Aufgrund der großen Begeisterung, die das Sondervermögen von 100 Milliar­den € für Rüstungszwecke entfacht hat, legt die Bundesregierung ein weiteres Sonderver­mögen auf: 100 Millionen € für den Wohnungsbau. Zwecks Abgrenzung wird dieser Betrag nicht wie der Waffenfonds im Grundgesetz verankert, sondern in der Geschäftsord­nung des Bundestages.

Aufgrund der Vereinbarung im Koalitionsvertrag, die Potentiale der Digitalisierung zu stär­ken, wird in einem Parallelschritt die Vermittlung von Wohnungen automatisiert. Die Woh­nungswünsche werden in einen Computer eingegeben, der versucht, passende Angebote zu finden. Wir haben das Verfahren einmal ausprobiert:

Als erstes sind die maßgeblichen Daten der/s Wohnungssuchenden einzugeben: gesuchte Wohnungsgröße, verfügbare Mietzahlung, angestrebter Wohnort, Alter, Ausbildung und Beruf, Einkommen, Vermögen, Schulden, Familiengröße, Scheidungen, Alter eventueller Kinder, Haustiere, Musikinstrumente, Hobbys, Corona-Status, Körperbehinderung, Ge­wicht, Anzahl bisheriger Vermittlungsversuche, Dauer und Kündigungsgrund bisheriger Mietverhältnisse.

Wir geben uns Mühe. Nach einer Dreiviertelstunde sind wir durch. Der Automat reagiert: „Quadratmeterpreis an Richtlinien anpassen. Neubauwohnungen kosten mindestens 18 €/qm. Übergangswohnheime derzeit ausgebucht. Schulbildung der Kinder nachreichen.“

Wir erhöhen den Quadratmeterpreis. Die Antwort gibt Anlass zur Hoffnung: „Wirtschaftlich­keit ausreichend. Sie stehen auf der Warteliste. Wohnung in 120 km Entfernung verfüg­bar.“ Wir antworten, dass wir aus Überzeugung kein Auto fahren und daher näher am Ort wohnen wollen. Die Antwort ist zunächst eine Rüge: Die Ablehnung von Kraftfahrzeu­gen sei ein Negativ­merkmal. Doch dann folgt eine Frage: „Verfügen Sie über komparative Präferenzen?“

Was ist das denn? Wir schauen in der Bedienungsanleitung nach. Wir sollen eingeben, welche besonderen Vorzüge gerade wir als Mieter anbieten können. Eine Liste möglicher Beispiele nennt
– Mietvorauszahlung in 6-facher, 12-facher oder 24-facher Miethöhe,
– Verzicht auf Fernseher, Stereoanlage und Verwandtenbesuche,
– Übernahme gebrauchter Möbel zum Neuwert,
– Zahlung einer Maklergebühr an den Vermieter,
– Verzicht auf eine Wohnungsbesichtigung vor Abschluss des Mietvertrages.

Solche Präferenzen können und wollen wir nicht bieten. Wir rechnen mit einer Absage. Doch der Au­tomat bietet uns eine neue Chance. Wir sollen angeben, welche kostenlosen Leis­tungen im Haus wir übernehmen könnten:
– Haben Sie Kenntnisse als Maler und Tapezierer?
– Können Sie Elektro- und Sanitärreparaturen erledigen?
– Reinigen und pflegen Sie die Vermieterwohnung?
– Würden Sie einen dementen Großvater betreuen?
– Übernehmen Sie Vorgartenpflege und Wagenwaschen?
– Können Sie Nachhilfeunterricht geben? In welchen Fächern?

Wir nennen die esoterischen Kurse in Pendeln und spirituellen Praktiken, die mei­ne Frau anbietet und die ohnehin nicht gut besucht sind. Die Antwort ist kurz: Abgelehnt! Ich wer­de wütend und schlage auf die Eingabetasten. Schon leuchtet ein rotes Lämpchen auf: tilt.

Über Heiner Jüttner:

Der Autor war von 1972 bis 1982 FDP-Mitglied, 1980 Bundestagskandidat, 1981-1982 Vorsitzender in Aachen, 1982-1983 Landesvorsitzender der Liberalen Demokraten NRW, 1984 bis 1991 Ratsmitglied der Grünen in Aachen, 1991-98 Beigeordneter der Stadt Aachen. 1999–2007 kaufmännischer Geschäftsführer der Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel, die die Stadt Aachen und den Kreis Aachen mit Trinkwasser beliefert.