Beueler-Extradienst

Meldungen und Meinungen aus Beuel und der Welt

Medienbellizismus II.

Aufgabe des Journalismus und der Medien ist es, den Menschen die Welt und insbesondere die Politik nahezubringen, zu erklären und im besten Fall Interpretationsalternativen anzubieten, damit sich das geneigte Publikum selbst eine Meinung bilden kann. Als es in (West-) Deutschland nur drei Fernsehprogramme und neun Rundfunksender gab, ist dieses Konzept aufgegangen. Selbst der Kumpel in Wechselschicht und die schwäbische Hausfrau schafften es, sich eingermaßen zu informieren. Diese Zeiten sind lange vorbei. Denn nicht mehr Information, sondern Quote und demonstrierte Gesinnung sowie Bekennertum sind die neuen Werte des Journalismus seit den 90er Jahren und verstärkt im 21. Jahrhundert. Am Begriff der “Flugverbotszone” ist das ganz gut zu erklären.

Journalist*innen sollten verstehen, worüber sie reden

“Flugverbotszone” ist ein Begriff aus den Statuten der UNO. Damit ist eine militärische Intervention umschrieben, bei der eine oder mehrere Nationen oder ein militärisches Bündnis nach einem Beschluss des UN-Sicherheitsrats – und nur von dem – beauftragt werden, über dem Territorium eines oder mehrerer Staaten wegen eines dort stattfindenden und von der UN verurteilten Ereignisses – einer Menschenrechtsverletzung oder eines Krieges mit Kriegswaffen – die Lufthoheit sicherzustellen und durchzusetzen. Das bedeutet Krieg. Im Kosovo-Krieg, im Irak-Krieg und in Libyen wurde jeweils eine Truppe unter Führung der NATO autorisiert, diese Flugverbotszone zu errichten und alle Kampfflugzeuge oder andere Vehikel wie Hubschrauber zu vernichten. Würde die NATO von sich aus so etwas über der Ukraine errichten wollen, wäre das ein Eintritt in den Krieg mit Russland ohne UNO-Mandat und damit ein Verstoß gegen das Völkerrecht und wahrscheinlich der Beginn eines Atomkrieges.

Verantwortungslose Spiele zur Unterhaltung

Was treibt Journalist*innen wie die ohnehin überforderte Sandra Maischberger oder die Chefs der populistischen Formate “Hart aber Fair”, Frank Plasberg oder Markus Lanz, an, in ihren Politiksimulationen, genannt Talkshows, trotzdem Politiker*innen geradezu zu verhören, zu belagern und unter Druck setzen, warum sie sich denn nun nicht für eine “Flugverbotszone” einsetzen, anstatt zu erklären, was dieses militärische Instrument bedeutet? Möchten sie ein solches Ereignis ernsthaft am eigenen Leib erleben? Warum ist das so? Journalismus des 21. Jahrhunderts lässt zumeist die notwendige Distanz vermissen, mit der Korrespondent*innen wie Thilo Koch, Peter Scholl-Latour, Gerd Ruge, Fritz Pleitgen, Thomas Roth, Antonia Rados, Gabriele Krone-Schmalz, die Welt erklärt und sich selbst zurück gehalten haben. Die seit den 90er Jahren etablierten Politiksimulationen “Anne Will”, “Plasberg”, “Lanz”, “Maischberger”, die allesamt unter “Unterhaltung” im Medienbetrieb laufen, haben jahrelang den Hang des Publikums zu Entertainment und folgenlosem Dialog befriedigt. Das wird, je länger die Krise anhält, scheitern, denn in dieser ist keine Diskussion mehr folgenlos. Mit dem Näherrücken des Krieges werden auch die Medien zu Orten des Handelns. Der sympathische ukrainische Botschafter Andrij Melnyk macht das seit Wochen vor, ganz zu schweigen vom gemeinsamen Auftritt des polnischen Präsidenten Masowiecki und des litauischen Präsidenten Nauseda in Berlin.

Journalismus ohne Verantwortung wird zur inhaltslosen Inszenierung

Ein Paradebeispiel für  Journalist*innen, die sich selbst zu Möchtegern-Politikerinnen aufschwingen, etwa Marion Theis, die Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck kurzerhand mal wegen seiner angeblich zu zögerlichen Haltung faltet oder seine Konfrontation mit der Veröffentlichung einer Umfrage des “DeutschlandTrend”, nach der eine Mehrheit in Deutschland bereit wäre, noch weit höhere Preise für Energie zu zahlen – die allerdings nur wenige Tage nach Kriegsbeginn begann und am 2.3. abgeschlossen wurde – eine Woche bevor die Tankstellen den Dieselpreis über zwei Euro vierzig geschraubt haben, und Gas- und Heizölpreise durch die Decke schossen. So etwas ist einfach unseriös. Weil die meisten Journalist*inn*en das Glück haben, niemals politische Verantwortung tragen zu müssen. Sie würden gleichwohl nicht zögern, einen Robert Habeck, der nun auf vollen Boykott von Putins Gas setzt, in der Luft zu zerreissen, wenn er es Monate später nicht schafft, die Gasreserven der Bundesrepublik vor dem Winter wieder aufzufüllen – z.B. mit Lieferungen von Ländern der “Menschenrechts- und Demokratievorbilder” wie Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate,  Venezuela oder Iran.

