der Kreis Aurich, ihr die Ummeldung des Hauptwohnsitzes zu beurkunden. Sie musste nach Dortmund fahren, dort Fotos des leeren Hauses als Beweis machen, bevor sie den Stempel bekam. Wer will es dem älteren Liebespaar aus Frankfurt verdenken, wenn sie anstatt zum Laden nebenan, wo es derzeit kein Klopapier mehr gibt, bei herrlichem Wetter mit ihrem Cabrio zum Laden nach Aschaffenburg fahren, wo das noch vorhanden ist? Die bayerische Polizei, denn sie sind nicht verheiratet! Abstandsregel und Kontaktsperre bedeuten nicht Bewegungsverbot und Ausgehverbot. Ausgehverbote, wie in Teilen Bayerns, sind kein probates Mittel, um signifikant die Ausbreitung des Virus zu hemmen, sondern schlichtweg ungesund.
Dass bereits Menschen versucht haben, die Grundrechtsintelligenz des Staates unter den Umständen der Krise zu testen, wird nur selten berichtet – wahrscheinlich, weil die Verantwortlichen und viele gutmeinende Journalist*innen noch nicht gemerkt oder vergessen haben, dass Grundrechte im Zweifelsfall auch in der Krise gelten und immer wieder neu abgewogen werden muss, ob es gegenüber der Einschränkung eines Rechts möglicherweise ein milderes Mittel gibt, das Ziel zu erreichen. Ein schönes Beispiel dieser Art zeigt der Bericht von Thomas Moser über eine erst geduldete, dass mit massivem Polizeieinsatz aufgelöste “Demonstration” von etwa 150 Personen in Berlin. In Hannover wurde eine ähnliche Demonstration aufgelöst, obwohl die Veranstalter sich selbst zur Auflage gemacht hatten, 2-3 Meter Mindestabstand zu halten.
An Ostern plant nun der Pfarrer einer kleinen Gemeinde in Rheinland-Pfalz, eine Auto-Segnung unter freiem Himmel. Als Insassen nicht mehr als zwei Personen oder Familie mit Kindern, die Parkabstände mehr als zwei Meter zwischen den einzelnen Fahrzeugen. Der SPD-Ortsbürgermeister dort ist nicht orbanisiert. Er steht zu den Grundrechten, sieht keinen Anlass zur Sorge, dass das Infektionsschutzgesetz nicht eingehalten wird – die Abstände lässt er die Freiwillige Feuerwehr kontrollieren. Wie die vorgesetzten Behörden und der SPD-Innenminister reagieren werden, ist derzeit noch offen. Grundrechte sind nicht einfach gewährleistet. Sie müssen aktiv geschützt und immer wieder neu verteidigt werden.
Und es geht auch um politische Klugheit: Denn wenn die Pandemie noch lange dauern wird, worauf alle Anzeichen deuten – wenn etwa vor Ende Juli oder gar Ende Oktober mit keiner wirklichen Lockerung der Maßnahmen zu rechnen sein wird – dann bedarf es Strategien, um die Kontaktverbote für die Menschen erträglich zu machen. Das aber ist nur per Einsicht und nicht mit Strafen und unsinnigen Auflagen erreichbar. Und nicht mit “Viktor Orbans” im Gartenzwergformat, die Schlagbäume im Kopf haben.
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