von Jupp Legrand / Otto Brenner Stiftung
„Neue Kultur des Zuhörens“ prägt das Boom-Medium Podcast
„Den richtigen Ton treffen: Der Podcast-Boom in Deutschland“ – so lautet der Titel der ersten umfassenden wissenschaftlichen Studie über Podcasts in Deutschland, die die Otto Brenner Stiftung (OBS) gestern veröffentlichte. Die beiden Kommunikationswissenschafler*innen Lutz Frühbrodt und Ronja Auerbacher analysieren akribisch die sehr unübersichtliche Podcast-Landschaft, kommen aber zu einem eindeutigen Befund: Podcasts, also jederzeit abrufbare digitale Audiodateien, sind dabei, sich einen festen Platz im Medienensemble zu sichern. „Aus der ersten Experimentierwelle ist eine neue Etablierungswelle entstanden“, beobachtet Lutz Frühbrodt, Mediensoziologe an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. „Inzwischen gehören Podcasts zum alltäglichen Medienrepertoire jüngerer Nutzer*innen, sie kommen jedoch langsam aber sicher auch bei den älteren Jahrgängen an.“
Eine Auswertung der deutschen Top-50-Podcasts der führenden Audiostreaming-Plattform Spotify ergab, dass immerhin zwei Fünftel der meistgehörten Podcasts in Deutschland sich mit Nachrichten, Politik und Wissen beschäftigten. Bemerkenswert ist auch, dass sich die meisten Info-Formate durch Ausführlichkeit, thematischen Tiefgang und nicht zuletzt durch ein hohes Maß an Meinungsvielfalt auszeichnen. „Hier hat sich eine neue Gesprächs- und Zuhör-Kultur entwickelt, die zur Informiertheit der Bürger*innen und damit zur politischen Meinungsbildung beitragen kann, gerade auch bei den Jüngeren“, ist Autor Frühbrodt überzeugt. Im Idealfall könne das Podcasting eine neue Form des öffentlichen politischen Diskurses vorantreiben, die den Dialog, das gegenseitige Zuhören und vor allem das Verstehen einer immer komplexeren Welt der vorschnellen Positionierung voranstellt. „Der bundesdeutschen Gesellschaft täte es sicher gut, ihr medial orchestriertes Selbstgespräch verstärkt in wohltemperierter Manier zu führen“, sagt Frühbrodt in Anspielung auf die in TV-Talkshows gepflegte Polemik und den oft aggressiven Ton in den sozialen Medien.
Qualitative Defizite bei journalistischen Podcasts
Frühbrodt/Auerbacher stellen in ihrer Untersuchung eine zunehmende Professionalisierung der deutschen Podcast-Szene fest. Etablierte Medienhäuser wie die ARD-Hörfunksender, private Medienkonzerne wie Axel Springer und die „Spiegel“-Gruppe, aber auch regionale Verlagshäuser wie die Funke Mediengruppe treten gegenüber Amateur-Podcaster*innen immer dominanter auf. Trotzdem ergab die qualitative Inhaltsanalyse von zehn populären Politik-Formaten, dass die journalistische Qualität dieser Podcasts zwar grundsätzlich sehr gut war, an einigen Stellen aber bemängelt werden muss: Fast alle ausgewerteten Podcast-Folgen wiesen unbelegte Aussagen auf. Auch die fehlende Trennung von Nachricht und Meinung könnte zum Problem werden, macht Autorin Ronja Auerbacher deutlich: „Besonders bei dialogischen Formaten geht die Berichterstattung oft unmittelbar mit einer subjektiven Bewertung durch die Moderator*innen einher. Das setzt auf Seiten der Hörer*innen eine sehr hohe Medienkompetenz voraus, die vor allem bei jüngeren Nutzer*innen nicht immer gegeben ist.“
Die beiden profilierten Kommunikationswissenschaftler*innen Lutz Frühbrodt und Ronja Auerbacher präsentieren mit beeindruckender Sorgfalt und souveränem Blick wichtige Erkenntnisse zum Boom-Medium Podcast. Die Ergebnisse zeigen, dass es sich lohnt, um die Vielfalt, das Niveau und den diskursiven Charakter der Podcast-Kultur zu ringen und ihr eine Zukunft zu sichern.
Mit Blick auf die weitere Entwicklung wirft die Studie insbesondere die Frage auf, inwiefern der Podcast-Landschaft das „YouTube-Syndrom“ drohe. Mit dem deutlich erkennbaren Bestreben von Spotify und Apple Podcasts, die Ausspielwege für Podcasts zu beherrschen, drohen Kommerzialisierung und Privatisierung einer weiteren Teilöffentlichkeit. Es gilt, eine künftige infrastrukturelle Abhängigkeit der journalistischen Podcast-Akteure von den Entscheidungen eines profitorientierten Unternehmens zu verhindern: Das muss schon heute das vorrangige Ziel von Medienpolitik, öffentlich-rechtlichen und privaten Medienakteuren sein.
In der Studie wurde darüber hinaus untersucht, wie sich Podcasts strukturell vom klassischen Radio unterscheiden, warum sie dem Hörfunk damit Konkurrenz machen und wie Journalist*innen, Unternehmen, NGOs und die Politik das Medium Podcast für sich nutzen.