Guter Journalismus hat Verantwortung für die Demokratie

Gute Regierung widersteht solcher Doppelmoral. Der Journalismus des  21. Jahrhunderts glaubt, er müsse sich mangels Gedächtnis der Konsumenten, das i.d.R. nicht länger als 14 Tage zurückreicht, geschweige denn sich länger an Meldungen erinnert, keine Rechenschaft ablegen. Viele Journalist*innen glauben, sich nicht für ihre Widersprüche, Inkonsequenzen und ggf. Stimmungsmache rechtfertigen zu müssen.  Das ist ein publizistisches Armutszeugnis. Wann, wenn nicht jetzt, wäre Zeit, über “guten Journalismus” zu sprechen. Einen verantwortungsvollen, der die Wirkung seiner Fragen und ihre Richtung ebenso bedenkt, wie es Politiker*innen im Augenblick tun müssen. Um dies nicht falsch zu verstehen: Es geht nicht darum, Politiker*innen und ihre Entscheidungen nicht kritisch zu hinterfragen. Aber es geht darum, sich über die möglichen Folgen ihrer*seiner eigenen Fragetechnik – “warum sind Sie denn immer noch gegen die Einrichtung einer Flugverbotszone?” mal vorher sachlich zu informieren und zu begreifen, dass damit eigentlich in der Konsequenz der Eintritt in den Krieg mit Russland und indirekt eine Eskalation zum 3. Weltkrieg gefordert wird. Natürlich dürfen Journalist*innen auch das fragen, sollten aber vorher wissen und klar erklären, wovon die Rede ist.

Wieweit geht die Pressefreiheit?

Ein interessantes Kapitel im Zusammenhang mit unseren Freiheitsrechten ist das Abschalten von RT aus dem Internet durch die EU. Natürlich ist dies ein staatsbeherrschter Propagandasender der russischen Regierung. Aber es gilt die Informationsfreiheit im Westen – gerade im Gegensatz zu Putins Zensurparadies. Und was verboten ist, übt Anziehung aus: Ich kann mich noch gut an meine ersten Radioabenteuer Ende der 60er Jahre erinnern: Weil in öffentlich-rechtlichen Sendern Titel wie “Let’s Spend The Night Together” oder “Satisfaction” verboten waren, hörten wir Radio Luxemburg (in Köln sogar auf UKW), Radio Caroline oder andere Piratensender. Und es gab auch Radio Moskau auf Kurzwelle. Genauso gequirlte Sche…e, wie sie heute Putin und Lawrow erzählen, jeden Tag – niemand hats geglaubt, aber es war eine gute Übung, zwischen gut und böse, wahr und unwahr unterscheiden  zu lernen. Man könnte einwenden, das sei aber nicht zu vergleichen, schließlich gebe es in der Bundesrepublik eine große Community der Russlanddeutschen, die von RT beeinflusst werden könnten. Aber werden die durch die Sperrung von Angeboten davon abgehalten, sich eine putinfreundliche Meinung zu bilden? Das Gegenteil ist doch eher der Fall.

Nach der Politik: Journalismus auch neu denken

Die internationale Krise wird im Journalismus zu neuer Verantwortung und einem Umdenken zwingen. Davon bin ich überzeugt. Schon deshalb weil bestimmte Formen der Berichterstattung nicht mehr tauglich sein werden:  Die BILD-Schlagzeile: “40 MIG 29 bei Kaliningrad nachts von DHL über die Grenze gebracht – Frank Appel spricht von vollem Erfolg” wird es nicht geben, weil Sensationsgier der Springerpresse mit dem Völkerrecht kollidieren könnte. Das heisst nicht, dass wir die Wahrheit über den Krieg erfahren. Der letzte Krieg, über den einigermassen unabhängig berichtet werden konnte, war der Vietnamkrieg (1955-75).  Die furchtbaren Bilder bis hin zum Massaker von My Lai kamen relativ unzensiert im Westen an und weckten Moral, Selbstkritik und Schuldgefühle, und das war gut so. Auch wenn hämische Sowjets oder Vietkong glaubten, dass darin ein propagandistischer Vorteil läge, war dies in Wirklichkeit ein Sieg der Demokratie über die Diktatur, der Offenheit gegenüber der Zensur.

