Als ich das erste Mal ins Sauerland fuhr, war ich 7. Wir fuhren vom Ostende des Ruhrgebietes an auf Bundesstrassen. Auf dem Weg kamen wir an einer Landschaft vorbei, die so aussah, wie ich mir aus den Erzählungen meiner Eltern und Grosseltern das Ende des Zweiten Weltkrieges vorstellte. Es war aber die Baustelle des Bigge-Stausees. Die “Sauerlandlinie” gab es noch nicht. Und jetzt ist sie schon wieder weg.
1968 wurde sie vom SPD-Kanalarbeiter Schorsch Leber eröffnet, seine Lieblingstätigkeit damals. Aber “da konnte ja noch keiner wissen” was an LKW-Verkehr kommen würde, hörte ich heute im Radio. Dochdoch, konnte mann, wenn mann wollte. Die Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus hatte schon hundert Jahre zuvor ein gewisser Karl Marx analysiert und veröffentlicht, zusammen mit seinem Freund Friedrich Engels, der nicht weit von der Sauerlandlinie, im bergischen Wuppertal Fabriken betrieb. Aber für Schorsch Leber waren die beiden rote Teufel, um die er immer einen weiten Bogen machte, insbesondere intellektuell.
Die Brücke, die damals als letzte fertig wurde, ist jetzt auch als erste kaputtgegangen. Henning Hübert, den ich hier vor einiger Zeit schon gewürdigt habe, ein Leistungsträger unter den zahlreichen freien Mitarbeiter*inne*n des DLF, hat mal wieder ein formidables Wochenendjournal (Audio 45 min) abgeliefert: “Sanierungsfall Sauerlandlinie – Verkehrschaos entlang der A45 – Sie wurde mal ‘Königin der Autobahnen’ genannt: die A45, wegen ihrer vielen Brücken und ihrer geschwungenen Linienführung durch Sauer- und Siegerland. Doch königlich ist die Verkehrssituation zurzeit nicht: Die Autobahn ist seit einem halben Jahr unterbrochen. Die Talbrücke Rahmede ist derart beschädigt, dass sie gesprengt wird. Wochenendjournal-Reporter Henning Hübert hat sich umgehört, wie sich der Verkehrsinfarkt auf die Region auswirkt.” Danke Hübert, gut gemacht! Der Mann ist übrigens so datensparsam, dass der kleine Extradienst es auf Platz 3 seiner Suchmaschinentreffer bringt 😉
Und allen Auto- und LKW-Fahrer*inne*n zum Trost: als ich zuletzt ins Sauerland fuhr, lebte meine krebserkrankte Mutter noch. Ich besuchte sie dort in einem ihrer letzten Urlaube. Mit der Bahn. Die fuhr nach Winterberg eingleisig im Schritttempo. Wegen der (zahlreichen!) maroden Brücken! Trotz allem wählen sie im Sauerland lebenslang und ewig die CDU, zuletzt bei der NRW-Landtagswahl sogar den bis dahin verantwortlichen Verkehrsminister Wüst. Aber halt: das ist gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Nicht alle im Sauerland tun das. Ich kenne sogar welche persönlich, die dort seit den 90er Jahren Solidarität mit Flüchtlingen organisieren. Und der genannte Verkehrsminister hat seiner Partei immerhin einen Verlust von 250.000 Stimmen eingefahren.
Bleibt die Frage: wer sorgt dort jetzt für leistungsfähigen Bahnverkehr?
PS: nicht weniger gut: “Gesichter Europas” von Bettina Kaps/DLF über die Bahn in Frankreich (Audio 55 min).
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