Keine neuen Atomwaffen in Europa
“Keine neuen Atomwaffen in Europa” – das fordert der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Die Unterstützung dieser vernünftigen Forderung innerhalb der SPD hält sich in Grenzen und auch außerhalb der SPD spielt diese wichtige Frage erstaunlicherweise kaum eine Rolle. Dabei ist allein die Vorstellung, dass der amtierende US-Präsident ständig mit einem Koffer durch die Lande reist, mit dem er jederzeit einen Atomkrieg auslösen kann, doch eigentlich schlafraubend genug.
Mützenich schaut genau und hin, wenn er erklärt: “Die multilaterale Weltordnung zeigt Risse – ja sogar deren Ende rückt in den Bereich des Denkbaren. Statt eine neue globale Ordnung zu schaffen, in der Staaten gemeinsam die großen Probleme zu lösen versuchen, marschieren viele wichtige Mächte zurück in die Welt des 19. Jahrhunderts. Die Antwort muss lauten: mehr Zusammenarbeit.”
Mützenich kommt zu dem Schluß: “Daher müssen wir die fünf Monate bis zum endgültigen Aus des INF-Vertrages nutzen und einen neuen Anlauf nehmen, um im weltweiten Rahmen über ein Verbot von Mittelstreckenraketen zu verhandeln.”
Bei Außenminister Maas frage ich mich öfter, welches Land und welche Interessen dieser Mensch eigentlich vertritt? Aber der Mann ist nicht alleine. Volle Breitseite gegen seinen Fraktionsvorsitzenden Mützenich gibt es auch vom verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Fritz Felgentreu. Ich hatte ihn gefragt: “Wofür benötigte die Bundeswehr eigentlich Atomwaffenträger?”
Felgentreu: “Die SPD wünscht sich, wie Sie, eine nuklearwaffenfreie, friedliche Welt. Dieses Ziel hat die SPD-Vundestagsfraktion auch im Koalitionsvertrag mit der Union festgeschrieben. Dennoch können wir unsere Augen nicht vor der sicherheitspolitischen Realität verschließen. Russlands aggressives Vorgehen in der Ukraine haben Europa und der NATO erneut die Relevanz unserer gemeinsamen Verteidigung deutlich gemacht. Effektive Abschreckung, wie sie auch durch gemeinsame Manöver der NATO und letztendlich durch Atomwaffen demonstriert wird, soll Kriege verhindern. Die Erfahrung des Kalten Krieges zeigt, dass dieses Prinzip der Abschreckung seine Berechtigung hat. Ein Ziel erfolgreicher Abschreckung aus der Sicht der SPD ist die Sicherung des Friedens durch Vertrauensbildung, Dialog, Rüstungskontrolle und letztlich Abrüstung, auch auf nuklearem Gebiet. Daher setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion für eine gewissenhafte, sachliche und sorgfältige Erörterung der nuklearen Teilhabe ein.
In der aktuellen Debatte über die Tornado-Nachfolge, die in erster Linie jedoch nicht für die nukleare Teilhabe relevant ist, herrscht derzeit Gesprächsbedarf in der Koalition und mit der Bundesverteidigungsministerin. Wir sind uns einig, dass es einen Nachfolger für den Tornado geben muss…”

Mützenich sieht das anders: “Mit der Kündigung des Iran-Abkommens, dem möglichen Ende des INF-Vertrages und der womöglich ausbleibenden Verlängerung des New-START-Abkommens, das die Zahl der strategischen Waffen begrenzt und im Jahr 2021 ausläuft, droht ein völliger Zusammenbruch der internationalen Rüstungskontrollarchitektur mit unabsehbaren Folgen für die globale Sicherheit.
Sollte New START tatsächlich nicht verlängert werden, gäbe es zum ersten Mal seit 1972 keine rechtlich bindenden und überprüfbaren Begrenzungen der amerikanischen und russischen Nukleararsenale mehr. Es droht ein nukleares Wettrüsten in Europa und Ostasien. Damit geriete auch der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV) unter Druck, da die dort vereinbarten Abrüstungsverpflichtungen der Atommächte sich endgültig als das erweisen würden, was viele Beobachter vermutet hatten: leere Versprechen. Die regelbasierte internationale Ordnung insgesamt steht auf dem Spiel.”

Ich hätte hier auch gerne berichtet, wie die SPD-Vorsitzenden das sehen. Meine Anfrage an Saskia Esken blieb bisher unbeantwortet. Am Thema bleibe ich dran und finde, auch andere sollten sich damit befassen. Denn es gibt wirklich noch andere Probleme als Corona.