Vorwort
Was verbindet Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihren Vorgänger Gerhard Schröder, einen sechzehnjährigen, autistischen Jungen aus Augsburg, die Klimaaktivistin Luisa Neubauer und rund die Hälfte der 30 DAX-Konzerne? Sie alle haben (mindestens) einen eigenen Podcast. Podcasts, das unterstreichen auch Zahlen, sind zum Boom-Medium geworden. Und: Während Plattformen für kurze Text- und Bildnachrichten – wie Facebook, Twitter oder Instagram – und die Video-Plattform YouTube aufgrund ihrer Bedeutung für die Verbreitung rechtsextremer und verschwörungserzählerischer Inhalte schon länger Kritik ausgesetzt sind, scheint das gesprochene Podcast-Wort von ähnlichen Skandalen weit entfernt: Eine kultivierte, respektvolle Kommunikation ist hier die Norm – Wut, Hetze, Hass und (negative) Emotionalität sind Randerscheinungen ohne Relevanz, es gilt, den richtigen Ton zu treffen.
Seit Jahren versucht die OBS, den Wandel der Medienwelt zu durchleuchten, den Fragmentierungen der Öffentlichkeit nachzuspüren und mit medienkritischen Studien Anstöße für Diskurse zu geben. Es liegt also für uns auf der Hand, der Podcast-Landschaft in Deutschland eine tief bohrende Studie zu widmen:
Was kennzeichnet dieses Format – was sind die Inhalte, wer die Macher*innen?
Wie sind technische und ökonomische Entwicklungen der Branche einzuschätzen?
Welche Anforderungen und Bedürfnisse der Hörer*innen sind zu identifizieren?
Welche Bedeutung haben sie für öffentlichen Diskurs und Kommunikationskultur?
Eine Mammut-Aufgabe, die wir gerne an Lutz Frühbrodt und Ronja Auerbacher übertragen haben – zwei profilierte Kommunikationswissenschaftler*innen, die tiefe Schneisen der Erkenntnis in das Dickicht eines medienpolitischen Neulandes geschlagen und mit beeindruckender Sorgfalt und souveränem Blick das Thema aufgearbeitet haben. Sie machen etwa deutlich, dass das Format „Podcast“ auch abseits der politischen Extreme erfreuliche inhaltliche Unterschiede zur Welt der Influencer*innen auf YouTube & Co. aufweist. Mit „Unboxing YouTube“ hatte unser Autor Frühbrodt 2019 das „Netzwerk der Profis und Profiteure“ offengelegt und eine Marginalisierung von Wissens- oder Informationsangeboten unter den erfolgreichsten deutschen YouTube-Kanälen konstatiert – weniger als fünf Prozent unter den Top 100 Videos waren diesem Bereich zuzuordnen. Demgegenüber zeigt unsere „Podcast-Studie“ jetzt, dass Politik-, Nachrichten- und Wissenspodcasts unter den Top 50 der führenden Podcasts-Plattform Spotify über 40 Prozent des Angebots ausmachen. Durch die Notwendigkeit, sich bewusst und aktiv für eine spezifische (meist auch längere) Podcasts-Folge zu entscheiden, erscheint das Format für die detaillierte Behandlung komplexer (Sach-)Themen geradezu prädestiniert: Für mehr als vier Fünftel (83,4 Prozent) der Podcast-Hörer*innen ist die Ausführlichkeit auch ein zentrales Motiv für die Nutzung. Führt man sich weiter vor Augen, dass die Welt der Podcasts von einer bunten Vielfalt von Produzierenden geprägt ist – neben Wissenschafts- und journalistischen Formaten auch (immer noch) von vielen Amateur-Produktionen – scheint sich hier eine besondere Form der Aufklärung etabliert zu haben. In der Untersuchung schälen sich allerdings drei Befunde heraus, die das Bild relativieren:
Zum einen zeigen die Autor*innen in einer Inhaltsanalyse von zehn erfolgreichen Politik-Podcasts, dass auch innerhalb der Info- und Wissensformate noch Luft nach oben ist – die Einordung von Themen in größere gesellschaftspolitische Kontexte und die Trennung von Nachricht und Meinung lassen zu wünschen übrig.
Zum anderen verdrängen die Profis zunehmend die Amateure, der Anteil der inhärent interessensgeleiteten Kommunikation steigt: Politische Akteure, aber auch Unternehmen mit ihren kommerziellen Interessen, verlangen Hörer*innen mit ihren gut gemachten Podcasts ein steigendes Maß an Medienkompetenz ab.
Noch schwerer wiegen technisch-strukturelle und ökonomische Entwicklungen, die die starken aufklärerischen Elemente des Mediums Podcasts an den Rand zu drängen drohen. Spotify und Apple Podcast schicken sich im Hintergrund bereits an, die technisch notwendige Infrastruktur für Podcasts dauerhaft zu beherrschen und in ihrem Sinne zu kommerzialisieren.
Ist aber erst einmal ein Oligopol errichtet, droht das „YouTube-Syndrom“: Eine algorithmische Steuerung der Bedarfe sowie die Nivellierung und Absenkung des inhaltlichen Niveaus unter der Maßgabe der Werbefähigkeit sind als unmittelbare Folgen zu befürchten. Und es drohen die Privatisierung einer weiteren Teilöffentlichkeit und die infrastrukturelle Abhängigkeit auch der journalistischen Podcast-Akteure von den Entscheidungen eines profitorientierten Unternehmens. Es kommt also schon jetzt drauf an, „die Chancen dieses noch jungen Mediums für das politische Gemeinwohl zu nutzen und nicht sehenden Auges in eine neue Abhängigkeit zu schlittern, wie dies gegenüber YouTube und anderen sozialen Medien geschehen ist“, heißt es im Fazit der Studie.
Es lohnt sich, um die Vielfalt, das Niveau und den diskursiven Charakter der Podcast-Kultur zu ringen und ihr eine Zukunft zu sichern. Das wollen wir mit der Studie unterstreichen.
Lutz Frühbrodt/Ronja Auerbacher: Den richtigen Ton treffen – Der Podcast-Boom in Deutschland, OBS-AH 106, Frankfurt am Main, August 2021
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