Wenige fragen nach dem Ende

Wenige publizistische Beträge fragen derzeit nach dem Ende, den Konsequenzen des Verhaltens der NATO, EU und der UN für die Ukraine. Einen solchen – nicht unbedingt überzeugenden Versuch machte gestern und heute Rüdiger Suchsland auf Telepolis: Er stellt die Frage, ob Waffenlieferungen, Solidaritätsbekundungen und Sanktionen gegen Russland letztendlich die Niederlage der Ukraine nur herauszögern, Vernichtung von hunderttausenden Menschenleben und Milliarden Vermögenswerten bedeuten, die durch eine schnelle Kapitulation vermieden werden könnten. Er zitiert hierzu den verlustreichen Verlauf von Belagerungen in der Geschichte von Masada 73 n.Ch. , über Magdeburg 1631 bis zu Breslau 1945 – alles Belagerungen die in grausamem Gemetzel endeten und zieht den Schluss: ” Eine Kapitulation der Ukraine wäre ein ziviler Akt und zum jetzigen Zeitpunkt vor einer endgültigen Entscheidung der Kampfhandlungen wäre dies ein Akt ohne Beispiel. Ein ehrenhafter Akt. Und ein Akt der Humanität. Er würde die Ukrainer ins Recht setzen, mehr als sie es jemals waren, er würde ihre westlichen Verbündeten wie die deutsche Bundesregierung beschämen. “ Aber er nennt wohl nicht zufällig zwei andere Beispiele nicht: Leningrad und Stalingrad, deren Belagerungen anders ausgingen. Ganz sicher sind auch diese Beispiele nicht zu vergleichen, weil die Rahmenbedingungen – Atombewaffnung Russlands und der NATO – andere sind und die Welt zum zweiten Mal nach 1962 am Rande einer Eskalation hin zu einer nuklearen Auseinandersetzung stehen könnte. Gleichwohl ist es notwendig, über Szenarien nachzudenken, ob und wie dieser Konflikt deeskaliert und mit anderen Mitteln als Drohung und Eskalation entschärft werden kann. Fragen in diese Richtung werden viel zu wenig gestellt.
Und wer keine neuen Fragen stellt, bekommt immer nur die alten Antworten.

Über Roland Appel:

Roland Appel ist Publizist und Unternehmensberater, Datenschutzbeauftragter für mittelständische Unternehmen und tätig in Forschungsprojekten. Er war stv. Bundesvorsitzender der Jungdemokraten und Bundesvorsitzender des Liberalen Hochschulverbandes, Mitglied des Bundesvorstandes der FDP bis 1982. Ab 1983 innen- und rechtspolitscher Mitarbeiter der Grünen im Bundestag. Von 1990-2000 Landtagsabgeordneter der Grünen NRW, ab 1995 deren Fraktionsvorsitzender. Seit 2019 ist er Vorsitzender der Radikaldemokratischen Stiftung, dem Netzwerk ehemaliger Jungdemokrat*innen/Junge Linke. Er arbeitet und lebt im Rheinland. Mehr über den Autor.... Sie können dem Autor auch im #Fediverse folgen unter: @rolandappel@extradienst.net

3 Kommentare

  1. Christian Walther

    Lieber Roland, was Du da über die Flugverbotszone schreibst, wäre zutreffend, sofern es um die Einrichtung einer solchen Zone über Russland ginge. Geht es aber nicht. Es geht um den Schutz des Luftraums der Ukraine auf Wunsch der Ukraine. Das ist meines Wissens nicht nur völkerrechtlich absolut legal, sondern auch in jeder Hinsicht legitim.

    • Roland Appel

      Lieber Christian, leider ist das ein Irrtum Deinerseits. Eine Flugverbotszone ist eine allein von der UNO anzuordnender Akt nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen zur Erzwingung des Friedens. Aus Sicht des Völkerrechtes stellen sie einen schwerwiegenden Eingriff in die Souveränität eines Staates dar und müssen daher vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossen werden. https://de.wikipedia.org/wiki/Flugverbotszone Allein die Flugverbotszone würde die sie durchsetzenden Staaten nicht zu Kombattanten machen. Die wird es aber mangels Veto Russlands im Falle der Ukraine nicht nicht geben. Was Du Dir wünschst, wären Luftsperrgebiete oder Luftbeschränkungsgebiete auf Wunsch der Ukraine über deren eigenem Terretorium. Da die Ukraine aber von Russland angegriffen wird, bedeutete dies zwangsläufig den Eintritt der NATO oder einzelner Staaten des Westens als Kombattanten in den Krieg der Ukraine mit Russland. Mit der Gefahr der jederzeitigen Eskalation in einen Atomkrieg bzw. den 3. Weltkrieg.

  2. Reiner Löffel

    Lieber Roland,
    vielen Dank für Deinen Artikel ! Was Du zu dem Thema “Politiksimulationen” schreibst, spricht mir voll aus dem Herzen !!! Allein wer sich am Sonntag “Anne Will” angetan hat, konnte nur mit dem Kopf schütteln. “Ja warum stoppen wir denn die Energielieferung aus Russland nicht…..?” In einem halben Jahr heißt es dann: “Hätte die Politik nicht vorhersehen müssen, dass dies zum Crash führt?”. Das ist alles verantwortungsloser “Journalismus”, mit dem einzigen Ziel, Gesprächspartner zu braten, um damit Quote zu machen.
    Zur Ablenkung sehe ich mir immer mal wieder gerne Maischberger vs. R.D. Precht bei YouTube an https://www.youtube.com/watch?v=dfFRF4hf_YQ . Auch wer RDP nicht mag. Das tat mal gut 🙂

© 2024 Beueler-Extradienst | Impressum | Datenschutz

Theme von Anders NorénHoch ↑